Belarussische Polizisten führen einen Demonstranten im Vorfeld der Präsidentschaftswahl im November 2020 ab.
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Belarussische Polizisten führen einen Demonstranten im Vorfeld der Präsidentschaftswahl im November 2020 ab.

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Belarus: Wie Journalisten in der Diktatur arbeiten

Belarus: Wie Journalisten in der Diktatur arbeiten

#Faktenfuchs-Redakteure haben eine belarussische Journalistin getroffen und gefragt: Wie steht es um die Pressefreiheit, ein Jahr nach der manipulierten Wiederwahl von Präsident Lukaschenko? Und wie checkt man Behauptungen, wenn fast alles Lüge ist?

Eher zurückhaltend wirkt die junge Frau, beinah zerbrechlich, als sie den Konferenzraum des Bayerischen Rundfunks betritt. Das ändert sich schnell, als Sascha mithilfe ihrer Dolmetscherin beginnt zu erzählen: Wie es ist, als regierungskritische Journalistin in Belarus über das System Lukaschenko zu berichten. Wie die Sicherheitskräfte Journalisten bedrohen und überwachen. Welche Vorsichtsmaßnahme sie trifft. Und warum ihr der Kampf gegen Desinformation und Propaganda so wichtig ist.

Sascha hält sich zurzeit in Deutschland auf, trifft hier Medienschaffende, informiert sich über journalistische Arbeit in Deutschland – und wirbt für Solidarität mit ihren Kolleginnen und Kollegen zuhause. Und sie ist vorsichtig. Ihren echten Namen gibt sie nicht preis, genauso wenig wie ihren Wohnort, ihr Alter oder die Namen der Medien, für die sie arbeitet. Es sind eine Nachrichten-Webseite und ein belarussischer TV-Sender, der aus dem Ausland sendet, nur so viel wissen wir.

Seit Lukaschenkos “Wiederwahl” hat sich die Lage in dem Land verschlechtert

Die Sorge um ihre Sicherheit ist nachvollziehbar. Denn seit der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko im August 2020 seine "Wiederwahl", man muss wohl sagen: inszeniert hat, hat sich die politische Lage in dem Land noch einmal rapide verschlechtert.

Kennzeichnend für das politische System in Belarus sei "die umfassende Machtkonzentration auf Alexander Lukaschenko", schreibt das Auswärtige Amt in einem politischen Porträt. Mithilfe mehrerer Verfassungsänderungen ist der Präsident seit 1994 im Amt.

Knapp 80 Prozent der Belarussen sollen Lukaschenko auch im August 2020 noch einmal wiedergewählt haben - das sagen zumindest die offiziellen Zahlen. Sascha und viele andere wollten das nicht glauben. Das offensichtlich manipulierte Wahlergebnis löste eine Protestwelle aus. In über 30 Städten gingen im kleinen Belarus in den Tagen nach der Wahl Menschen auf die Straße, auch Sascha.

Schon vorher war die Situation für Journalisten nicht einfach, aber nun verschlechterte sich die Lage dramatisch. Sascha erzählt, wie etwa die Schutzweste mit der Aufschrift "Presse" in den Tagen nach der Wahl plötzlich jede Schutzfunktion verlor. Vorher trugen sie viele Journalisten, um sich als neutral auszuweisen und so vor Übergriffen zu schützen.

Nun wurde sie zum Problem: Wer auf einer Demo als Journalistin erkennbar war, wurde oft verhaftet. Wer aber die Weste nicht trug, lief Gefahr, wie alle anderen Demonstranten körperlich verletzt oder gar angeschossen zu werden. Ein lebensgefährliches Dilemma.

Kurz nach der Wahl wurde das Internet weitgehend abgeschaltet

Direkt nach der Wahl wurde das Internet in Belarus fast komplett abgeschaltet, erinnert sich Sascha im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Kontakt halten mit Freunden und Kollegen, Informationsbeschaffung, freie Berichterstattung – all das war plötzlich ungemein erschwert. Viele Social Media-Plattformen und Messenger-Dienste waren stundenlang nicht zu erreichen.

Die Regierung machte DDoS-Angriffe dafür verantwortlich, also Hackerangriffe, die mit künstlich erzeugten Anfragen das Datennetz lahmlegen. Solche Angriffe aber betreffen meist einzelne Seiten, in Belarus lagen plötzlich alle Dienste flach. IT-Experten vermuteten deshalb eher einen Zensur-Versuch der Regierung. Offenbar sollte es den Demonstranten, die überall im Land auf die Straße strömten, erschwert werden, sich zu organisieren – und Berichterstattung von und über die Demonstrationen unmöglich gemacht werden.

