Zerstörung in Gaza, aufgenommen am 16.11.23.
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Gaza: UN-Experten werfen Israel Menschenrechtsverletzungen vor

Gaza: UN-Experten werfen Israel Menschenrechtsverletzungen vor

"Ungeheuerliche Verstöße": Unabhängige UN-Experten warnen mit dramatischen Worten, Israel gehe im Gazastreifen zu brutal vor. Menschenrechtskommissar Türk zufolge nehmen sowohl das israelische Militär als auch die Hamas getötete Zivilisten in Kauf.

Über dieses Thema berichtet: BR24live am .

UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk berichtet von "äußerst schwerwiegenden Vorwürfen" über Verletzungen des Völkerrechts im Gaza-Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas. Es gehe um "mehrfache und schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts", sagte Türk. Diese erfordern laut ihm eine "rigorose Untersuchung und vollständige Rechenschaft", wer auch immer sie begehe, sagte der UN-Menschenrechtskommissar. Eine internationale Untersuchung sei nötig.

"Es ist offensichtlich, dass einige auf beiden Seiten die Tötung von Zivilisten entweder als akzeptablen Kollateralschaden oder als absichtliche und nützliche Kriegswaffe betrachten", sagte Türk vor Vertretern der UN-Mitgliedsländer in Genf. "Das ist eine humanitäre und menschenrechtliche Katastrophe. Sie stellt einen Zusammenbruch der grundlegendsten Achtung vor humanen Werten dar." Türk betonte: "Was die humanitäre Hilfe angeht, kann ich nur hoffen, dass dies endlich und dringend umgesetzt wird."

Israel streitet Vorwürfe ab

Israel prangerte die UN-Kritik an möglichen Verstößen an und betonte, das Völkerrecht sei kein "Selbstmordpakt". Wenn ein Staat sich nicht verteidigen könne "oder dafür kritisiert wird, dass er das im Einklang mit dem Völkerrecht tut, dann werden Terrororganisationen unweigerlich immer mehr ermutigt und ihre Methoden weiter anwenden, da sie sich der anhaltenden internationalen Unterstützung sicher sein können", sagte Israels UN-Botschafterin in Genf, Meirav Eilon Shahar.

Der ständige Beobachter der Palästinenser bei der UNO in Genf, Ibrahim Khraishi, forderte die Staaten weltweit auf, angesichts von Israels Militäreinsätzen im Gazastreifen "aufzuwachen". Er sprach von einem Massaker. "Das kann nicht weitergehen", sagte Khraishi.

Massaker am 7. Oktober – und Israels Reaktion

Am 7. Oktober drangen Hunderte bewaffnete Hamas-Kämpfer aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet vor und verübten den schlimmsten Angriff auf Israel in der Geschichte des Landes. Israelischen Angaben zufolge wurden etwa 1.200 Menschen in Israel getötet und rund 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt, darunter viele Frauen und Kinder.

Israel kündigte daraufhin die Vernichtung der Hamas an und begann mit der Bombardierung des Gazastreifens. Dort sind laut palästinensischen Angaben, die sich bei vergangenen Konflikten im Nachhinein als zuverlässig erwiesen haben, bereits über 11.000 Menschen getötet worden. Die Vereinten Nationen übernehmen diese Zahlen.

Israels Vorgehen in Gaza: Anzeichen für Völkermord?

Inzwischen sehen UN-Experten beim Vorgehen Israels im Gazastreifen wachsende Anzeichen für einen Völkermord. Sie verweisen auf Vernichtungsaufrufe, die Art der Kriegsführung gegen die palästinensische Bevölkerung und die Zerstörung lebenswichtiger Infrastruktur. Die Staatengemeinschaft müsse unverzüglich handeln, um die Gefahr eines Genozids zu beseitigen und "die israelische Apartheid und Besetzung der Palästinensergebiete endlich zu beenden", heißt es in einem Appell von 19 Sonderberichterstattern und Arbeitsgruppen der Vereinten Nationen.

Die Fachleute werfen Israel ein "vorsätzliches Aushungern" der palästinensischen Bevölkerung vor. Die Hälfte der zivilen Infrastruktur im Gazastreifen sei zerstört. "Solche ungeheuerlichen Verstöße können nicht im Namen der Selbstverteidigung gerechtfertigt werden", heißt es in der Stellungnahme – verbunden mit dem Hinweis, man habe auch die Angriffe der Hamas vom 7. Oktober aufs Schärfste verurteilt.

