Vor genau zwei Jahren, im April 2023, ist Deutschland aus der Kernenergie ausgestiegen. Seither läuft der Rückbau der Atomkraftwerke auf Hochtouren, so auch am Standort Isar in Bayern. Jeden Tag häufen sich dabei immer mehr radioaktive Abfälle an, für die ein Endlager benötigt wird.
Für hochradioaktive Abfälle wie Brennelemente gibt es noch keine Lösung, wohl aber für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll. Der stapelt sich verpackt in Containern in einer sogenannten Bereitstellungshalle, direkt neben den stillgelegten Kernkraftwerken im niederbayerischen Essenbach (Landkreis Landshut). Schon bald sollen diese radioaktiven Abfälle nach und nach abtransportiert werden. Nach Niedersachsen, in den "Schacht Konrad", darauf stellt man sich hier zumindest ein – ein Fehler?
Eigentlich soll das Endlager in wenigen Jahren fertig sein
Vertrauliche Dokumente, die BR und NDR exklusiv vorliegen, zeigen: Das geplante Atommüllendlager "Schacht Konrad" in Salzgitter steht vor einer jahrelangen Verzögerung. Laut den übereinstimmenden Papieren kann unter den derzeitigen behördlichen Auflagen keine Einlagerung von Atommüll erfolgen. Das könnte auch so bleiben.
"Konrad" ist das einzige genehmigte und im Bau befindliche Endlager in Deutschland. Am Rand der Stadt Salzgitter ragt als Landmarke ein markantes Doppelbock-Fördergerüst in die Höhe. Darunter führt ein Aufzug etwa 1.000 Meter in die Tiefe – zu einer Großbaustelle unter Tage.
Das ehemalige Eisenerzbergwerk wird umgebaut zu einem Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle aus deutschen Kernkraftwerken. Der Bau soll in wenigen Jahren abgeschlossen sein, schon kurz darauf soll Atommüll eingelagert werden, erklärt Dagmar Dehmer, Sprecherin der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE): "Anfang der 2030er-Jahre soll es losgehen."
Förderturm am Schacht Konrad
Das Wasserrecht macht Probleme
Doch genau daran gibt es erhebliche Zweifel. Zwei Dokumente, die BR und NDR (Plusminus) exklusiv vorliegen, zeigen Probleme mit dem niedersächsischen Wasserrecht auf – und lassen auf behördliche Versäumnisse schließen. Sie kommen zum Schluss: "Konrad" wird sich entweder um viele Jahre verzögern oder möglicherweise sogar gänzlich scheitern. Der Schacht drohe ein Milliardengrab zu werden.
Der Grund dafür sei die Genehmigung, die 2002 für "Konrad" erteilt wurde. Die ging mit einer "Gehobenen wasserrechtlichen Erlaubnis" einher, ausgestellt vom Land Niedersachsen. Mit dieser Erlaubnis soll – vereinfacht gesagt – sichergestellt werden, dass von den Abfällen im Endlager keine Gefahr für das oberflächennahe Grundwasser ausgeht.
Dabei geht es nicht nur um radioaktiven Müll – sondern ganz besonders um Stoffe, die mit nuklearen Abfällen immer wieder auftauchen. Für Stoffe wie Platin, Quecksilber oder einfach nur Eisen oder Aluminium wurden strenge Grenzwerte eingeführt. In den 303.000 Kubikmetern Atommüll, die in "Konrad" landen sollen, dürften zum Beispiel nur 43 Kilogramm Quecksilber enthalten sein – oder: nur elf Gramm Platin.
Werden diese Grenzwerte exakt eingehalten, kann laut Experten nur ein Bruchteil der schwach- und mittelradioaktiven Abfälle eingelagert werden. 2010 haben sich die Verantwortlichen des Endlagers deswegen eine eigene Berechnungsgrundlage geschaffen, um folglich doch große Mengen an Atommüll einlagern zu können.
Experte: "'Konrad' kann nicht in Betrieb gehen"
Zwei Dokumente sehen darin zwei entscheidende Probleme. Das erste stammt von dem Mann, der vor gut 23 Jahren "Konrad" zur Genehmigung geführt hat. Der Physiker Bruno Thomauske hat damals für das Bundesamt für Strahlenschutz gearbeitet, später war er für Vattenfall und als Lehrstuhlinhaber an der RWTH Aachen tätig. In einer 32-seitigen Analyse kommt er zum Schluss: "Konrad kann nicht in Betrieb gehen."
Er erhebt den Vorwurf, die neue Berechnungsgrundlage sei eine "wesentliche Veränderung" der "Gehobenen wasserrechtlichen Erlaubnis", daher sein Fazit: "Dazu braucht man in der Regel Genehmigungsverfahren, in denen man begründet, weswegen höhere Mengen eingelagert werden. Ein solches Genehmigungsverfahren wurde nicht angestrengt."
Die verantwortliche Bundesgesellschaft für Endlagerung habe sich das Vorgehen zwar von einer wasserrechtlichen Aufsichtsbehörde abnicken lassen, sich jedoch nicht beim niedersächsischen Umweltministerium die notwendige Genehmigung eingeholt.