Es war eine Situation, die nur mit Kreativität und Ausdauer bewältigt werden konnte, erzählt Sascha. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen fuhren damals ins polnische Grenzgebiet, um sich dort mit dem Internet zu verbinden und ihre Berichte zu veröffentlichen.

Die Situation von Journalistinnen und Journalisten ist verheerend

Seither hat die Situation sich weiter verschlechtert. Das Land rangiert inzwischen auf Platz 158 von 180 Ländern im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen. Das Fernsehen und die meisten Printmedien sind fest in der Hand des Regimes. Unabhängige belarussische Nachrichten-Seiten müssen im Verborgenen oder aus dem Exil arbeiten. Journalisten aus dem In- und Ausland wird die Arbeitserlaubnis entzogen.

Inzwischen spreche die Regierung von kritischen Journalisten fast nur noch als "Terroristen" und "Kriminellen", sagt Sascha. Machthaber Lukaschenko wähne sich im Kampf gegen ausländische Kräfte, die Belarus von der Landkarte tilgen wollen, analysierte kürzlich erst der Deutschlandfunk.

Lukaschenko sei es durch diese Rhetorik gelungen, auch die Journalisten zu spalten, sagt Sascha. Regierungskritische Berichterstatter würden inzwischen auch von den Mitarbeitern der regierungstreuen Kanäle als Verräter bezeichnet und öffentlich diffamiert. Sie wiederum hat jedes Vertrauen in den Staatsfunk verloren, spricht nur noch von "Propagandisten".

Schon banale Dinge können drakonische Maßnahmen nach sich ziehen, erzählt Sascha: etwa Belarussisch statt Russisch zu sprechen oder weiß-rote Farben zu tragen. Denn die traditionell belarussischen Farben gelten inzwischen als Farben der Opposition. Wer sie trägt, macht sich verdächtig.

Der Journalistenverband wurde aufgelöst

Die Repressalien haben Wirkung gezeigt. Im August hat der Oberste Gerichtshof den belarussische Journalistenverband BAJ aufgelöst. 28 Journalisten sitzen derzeit im Gefängnis, viele sind ins Ausland geflohen.

Sascha nicht, sie will bleiben. "Ich lasse mich nicht vertreiben. Dann hat Lukaschenko gewonnen", sagt die junge Frau. Was diese Entscheidung bedeutet, wird in einem Interview deutlich, das "Reporter ohne Grenzen" mit dem stellvertretenden Vorsitzender des BAJ geführt hat. Barys Harezki sagt:

"Mehr als 60 Kolleginnen und Kollegen wurden Opfer von Gewalt durch staatliche Stellen. Einige wurden brutal geschlagen, andere von Gummigeschossen getroffen und mussten ins Krankenhaus. Online-Portale werden blockiert. Der populärsten Nachrichtenseite, tut.by, wurde die Lizenz entzogen. Zeitungen können nicht gedruckt und verkauft werden." Barys Harezki, stellvertretender Vorsitzender des BAJ

Wie die Regierung Journalisten überwacht

Auch das Online-Portal, für das Sascha arbeitet, wurde mehrmals abgeschaltet. Die Betreiber haben deshalb immer wieder Sicherheitskopien der Webseite angelegt, um einer erneuten Blockade vorzubeugen.

Ein großes Problem besteht für die Journalisten darin, ihre eigenen Daten und ihre Quellen zu schützen. Fluch und Segen zugleich, so schildert es Sascha, ist, dass das belarussische Regime bisher eher nicht in der Lage sei, Daten flächendeckend elektronisch abzugreifen. Die Regierung müsse daher physisch auf Geräte zugreifen, um an wichtige Informationen zu kommen.

Andererseits heiße das eben auch, dass Journalisten ständig in Gefahr schweben, auf der Straße angehalten zu werden. Auch Hausdurchsuchungen und Razzien sind an der Tagesordnung. Schon ein Moment der Unachtsamkeit, erzählt Sascha, könne bittere Folgen haben. Ein Kollege habe einmal gutgläubig Handwerker ins Haus gelassen. Sie stellten sich als verdeckte Polizisten heraus, die an seinen Computer wollten, der offen im Raum stand. "Ein Mann war nur dafür da, die Maus zu bewegen, damit sich der Bildschirm nicht selbst sperrt", erinnert sich Sascha an seine Schilderung.

