Symbolbild: Altenpflege in Corona-Zeiten. Eine Altenpflegerin in Schutzausrüstunghält die Hand eines Bewohners.
Bildrechte: dpa-Bildfunk
Videobeitrag

Symbolbild: Altenpflege in Corona-Zeiten. Eine Altenpflegerin in Schutzausrüstunghält die Hand eines Bewohners.

Videobeitrag
>

Corona-Tote in Pflegeheimen: Wer trägt die Verantwortung?

Corona-Tote in Pflegeheimen: Wer trägt die Verantwortung?

Nahezu jeder zweite Corona-Tote in Bayern ist in einem Pflegeheim gestorben. Dabei wollte die Politik mit ihren Maßnahmen doch genau diese Menschen schützen. Trotz aller öffentlicher Empörung sind die Ursachen bis heute nicht wirklich geklärt.

Über dieses Thema berichtet: BR Story am .

Katharina Hohmanns Mutter Elisabeth hatte ein lebensfrohes Naturell und fühlte sich in ihrem Münchner Pflegeheim eigentlich wohl. Doch dann kam die Pandemie. Wie so viele infizierte sie sich und starb. An oder mit Covid-19? Genau weiß man es nicht. Was die Tochter besonders belastet: Informiert wurde sie erst, als die Mutter bereits nicht mehr ansprechbar war. Nach dem Tod will sie deshalb die Pflegedokumentation einsehen – um offene Fragen zu klären. Es dauert vier Wochen und mehrere Anrufe und E-Mails ans Heim, bis sie die Akte in Händen hält. Schlau wird sie daraus aber nicht.

Denn der Pflegebericht ist lückenhaft. So ist darin beispielsweise die Corona-Infektion der Mutter gar nicht vermerkt. Die Heimleitung betont auf Nachfrage, dass es weitere Dokumente gebe. Auch ein "Corona-Tagebuch". Einsehen könne man das aus Datenschutzgründen nicht. Katharina Hohmann fragt sich immer noch, wieso die Mutter so schnell starb. Und außerdem, wie gut die Mutter versorgt war. Denn, als sie die Mutter kurz vor ihrem Tod im Heim besuchen durfte, wunderte sie sich: Alle Gänge wie verwaist. Sie sah kaum Pflegekräfte.

Problem Personalmangel

Die Redaktion hakt nach: Aus Mitarbeiterkreisen heißt es: "Ein Pfleger musste 20 Corona infizierte Bewohner versorgen. Man kam mit der Arbeit nicht mehr hinterher. Da passiert es schnell, dass man etwas vergisst."

Die Heimleitung weist diesen Vorwurf zurück. Die Bewohner seien während des Ausbruchsgeschehens sach- und fachgerecht versorgt worden. Ob das so stimmt? Die Redaktion weiß es nicht. Es gilt die Unschuldsvermutung. Tatsache aber ist: Ein Prüfbericht vom MDK, der Begutachtungsinstanz der Krankenkassen, zeigt: Im Februar 2020, noch vor der Pandemie, war bei einer Stichprobe der Schlüssel sehr wohl 1:20.

Auch Ulrike Kempchen von der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA) sagt, dass Corona die Probleme in manchen Einrichtungen wie ein Brennglas ans Licht gebracht habe. Auffallend sei etwa, dass oft Heime, die schon vor Corona mit einer dünnen Personaldecke zu kämpfen gehabt hätten, während der Pandemie noch größere Probleme bekommen hätten.

  • Zum Artikel: Pflegeheime am Limit: Angehörige in Sorge

Schnelle Verläufe

Der Pflegenotstand hat insofern sicher wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Dennoch: Das Virus ist auch besonders tückisch. Frage an den Experten Prof. Dr. Markus Gosch vom Klinikum Nürnberg, der zur Behandlung von Corona-Patienten in Pflegeheimen forscht: Warum starben die Menschen in Pflegeheimen so schnell? "Wir haben das auch selbst auf unserer Station miterlebt, dass Patienten auch zwei Tage vorher oft noch ansprechbar waren", sagt er. Man habe ihnen fast nichts angemerkt, war oft auch schon guter Hoffnung, dass der Patient es noch schafft. "Und dann ist es sehr rapide gegangen. Insofern passt diese Schilderung zum Verlauf dieser Erkrankung, wie wir sie in vielen Fällen sehen."

Der schnelle Tod – also nicht ungewöhnlich. Trotzdem hätte man in vielen Heimen transparenter mit der Situation umgehen können. Das zumindest beklagen viele Angehörige und fordern deshalb: Besser informieren! Gerade, wenn der Zutritt ins Heim eingeschränkt ist, sei gute Kommunikation um so wichtiger.

