Ein Mann fotografiert zerstörte Gebäude in Islahiye nach den Erdbeben in der Türkei und Syrien.
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Ein Mann knipst zerstörte Gebäude nach den Erdbeben in der Türkei und Syrien. Nicht alle Bilder, die gepostet werden, zeigen, was sie vorgeben

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Erdbeben: Wie Faktenchecker in der Türkei Fake News bekämpfen

Erdbeben: Wie Faktenchecker in der Türkei Fake News bekämpfen

Alte Bilder von Explosionen oder die Behauptung, das Erdbeben in der Türkei und in Syrien sei ein gezielter militärischer Angriff: In sozialen Netzwerken verbreiten sich Falschinformationen rund um die Naturkatastrophe. Faktenchecker halten dagegen.

Darum geht’s:

  • In sozialen Netzwerken verbreiten sich Falschinformationen rund um das verheerende Erdbeben in Syrien und in der Türkei.
  • Vor allem drei Phänomene lassen sich beobachten: Menschen teilen veraltete Bilder und Videos aus anderen Kontexten. Zudem gibt es Falschbehauptungen, das Erdbeben sei durch die HAARP-Technologie künstlich ausgelöst worden - und solchen, die dazu dienen, bestimmte Bevölkerungsgruppen in Misskredit zu bringen.
  • Faktenchecker in der Türkei versuchen, den Gerüchten und Falschbehauptungen mit gesicherten Informationen und Online-Guides etwas entgegenzusetzen.

Mehr als 42.000 Menschen sind in den Erdbeben in der Türkei und Syrien bisher nach offiziellen Angaben gestorben (Stand 16.02.) - und die Zahlen werden immer noch weiter nach oben korrigiert. Wie so häufig in Krisensituationen verbreiten sich auch diesmal Gerüchte und Falschinformationen, in den betroffenen Gebieten und in anderen Ländern.

Drei Typen von Falschinformationen verbreiten sich gerade besonders viel

Doch welche Falschinformationen sind es, die seit dem Erdbeben besonders auffallen? Im Monitoring des #Faktenfuchs-Teams, das auch mit Hilfe eines Tools soziale Netzwerke beobachtet, stechen drei Phänomene hervor:

1. Veraltete Bilder und Videos:

Seit Beginn der Katastrophe werden in Sozialen Medien unzählige Fotos und Videos aus dem Erdbebengebiet geteilt. Viele davon zeigen tatsächliche Ereignisse der vergangenen Tage: Mal ist es ein Vater, der die Hand seiner verstorbenen Tochter nicht loslassen will, die neben ihm unter Trümmern begraben liegt. Mal ist es das Bild eines Neugeborenen, das wenige Stunden nach seiner Geburt aus den Trümmern in Syrien gerettet wird. Mit seiner toten Mutter war es noch durch die Nabelschnur verbunden, als die Rettungskräfte es fanden.

Doch nicht in allen Fällen zeigen die Bilder das, was dazu behauptet wird. Einige Fotos, die bei anderen Ereignissen zu anderen Zeitpunkten aufgenommen wurden, werden in den falschen Zusammenhang der aktuellen Beben in der Türkei und in Syrien gestellt. So kursiert etwa ein Video, auf dem die angebliche Explosion eines Kernkraftwerks in der Türkei zu sehen ist. Tatsächlich zeigt das Video eine Explosion, aber nicht die eines Kernkraftwerks, sondern die einer Lagerhalle im Hafen von Beirut, Libanon, im Jahr 2020.

Andere Fotos sind harmloser - aber dennoch falsch. So ist etwa das Bild eines Hundes, der angeblich neben einer im Erdbebengebiet verschütteten Person liegt, schon 2018 aufgenommen und als Stockfoto ohne Ortsangabe veröffentlicht worden, wie die Nachrichtenagentur AFP in einem Faktencheck erklärte. Der Fotograf sagte der AFP, die Bilder seien damals inszeniert worden. Auch das Bild eines Tsunamis, der durch das Erdbeben ausgelöst worden sein soll, ist aus dem Zusammenhang gerissen. Es wurde vor fünf Jahren in Südafrika aufgenommen. Die Nachrichtenagentur AFP hat mehrere solcher Fälle auf Twitter zusammengetragen.