Streit um Schutztruppen und humanitäre Hilfe

Auch wenn sich in Teilen Gazas Tunnelsysteme der Hamas befänden, dürften zivile Personen und Einrichtungen nicht direkt angegriffen oder unverhältnismäßig in Mitleidenschaft gezogen werden, so die Experten. Sie verlangten ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe, die Freilassung der Geiseln durch die Hamas und palästinensischer Gefangener durch Israel sowie humanitäre Korridore ins Westjordanland, nach Ostjerusalem und nach Israel. Weiter empfahlen die Unterzeichner eine internationale Schutztruppe für die besetzten Gebiete.

Die Vereinten Nationen und zahlreiche Länder verlangen seit Wochen, dass Israel einen weiteren Grenzübergang öffnet. Dort sollen mehr Lastwagen mit Essen, Trinken und Medikamenten abgefertigt werden. Sie fordern auch die Lieferung von Treibstoff, einerseits für Lastwagen zur Verteilung von Hilfsgütern und Krankenwagen, andererseits für Generatoren, die Strom für Krankenhäuser, Entsalzungsanlagen, Bäckereien und andere Einrichtungen für den täglichen Bedarf erzeugen können. Israel lehnt das ab: Die extremistische Palästinenserorganisation Hamas habe Treibstoff, den sie der Bevölkerung vorenthalte. Unabhängig geprüft werden kann diese Behauptung nicht.

Sicherheitszonen: UN-Organisationen bisher ablehnend

UN-Organisationen lehnen bisher allerdings jede Beteiligung an von Israel vorgeschlagenen oder eingerichteten Sicherheitszonen für Zivilisten im Gazastreifen ab. So etwas sei nur mit Zustimmung aller Parteien möglich, teilten die Spitzen von fast zwei Dutzend Organisationen in Genf mit. Darunter waren die Chefs und Chefinnen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), der UN-Organisation für Migration, und des UN-Kinderhilfswerks Unicef.

"Keine Sicherheitszone ist wirklich sicher, wenn sie von nur einer Seite deklariert und durch die Präsenz des Militärs durchgesetzt wird", hieß es in der Erklärung. Sie stellten klar, dass keine der UN-Organisationen an der Einrichtung solcher Zonen beteiligt war oder dort Vorkehrungen für die Ankunft von Vertriebenen getroffen habe. Konfliktparteien hätten ohnehin die Pflicht, Zivilisten bei Kampfhandlungen zu verschonen, unabhängig davon, wo sie sich aufhielten. Und sie müssten dafür sorgen, dass Zivilisten versorgt werden und humanitäre Helfer sie erreichen können.

Westjordanland: "Potenziell explosive Lage"

Seit Beginn des Kriegs ist auch die Gewalt in dem von Israel besetzten Westjordanland weiter eskaliert. UN-Menschenrechtskommissar Türk zeigt sich auch deshalb alarmiert und warnt vor einer "potenziell explosiven" Lage. "Ich bin zutiefst besorgt über die zunehmende Gewalt und die schwerwiegende Diskriminierung von Palästinensern im besetzten Westjordanland, einschließlich Ost-Jerusalem", sagte Türk.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mahnte Israel, sich nicht von "Wut aufzehren" zu lassen. Ein Schrecken rechtfertige nicht den anderen, sagte er nach einem Besuch in Israel. Gemeinsam mit dem israelischen Außenminister Eli Cohen besuchte er den Kibbuz Be'eri, der Mittelpunkt des Angriffs der Hamas am 7. Oktober war. "Ich verstehe eure Wut, aber lasst mich euch bitten, euch nicht von Wut aufzehren zu lassen", sagte Borrell.

Beitrag zum Hören: Lage in Israel und Gaza am Donnerstag

Rauch stieg am Donnerstag nach einem israelischen Angriff auf den Gazastreifen auf.
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Rauch stieg am Donnerstag nach einem israelischen Angriff auf den Gazastreifen auf.

Mit Informationen von AFP , dpa und KNA

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