Gefährdetes Pflegepersonal

Corona-Opfer aufgrund des Pflegenotstands gab es aber auch auf der anderen Seite – beim Personal. Eine davon ist die in Berlin tätige Pflegehelferin Hirijet Ajeti. Sie ist Freiberuflerin. Das heißt: Sie springt in verschiedenen Heimen ein. Immer dann, wenn das Stammpersonal in einem Heim ausfällt. Genau das wurde ihr zum Verhängnis, als sie im April 2020 während der ersten Welle von einer Einrichtung gebucht wird. Da sie zur Risikogruppe gehört, ist sie extra vorsichtig und fragt in der Einrichtung nach, ob es Corona-Fälle gebe. Dies wird verneint. Morgens beginnt sie den Dienst – mit normaler Schutzkleidung. Für einen Corona-Fall aber nicht ausreichend.

Und dann passiert es doch: Sie hat direkten Kontakt mit einer Bewohnerin, der es so schlecht geht, dass sie ins Krankenhaus verlegt werden muss. Das anschließende positive Testergebnis der von ihr betreuten Patientin wird aber nicht an sie weitergeleitet. Erst drei Tage später erfährt Hirijet Ajeti davon, weil sie selbst beim Gesundheitsamt anruft. Das bedeutet aber: Sie hätte längst in Quarantäne gemusst. Und die Pflegerin findet noch etwas heraus: Das Virus war schon vor ihrem Dienstantritt im Heim, denn eine Mitarbeiterin war bereits am 3. April positiv und es gab weitere Verdachtsfälle. Hirjet Ajeti fühlt sich getäuscht. Sie wurde nicht richtig aufgeklärt. Konnte sich deshalb nicht richtig schützen.

Mit womöglich fatalen Folgen: Die Pflegehelferin erkrankt selbst an Covid-19. Ein Jahr ist die Corona-Infektion nun her. Bis heute leidet sie an den Spätfolgen, kann nicht mehr arbeiten. Sie klagt jetzt gegen das Heim auf Schmerzensgeld und Verdienstausfall.

Wie kam es zu den Hotspots?

Besonders hart getroffen hat es auch das AWO-Heim in Langenzenn im Frühjahr 2020. Jochen Eisen hat dort seine Mutter Erika verloren. Sie lebte fünf Jahre in der Pflegeeinrichtung: Wie die Münchnerin Elisabeth Hohmann war auch sie zufrieden mit dem Heim. Und auch hier hatte die Familie zunächst einen positiven Eindruck. Das ändert sich im April 2020. Von dem massiven Corona-Ausbruch in der Einrichtung erfährt Jochen Eisen nur über die Medien, im Heim meldet sich lediglich der Anrufbeantworter, Rückrufe kommen nur mit Verzögerung. Drei Wochen nach Ausbruchsbeginn heißt es dann, die Mutter läge im Sterben. Ob sie Corona hatte? Bis heute weiß Jochen Eisen es nicht sicher.

Corona-Ausbruch in Langenzenner Pflegeeinrichtung größer als bislang bekannt

Auch hier hakt der BR nach. Die Recherchen ergeben: Der Ausbruch in dem Langenzenner Heim im Frühjahr 2020 war deutlich größer als bislang vermutet. Insgesamt haben sich 56 Pflegekräfte infiziert. 95 von 113 Bewohnern bekamen das Virus. Mindestens 26 von ihnen sind mit oder an Corona gestorben.

Der erste Fall trat auf der Demenzstation auf. Ein Patient mit wenig Kontakt nach außen. Dass er das Virus ins Heim gebracht hat, gilt als unwahrscheinlich. Auch deshalb hätte damals im flächendeckend nach weiteren Infizierten gesucht werden müssen. Aber: zu dieser Zeit waren Reihentests für Personal noch nicht die Regel. Das Gesundheitsamt Fürth ließ anfangs hauptsächlich Kontaktpersonen des ersten Falls testen. Der Grund? Weil Test- Kapazitäten fehlten, heißt es aus der Behörde. Aus heutiger Sicht aber ein Problem - mit womöglich wiederum fatalen Folgen. Denn das Virus konnte sich im Heim beinahe ungehindert weiterverbreiten.

Fehlende Schutzausrüstung und Hygienemängel

Ein Arzt, der zur Visite im Hause war, klagt zudem an, es habe seines Erachtens deutlich an der Umsetzung der Hygiene- und Schutzmaßnahmen im Haus gemangelt.

Auch Heim-Mitarbeiter berichteten damals dem BR gegenüber von Verstößen gegen Hygienestandards: Es habe kaum oder nicht geschultes und auch fachfremdes Personal gegeben; Neben unzureichender Schutzkleidung habe es auch Verstöße gegen grundlegende Hygienestandards gegeben: "Auf dem Stockwerk, wo positiv und negativ gemischt lagen, wurde die Schutzausrüstung nicht gewechselt", sagt einer der Mitarbeiter damals.