Roland Imhoff, Sozial- und Rechtspsychologe an der Universität Mainz, glaubt, dass Menschen Bilder von Krisensituationen aus einem Impuls der Betroffenheit vorschnell weiterverbreiten: "In sozialen Medien ist Aufmerksamkeit über Emotionalität eine der Währungen, die über Klickraten und letztendlich über den wahrgenommenen Erfolg eines Posts bestimmen. Und wenn ich bei mir selber merke, dass mich eine bestimmte Art und Weise, über diese Erdbeben zu berichten, mehr berührt als eine andere, dann teile ich das in der Annahme, dass es auch für andere Leute interessant ist."

Interessant sei allerdings auch, wer die Bilder ursprünglich in den falschen Zusammenhang stellt, sagt Imhoff. Denkbar sei das Ziel, die Reichweite zu maximieren. Dabei hätten Menschen womöglich gar nicht das Gefühl, etwas Falsches zu tun, "weil man versucht ja, Aufmerksamkeit für ein tatsächlich dringendes Problem zu schaffen", sagt Imhoff.

2. Behauptungen zu den "wahren" Ursachen des Erdbebens:

Neben veraltetem Fotomaterial finden sich etwa auf Instagram und TikTok auch jede Menge Mutmaßungen über die angeblich "tatsächlichen" Ursachen der Katastrophe. Dabei deuten die Verfasser der Posts an, diese würden bewusst geheim gehalten.

Immer wieder fällt dabei das Stichwort HAARP, etwa in Beiträgen und Kommentaren auf TikTok und Telegram. Damit wird eine Technik bezeichnet, bei der Radiowellen in die oberen Schichten der Atmosphäre gestrahlt werden. Von ihr wird behauptet, sie könne Naturkatastrophen auslösen. Schon im Juli 2021 verbreiteten Verschwörungsgläubige, die Flutkatastrophe im Ahrtal könnte in Wahrheit mit Hilfe von HAARP verursacht worden sein. Der #Faktenfuchs und andere Faktenchecker widerlegten die Behauptung.

Auch diesmal widersprechen Wissenschaftler der Falschinformation, die Erdbeben könnten in Wahrheit eine "Bestrafungsaktion der Nato" sein, etwa in diesem Faktencheck der AFP: HAARP sei nicht in der Lage, Erdbeben auszulösen.

Der Psychologe Roland Imhoff bezeichnet diese Art von Umdeutungen als "klassische Verschwörungstheorie". Auch bei der Nuklearkatastrophe von Fukushima habe es sie gegeben. Die Forschung zeige, dass Menschen sich häufig Verschwörungstheorien zuwenden, "weil sie es als unbefriedigend empfinden, Naturkatastrophen einfach auf den Zufall oder unberechenbare, unkontrollierbare tektonische Ereignisse zurückzuführen". Dahinter stecke durchaus eine Logik, denn einer Naturkatastrophe sei man hilflos ausgeliefert. "Wenn das aber drei verrückte Wissenschaftler in weißen Kitteln sind, dann muss ich denen nur das Handwerk legen."

Verschwörungstheorien lieferten also zunächst das Versprechen, die Welt kontrollierbarer, übersichtlicher zu machen. Eingelöst würden diese Versprechen aber selten, schreibt Imhoff auch in einem Aufsatz: "Obwohl die Benennung von Schuldigen die Möglichkeit der Kontrolle bietet, wird der Verweis auf allmächtige Strippenzieherinnen und Strippenzieher hinter den Kulissen bei den meisten Menschen Gefühle der Ohnmacht eher noch verstärken."

