Eva Högl (SPD), Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, stellt vor der Bundespressekonferenz ihren Jahresbericht für 2022 vor und beantwortet Fragen von Journalisten.
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Übergabe des Jahresbericht der Wehrbeauftragten des Bundestages

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Bundeswehr: Högl will "Deutschland-Tempo" statt Mangelwirtschaft

Bundeswehr: Högl will "Deutschland-Tempo" statt Mangelwirtschaft

"Von allem zu wenig" – so fasst die Wehrbeauftragte den aktuellen Zustand der Bundeswehr zusammen. Sie hat jetzt ihren Jahresbericht vorgestellt. Und eine kritische Zwischenbilanz der vor einem Jahr ausgerufenen Zeitenwende gezogen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Sie sei "aus Prinzip ungeduldig", sagt die Wehrbeauftragte des Bundestags bei der Vorstellung ihres Jahresberichts 2022. Nach den Worten von Eva Högl war die Bundeswehr noch nie so gefordert wie jetzt, da die Truppe sich auf ihren Kernauftrag konzentrieren müsse: die Bündnis- und Landesverteidigung. Doch auch ein Jahr nach der Zeitenwende-Rede des Kanzlers ist es noch ein weiter Weg bis zur vollen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, wie der Bericht zeigt. Deshalb fordert die Wehrbeauftragte ein "Deutschland-Tempo" auch für die Bundeswehr.

Bundeswehr-Modernisierung nach Vorbild der LNG-Terminals

Damit bezieht sich Högl auf die Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten, die seit vergangenem Jahr entstehen. Das erste von ihnen in Wilhelmshaven sei nach "nur knapp zehn Monaten Planungs- und Bauzeit" eröffnet worden, notiert die SPD-Politikerin in ihrem Jahresbericht. Ein solches "Deutschland-Tempo" wünscht sie sich auch für die Bundeswehr.

Allerdings spricht im Moment wenig dafür, dass dieser Wunsch in naher Zukunft in Erfüllung gehen könnte. Und das weiß Högl natürlich. Denn das Beschaffungswesen der Bundeswehr ist nach wie vor "zu behäbig", wie sie in ihrem Bericht schreibt. Darin nennt sie eine Reihe von Beispielen.

Zehn Jahre für Helm-Beschaffung

In Sonthofen im Allgäu etwa sei bereits seit dem Jahr 2016 geplant, eine Bundeswehrschule mit einem neuen Biologielabor auszustatten. In der Einrichtung werden Kenntnisse zur Abwehr von atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffen vermittelt. Doch bisher sei nur ein kleiner Teil der nötigen Geräte beschafft worden, obwohl es um handelsübliche Produkte gehe. Andernorts reicht dem Bericht zufolge die Beschaffung eines Fliegerhelms mit einem speziellen Schutz schon rund zehn Jahre zurück. Und das, obwohl es sich auch hier um marktverfügbares Gerät handele.

Verschärft wird der Materialmangel nach Högls Ansicht durch Waffenlieferungen in die Ukraine, auch wenn sie die Militärhilfen an sich richtig findet. Nur gehen ihr eben die Nachbestellungen nicht schnell genug. Im Ergebnis bedeute das für die Truppe: "Die Bundeswehr hat von allem zu wenig. Und sie hat seit dem 24. Februar 2022 noch weniger."

Sondervermögen: Högl verlangt mehr Transparenz

Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hat der Bund zwar ein schuldenfinanziertes "Sondervermögen" für die Bundeswehr eingerichtet. Doch inzwischen macht sich Ernüchterung breit. "Ich muss leider feststellen, dass im Jahr 2022 von diesem Sondervermögen noch kein Euro und kein Cent ausgegeben wurde", sagt Högl. Sie fordert, dass das Geld "zügig in der Truppe ankommt". Außerdem verlangt die Wehrbeauftragte einen regelmäßigen Bericht zum Stand der Bestellungen, um "mehr Transparenz über die Verwendung des Sondervermögens" zu schaffen.

Die Bundesregierung führt den schleppenden Mittelabfluss aus dem Sondervermögen unter anderem darauf zurück, dass militärisches Großgerät wie Panzer und Kampfjets eben nicht im Baumarkt zu bekommen sei. Auch Högl weiß um die Komplexität solcher Beschaffungsvorhaben. Sie will aber, dass schneller bestellt wird. Und mehr Tempo bei den Bestellungen ließe sich aus ihrer Sicht mit schlankeren Verwaltungsstrukturen und veränderten Rechtsgrundlagen erreichen.

CSU spricht von "verlorenem Jahr"

Die größte Oppositionsfraktion sieht sich durch den Bericht der Wehrbeauftragten bestätigt. Florian Hahn, verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, spricht von einem "verlorenen Jahr". Es sei jetzt "höchste Zeit" dafür, bei der Modernisierung der Bundeswehr nachzulegen. Ohne die USA wäre Deutschland zurzeit nicht in der Lage, sich im Ernstfall zu verteidigen, so der CSU-Politiker.

Die Klage über Mängel bei der Bundeswehr ist nicht neu. Jahr für Jahr füllen Negativbeispiele die Berichte der Wehbeauftragten. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch spottet: "Und täglich grüßt das Murmeltier!" Und er schiebt nach, dass in seinen Augen nicht fehlendes Geld das größte Problem sei, sondern das Beschaffungswesen. Bartsch fordert, dass der Verteidigungsminister in dieser Sache grundlegende Reformen anstößt.

Man darf wohl davon ausgehen, dass sich Ressortchef Boris Pistorius als einer der ersten über den 170-Seiten-Bericht der Wehrbeauftragten gebeugt hat. In der Hoffnung, weitere Argumente für seine Forderung nach mehr Geld zu finden. Högl drückt ihrem Parteifreund nach eigenen Worten die Daumen. Ob es hilft, werden die laufenden Haushaltsberatungen zeigen, die mit ungewöhnlicher Härte geführt werden. Ausgang: offen.

ARCHIV - 10.05.2022, Niedersachsen, Munster: Eine Panzerhaubitze 2000 (kurz PzH 2000) der Bundeswehr fährt während der Übung «Wettiner Heide» auf dem Übungsplatz. (zu dpa «MW wartet auf politischen Konsens für Produktionsausweitung») Foto: Philipp Schulze/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Panzerbauer braucht klaren Konsens für Hochfahren der Produktion

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