Zweiter Fachmann sagt Scheitern des Endlagers voraus
Das unterstreicht ein zweites Dokument, verfasst von einem Berater des Bundesumweltministeriums, das für die nukleare Sicherheit in Deutschland zuständig ist. Der Berater weist außerdem auf ein zweites Problem hin: Die Berechnungsgrundlage sei "abhängig von den jeweils aktuell gültigen wasserrechtlichen Gesetzen und Verordnungen".
Heißt: Bei jeder noch so kleinen Gesetzesänderung müsse neu berechnet werden – für jeden einzelnen Container, die sogenannten Abfallgebinde. Insgesamt geht es um 303.000 Kubikmeter Atommüll. Kein einziger davon könne unter den jetzigen Auflagen tatsächlich eingelagert werden.
Das Fazit des Beraters des Bundesumweltministeriums: "'Konrad' wird nicht in Betrieb gehen. Entweder wegen Genehmigungsproblemen oder weil alle paar Jahre neue wasserrechtliche Verordnungen und Gesetze erlassen werden, sodass eine Freigabe von Abfällen zur Einlagerung in Konrad nicht erfolgen kann." Ein Scheitern des Endlagers sei daher das wahrscheinlichste Szenario.
Endlagerungs-Gesellschaft räumt Probleme ein
Im niedersächsischen Peine, nur 25 Kilometer von "Schacht Konrad" entfernt, liegt der Hauptsitz der Bundesgesellschaft für Endlagerung. Im ARD-Interview schließt Geschäftsführerin Iris Graffunder ein Scheitern von "Konrad" zwar aus, räumt aber ein: "Es könnte sein, dass wir eine neue 'Gehobene wasserrechtliche Erlaubnis' brauchen. Oder im Änderungsverfahren die jetzige verändern können."
Auf den Einwand, dass damit die Einlagerung von Atommüll zu Beginn der 2030er-Jahre nicht zu halten sei, entgegnet Graffunder: "Umso nötiger ist es, dass wir jetzt anfangen. Noch weiter schieben macht aus meiner Sicht keinen Sinn." Der aktuelle Stand, so Graffunder: "Im Moment gibt es kein einziges Gebinde, das stofflich den Stempel hat, um eingelagert werden zu dürfen."
Aufsichtsbehörde: Man muss "noch die Köpfe zusammenstecken"
Ohne diesen Stempel wird in fast 1.000 Metern Tiefe im "Schacht Konrad" aber nie etwas ankommen. Dort, wo eigentlich nach und nach Container mit Atommüll gestapelt werden sollen – um als Relikt des deutschen Atomzeitalters für immer unter Tage zu bleiben. Dass aktuell kein einziger Behälter für das Endlager Konrad genehmigt werden kann, steht sogar in einem offiziellen öffentlich zugänglichen Papier. Es stammt von der Entsorgungskommission, ein Beratungsgremium des Bundesumweltministeriums.
Nur unweit davon sitzt in Berlin auch die atomare Aufsichtsbehörde, das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung in Deutschland, kurz BASE. Ihr Chef, der ehemalige Grünen-Politiker Christian Kühn, gibt im ARD-Interview offen zu: "Da müssen die Bundesgesellschaft für Endlagerung und das Land Niedersachsen noch die Köpfe zusammenstecken."
Sie sollen jetzt die Köpfe zusammenstecken – um ein Problem zu lösen, das schon seit mehr als 20 Jahren bekannt ist. "Man hat in der Vergangenheit sicher nicht alles richtig gemacht. Sonst wären die ein oder anderen Fragen heute schon gelöst", so BASE-Chef Kühn.
Den Zwischenlagern droht die Überlastung
Der atomaren Entsorgung droht der Stillstand
Trotz ungelöster Probleme wird unter Tage weiter an "Konrad" gebaut. Etwa vier Milliarden Euro, zum Teil Steuergelder, sind bisher in den Schacht geflossen – seit mehr als 50 Jahren, gegen größte Widerstände.
Währenddessen schreitet der Rückbau der stillgelegten Kernkraftwerke immer weiter voran – dadurch fällt auch immer mehr Atommüll an, der für "Konrad" vorgesehen ist. Die Zwischenlager drohen überzulaufen. Offiziellen Angaben nach reichen die derzeitigen Kapazitäten nicht aus, um sämtliche Container oberirdisch lagern zu können. Die atomare Entsorgung in Deutschland steht damit erneut vor einem völligen Stillstand.
Eine Hintertür will sich die Bundesgesellschaft für Endlagerung noch offenhalten: Sollte "Konrad" zumindest baulich rechtzeitig fertig werden, will man laut Geschäftsführerin Iris Graffunder unter den 303.000 Kubikmetern Atommüll nach "irgendwelchen Gebinden suchen", die unbedenklich eingelagert werden können, ohne Auswirkungen auf das Grundwasser befürchten zu müssen. Die eigentlichen Probleme werden dadurch nicht gelöst.
Video: Kernenergie – Vom großen Versprechen zum Dauerproblem?
Das stillgelegte Atomkraftwerk (KRB) Gundremmingen in Bayern
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