3. Falschinformationen rund um angeblich fehlende Hilfeleistungen

Zudem verbreiten sich viele Falschbehauptungen rund um angeblich nicht geleistete Hilfen. Die Vorwürfe richten sich dabei gegen verschiedene Seiten. So behauptete etwa der prorussische Blogger Cem Kıran, Russland unterstütze die Türkei im Erdbebengebiet, die Nato-Staaten hingegen hätten Hilfen zwar angekündigt, ihre Versprechungen aber nicht gehalten.

Das ist falsch. Tatsächlich haben mehrere Nato-Staaten, darunter auch Deutschland, Hilfstrupps in die Türkei entsandt.

Schon am 7. Februar, also einen Tag nach den Erdbeben, hatten 19 europäische Länder mehr als 1.000 Rettungskräfte und fast 80 Suchhunde zur Verfügung gestellt. Fast alle der Länder sind auch Nato-Mitglieder.

Doch warum behaupten Menschen so etwas? Psychologe Roland Imhoff sieht ein bekanntes psychologisches Phänomen am Werk: die "konfirmatorische Informationsverarbeitung". Anders gesagt: Menschen selektieren, gewichten und suchen gezielt Informationen, die besser zu dem passen, was sie eh schon glauben. Wer also das Gefühl hat, Russland erhalte nicht die Anerkennung, die ihm eigentlich zusteht, dem ist jedes - auch mitunter falsche - Beispiel recht, das das - vermeintlich - belegt. Das machten allerdings nicht nur Verschwörungetheoretiker so - sondern im Grunde alle Menschen, sagt Imhoff.

Türken und Türkeistämmige halfen auch im Ahrtal

Der Vorwurf der fehlenden Hilfeleistung wird nicht nur in Richtung der Nato-Staaten laut. In deutschsprachigen Social Media sind auch solche Falschbehauptungen zu lesen: Während deutsche Rettungskräfte nun in der Türkei Hilfe leisteten, hätten Türken und türkeistämmige Deutsche bei der Ahrtal-Flut im Jahr 2021 nicht geholfen. Die Gegenüberstellung lässt außer Acht, dass - so schlimm die Überschwemmungen im Ahrtal auch waren - diese keine internationale Hilfe nötig machten. Das ist bei den Beben in Syrien und in der Türkei anders.

Auch die Behauptung an sich ist falsch. Deutsch-Türken waren 2021 aktiv in der Fluthilfe im Ahrtal. Um das zu belegen, teilen Nutzer in sozialen Netzwerken zum Beispiel Videos, auf denen Hilfsaktionen der Organisation "Time to help" zu sehen sind, einer NGO mit Sitz in Offenbach. Der Verein mobilisierte nach der Flutkatastrophe 2021 eigenen Angaben zufolge rund 1.200 Migranten und Geflüchtete aus mehreren deutschen Städten und sammelte 30.000 Euro für vier Bildungseinrichtungen, um Menschen zu unterstützen, die von der Flutkatastrophe betroffen waren. Von türkischer Seite wird der Hilfsorganisation eine Nähe zur Gülen-Bewegung nachgesagt, die von Präsident Erdogan für den Putschversuch in der Türkei im Jahr 2016 verantwortlich gemacht wird. Deutsche Behörden sagten dem SWR noch 2022, dass sie die Bewegung - bei aller Kritik an ihren Strukturen - für unbedenklich halten.

Psychologe Imhoff sieht im Abwerten des Leids der anderen auch eine Form der Selbstviktimisierung, das heißt: Menschen nehmen in politisierten Diskursen bisweilen die Rolle des Opfers ein. Zum einen, weil man damit ein Anrecht auf Aufmerksamkeit habe, sagt Imhoff. Aber auch, weil man damit die moralisch am wenigsten anfechtbare Position einnehme. "Es bedeutet, dass ich auf einem moralischen Podest stehe, auf dem ich eigentlich als moralisch integre Personen unantastbar bin, weil ich eben das eigentliche Opfer bin dieses momentanen Weltgeschehens", so Imhoff.