Der Geschäftsführer des Heims, Robert Schneider, räumte vor einem Jahr dann auch Fehler in der Organisation ein, "...weil halt einfach kein Personal mehr im Haus war". Heute will sich das Heim dazu nicht mehr äußern.

Die Staatsanwaltschaft führte schließlich Vorermittlungen, stellte diese aber wenig später wieder ein. Laut Sprecherin konnte ein kausaler Zusammenhang zwischen den vielen Todesfällen im AWO-Seniorenheim und Verstößen gegen Hygienestandards nicht hergestellt werden.

Es gibt auch Heime ohne Corona-Opfer

Dass es auch anders geht, zeigt das Pflegeheim Wollomoos im Landkreis Dachau. Hier kam das Virus über ein Jahr nicht hinein – und selbst als es passierte, infizierten sich nur zwei Bewohner. Niemand starb. Aber wie ist dem Heim dies geglückt?

Hinter dem Heim steht kein großer Träger. Die Leiterin, Nina Fuchs, traf zu Beginn der Pandemie, im Februar 2020 erste Maßnahmen - ganz aus eigener Initiative: Das offene Konzept des Hauses wurde eingestellt, es gab strikte Trennungen zwischen den Bereichen des Hauses. Türen wurden geschlossen, sogar im Garten gab es Abgrenzungen. Pflegekräfte wurden fest auf die Stationen eingeteilt. Der Gedanke: Sollte das Virus es ins Heim schaffen, so wäre zumindest nur ein Teil betroffen. Auf diese Weise konnte das Verbreitungsrisiko minimiert werden und trotzdem konnten die Bewohner weiterhin als kleine Gruppe Gemeinschaft erleben. Gerade für Demenzkranke besonders wertvoll. Und: Schon frühzeitig hat die Heimleitung palettenweise Hygienemittel und Schutzkleidung bestellt, um gewappnet zu sein.

Der Plan ging auf: Während der ersten Welle gab es keine Infektionen unter den Bewohnern im Haus. Im Oktober dann bereitete man sich auf eine mögliche zweite Welle vor - und die Heimleiterin ergriff eine Maßnahme, die die Politik erst zwei Monate später verordnete: Sie kaufte Schnelltests und testete Personal und Besucher damit. So konnte das Heim einige positive Mitarbeiter und Besucher herausfischen. Im Januar gab es dann die erste Impfung. Gerade noch rechtzeitig, denn wenig später kam das Virus doch ins Heim. Aber: Nur zwei Bewohner infizierten sich. Niemand starb. Das Heim kam gut durch die Krise - weil es mehr als den verordneten Mindeststandard umgesetzt hat.

Verstärkung bereits vorhandener Probleme

Auch der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek sieht - wie die BIVA - dass Corona wie ein Brennglas gewirkt habe. Geht aber noch einen Schritt weiter in seiner Einschätzung: Es gehe nicht nur um einzelne Einrichtungen. "Ich glaube, es war ein Brennglas für die Situation in der Pflege."

Doch dies zu ändern, hat sich die Politik schon lange auf die Fahnen geschrieben. Der Pflegenotstand ist unbestritten: Allein Bayern bräuchte bis zum Jahr 2030 23.000 Pflegekräfte zusätzlich. Bis 2050 sogar 62.000. Wie will der Bayerische Gesundheitsminister diese gewinnen? Müsste man nicht für bessere Arbeitsbedingungen sorgen und Pflegekräfte besser bezahlen? Klaus Holetschek setzt vor allem auf steuerliche Vergünstigungen. Auch will er zum Beispiel Wiedereinsteiger fördern und die Pflege akademisieren und so insgesamt aufwerten.

Holetschek betont: "Jede Krise bietet auch eine Chance. Ich sehe schon eine Chance, dass wir da genau drauf schauen und auch wirklich gemeinsam mit einer großen Kraftanstrengung versuchen, die Situation zu verbessern für die, die gepflegt werden, aber vor allem auch für die, die in der Pflege tätig sind."

Pandemie: Lernen aus Fehlern?

Doch reicht das aus? Das Coronavirus hat vor Augen geführt, wie anfällig das Pflegesystem ist. Überforderte Heime, Pflegekräfte und Fehler im Pflegesystem hatten schlimme Folgen. Nun liegt es an der Politik, endlich zu handeln - und zwar konkret. Ein erster Schritt wäre, zu analysieren, was genau versäumt wurde und warum. Denn nur so können die Angehörigen abschließen und trauern. Und nur so können die richtigen Schlüsse für die Zukunft gezogen werden.

"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!