Wie schützen belarussische Journalisten sich selbst und ihre Quellen?

Schon vor den jetzigen Repressalien hätten viele belarussische Journalisten sich angewöhnt, grundlegende Sicherheitsmaßnahmen zu beachten, sagt Sascha. Denn auch vorher gab es politischen Druck – wenn auch nicht in vergleichbarem Maße.

Sie selbst gehe nie mit ihrem Privattelefon aus dem Haus, stets nur mit dem Arbeitshandy. Sie achtet darauf, sichere Passwörter zu benutzen und begrenzt ihre Chat-Kommunikation auf den als sicher geltenden Messenger-Dienst Signal. Chatverläufe löscht sie sofort, um im Fall einer Kontrolle niemanden zu verraten.

Ihre Zeit in Deutschland will Sascha auch dafür nutzen, mehr darüber zu erfahren, wie Faktenchecker in Deutschland arbeiten. Im Gespräch wird schnell klar, dass die Situation in Belarus sich von der in Deutschland grundsätzlich unterscheidet. Während Desinformation in Belarus vor allem von der Regierung verbreitet wird, müssen sich Faktenchecker in Deutschland vor allem mit Kampagnen von nicht-staatlichen Akteuren, etwa aus der rechten Szene oder aus den Reihen der Querdenken-Bewegung, befassen.

Auch bei der Beschaffung von Informationen gibt es daher fundamentale Unterschiede: Während Faktenchecker hierzulande sich bei vielen Recherchen – etwa zu Sterbefall-Statistiken oder Corona-Infektionen – auf Zahlen der öffentlichen Stellen stützen können, ist das in Belarus nicht möglich.

Den Angaben der Regierung könne man auch in der Corona-Pandemie nicht trauen, sagt Sascha. Als in Deutschland im März 2020 längst Großveranstaltungen abgesagt wurden, zeigte sich "der letzte Diktator" Europas, wie Lukaschenko oft genannt wird, gutgelaunt im Eishockey-Stadion und empfahl seinen Landsleuten Wodka gegen das Virus.

Faktenchecker müssten deshalb oft in mühevoller Kleinarbeit Indizien sammeln, sagt Sascha: Sie fahren Krankenhäuser ab und sprechen mit behandelnden Ärzten, um sich ein realistisches Bild der Lage zu machen. Am Ende aber bleiben das nur Ausschnitte der Realität. Denn um bestimmte gesamtgesellschaftliche Entwicklungen einschätzen zu können, wie etwa die Lage auf den Intensivstationen, braucht man Übersichtsdaten.

Auf Telegram organisiert sich der Widerstand

Und noch in einem anderen Punkt unterscheidet sich die Situation in Belarus von der in Deutschland auffällig. Ein Medium, das in Deutschland seit Beginn der Pandemie zum Lieblingskanal von Verschwörungstheoretikern und Corona-Skeptikern avanciert ist, ist in Belarus zum Symbol der Freiheit geworden, erzählt Sascha. Die Rede ist von Telegram.

Seit Beginn der Demonstrationen sei der Messenger zum wichtigsten Medium der Demonstranten geworden. Ganze Nachbarschaften organisieren sich darüber, veranstalten Konzerte und planen Demos. Und auch einige Blogger und Journalisten verlagerten ihre Tätigkeiten auf Telegram, als immer mehr Medien abgeschaltet wurden. Der Informationskanal "Nexta" etwa, von dem Journalisten Roman Protasevich betrieben, erreichte zeitweilig zwei Millionen Menschen – in einem Land mit gerade mal 9,4 Millionen Einwohnern. Seit einiger Zeit versuchen belarussische Sicherheitskräfte auch dieser letzten Enklave der Freiheit einen Riegel vorzuschieben. "Unsere Strafverfolgungsbehörden haben damit begonnen, diejenigen, die die Gesellschaft in sozialen Netzwerken und über Messenger beeinflussen, rechtlich als Extremisten einzustufen", schrieb die Minsker Polizei in einer Bekanntmachung Mitte Oktober 2021.

Es gebe nun eine Rechtsgrundlage, um alle Anhänger von "Farbrevolutionen" vor Gericht zu stellen. Gründer, Organisatoren und Mitglieder extremistischer Gruppen können mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft werden.

Auch wer einen regimekritischen Kanal nur abonniert hat – ohne selbst Inhalte zu posten – muss mit Strafen rechnen, sagt Sascha. Ein Risiko, das sie nicht eingehen will. Sie ist über Telegram nicht zu erreichen.

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