Wie Faktenchecker in der Türkei arbeiten

Auch in der Türkei selbst arbeiten Faktenchecker seit den verheerenden Beben vom 6. Januar 2023 - und während der Nachbeben - verstärkt, um diesbezügliche Falschinformationen zu widerlegen. Zum Beispiel das Team der Faktenchecker-Seite Teyit, das auch einen Twitter-Account auf Englisch betreibt.

Wie der #Faktenfuchs gehört Teyit zum International Fact Checking Network (IFCN), bei dem nur Mitglied werden kann, wer strenge Kriterien erfüllt - etwa die eigene Finanzierung offenzulegen, Quellen immer transparent zu machen und Fehler offen zu korrigieren.

Mehr als 80 Behauptungen überprüft

Mit ihrer Arbeit wollen die Journalisten verhindern, dass sich falsche Informationen verbreiten und dadurch zu den ohnehin schon katastrophalen Umständen Panik oder Gewaltausbrüche hinzukommen - etwa, weil Menschen wegen veralteter Bilder von Explosionen oder Tsunamis verunsichert sind oder gegen bestimmte Menschengruppen aufgehetzt werden.

Die Stimmung in den Erdbebengebieten ist derzeit sehr fragil. Immer wieder werden Menschen festgenommen, denen vorgeworfen wird, zerstörte Häuser und Geschäfte geplündert zu haben. Die Wut auf die Plünderer scheint auch in Gewalt umzuschlagen, Menschenrechtsorganisationen sprechen von einer "Lynchstimmung". In mindestens einem Fall geht Human Rights Watch davon aus, dass türkische Polizisten einen vermeintlichen Plünderer in Gewahrsam zu Tode geprügelt haben.

Mehmet Atakan Foça, einer der Gründer von Teyit, berichtet dem #Faktenfuchs, dass sich in der Türkei gerade insbesondere Falschinformationen in Bezug auf syrische Flüchtlinge und Einwanderer verbreiten: Ein Politiker behauptete etwa, ein Syrer habe während einer Fernseh-Live-Übertagung ein Handy geklaut. Später stellte sich heraus, dass der Mann weder Syrer war noch geklaut hatte.

Um all dem etwas entgegenzusetzen, setzt das Teyit-Team auf Faktenchecks: Über eine Webseite, Social Media und eine Whatsapp-Gruppe mit mehr als 10.000 Mitgliedern veröffentlichen sie ihre Ergebnisse. Seit den Beben haben die Journalisten mehr als 80 Falschinformationen überprüft (auf Türkisch). Zudem haben sie vier Online-Guides erstellt, in denen sie Social-Media-Nutzern erklären, wie sie sich vor Falschinformationen in sozialen Netzwerken und über Messenger-Apps schützen können. Und sie arbeiten mit Arabisch-sprachigen Partnern zusammen, um sicherzustellen, dass wahrheitsgetreue Informationen auch syrische Geflüchtete und andere Arabisch-sprachige Bevölkerungsgruppen in der Türkei erreichen.

Ihre Ergebnisse helfen auch Faktencheckern aus anderen Ländern, Bilder und Behauptungen rund um die Beben zu prüfen, die sich in ihren Bereichen verbreiten.

Fazit

Seit den verheerenden Erdbeben in der Türkei verbreiten sich viele Falschinformationen - zum Beispiel Bilder von Explosionen und Naturkatastrophen, die anderswo und zu anderen Zeitpunkten stattgefunden haben. Die aus ihrem tatsächlichen Kontext gerissenen Bilder sowie Falschbehauptungen in Bezug auf Politik oder Menschengruppen können Menschen in Panik versetzen, Hass schüren oder politisch in die Irre führen. Faktenchecker, etwa von der Faktencheck-Seite Teyit, versuchen, diesen Falschinformationen mit Faktenchecks und Online-Guides gesicherte Informationen entgegenzusetzen.

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