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Risiken und Kontroversen: Gefährder abschieben oder nicht?

Risiken und Kontroversen: Gefährder abschieben oder nicht?

Kanzler Scholz will Gefährder und Straftäter nach Afghanistan und Syrien abschieben lassen. Experten sind skeptisch, ob sich der Plan wirklich realisieren lässt. Andererseits zeigt die Fußball-EM, dass Gefährder Personal binden und Geld kosten.

Über dieses Thema berichtet: Politik und Hintergrund am .

Aktuell wird verstärkt über die Abschiebung islamistischer Gefährder [externer Link] diskutiert – Personen, denen zugetraut wird, Anschläge zu verüben. Personen, die den Staat herausfordern – und deren Überwachung viel Aufwand bedeutet, wie ein aktuelles Beispiel zeigt.

Zum Start der Fußball-EM haben Polizei und Verfassungsschutz Gefährder verstärkt im Visier. Nach Informationen des BR bekamen einige von ihnen zuletzt Post. Den Islamisten wird untersagt, am Public Viewing teilzunehmen. Andere müssen sich fast täglich zu festgelegten Zeiträumen bei der Polizei melden. In weiteren Fällen gab es im Vorfeld der EM sogenannte Gefährderansprachen. Ziel solcher Maßnahmen ist es, den Gefährdern deutlich zu machen, dass die Sicherheitsbehörden sie auf dem Schirm haben.

Auf Anfrage schweigen Ministerien und Behörden auf Bundes- und Landesebene zu diesem Vorgehen. "Zu einzelnen polizeilichen Maßnahmen äußern wir uns grundsätzlich nicht", heißt es etwa vom Bundesinnenministerium.

Das Attentat von Mannheim und die Folgen

Nach BR-Recherchen trägt ein entsprechendes Schreiben an einen Gefährder beispielsweise die Überschrift: "Meldeauflage im Rahmen der UEFA Fußball-Europameisterschaft der Männer." Die Polizei zeigt Präsenz. Und es wird sichtbar: Gefährder bedeuten Verwaltungsaufwand, binden Personal. All das scheint notwendig: Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) droht in ihren Propagandakanälen mit Anschlägen während der EM.

Terrorexperten warnen – wie Hans-Jakob Schindler, Seniordirektor der internationalen gemeinnützigen Organisation Counter Extremism Project. Der IS, so Schindler, sage seinen Anhängern: "Macht doch ein paar Sachen, wie zum Beispiel – greift euch ein Messer und schlachtet die Ungläubigen ab."

Attacken also auf die nichtmuslimischen Ungläubigen: Geschehen Ende Mai, als während einer islamkritischen Demonstration in Mannheim unter anderem ein Polizist niedergestochen wurde – und verstarb. Der Tatverdächtige, ein Afghane, handelte laut Ermittlern mutmaßlich islamistisch motiviert.

Was gegen Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien spricht

Angesichts solcher Taten und Anschlagsdrohungen während der EM wird nun verstärkt die Abschiebung islamistischer Gefährder gefordert, sofern sie einen ausländischen Pass besitzen. Das Bundesinnenministerium beziffert die Zahl der derzeitigen Gefährder in Deutschland auf etwa 470. Die Zahl war schon einmal höher.

Seit 2018 jedoch wurden mehr als 90 Gefährder abgeschoben. Terrorexperte Schindler zeigt Verständnis für die Forderung nach weiteren Abschiebungen. Allerdings betont er, dass man sehr sorgfältig darüber nachdenken sollte, aus welchen Ländern diese Extremisten stammen. Schindler hält es für keine gute Idee, Gefährder in Länder abzuschieben, in denen Extremisten an der Macht sind. Er warnt davor, Trainingslager von Islamisten, wie etwa in Afghanistan, mit Gefährdern aus Deutschland zu füllen.

Neben Afghanistan sind auch in Syrien weiterhin islamistische Gruppen aktiv. Abschiebungen in diese Länder sind derzeit nicht möglich, da völlig unklar ist, was mit den Abgeschobenen geschieht. Zudem wäre es notwendig, Verhandlungen mit den dortigen Regimen zu führen.

Grüne warnen vor Deals mit Taliban

Trotzdem: SPD-Kanzler Olaf Scholz möchte Gefährder und Straftäter wieder nach Syrien und Afghanistan abschieben, ebenso wie die Union, die AfD und der Koalitionspartner FDP. Der zweite Koalitionspartner, die Grünen, hingegen warnen ausdrücklich – insbesondere vor Abschiebungen nach Afghanistan und vor Abkommen mit den dort herrschenden Taliban.

Ähnlich äußert sich auch der Politikwissenschaftler Heiner Vogel, der seit Jahren den Islamismus-Fachblog "Erasmus Monitor" [externer Link] betreibt. Grundsätzlich zeigt Vogel Verständnis für Forderungen nach Abschiebungen. Denn der Aufwand, um Gefährder zu überwachen, koste den Staat Millionen. Polizei und Geheimdienste müssten einen enormen Personalaufwand leisten. Allerdings sind Abschiebungen Vogel zufolge "erstmal nur eine Verantwortungsabgabe an andere Länder. Man kann sich Personal und Kosten sparen. Allerdings kann das häufig zum Bumerang werden."

Aus Bayern abgeschobener Islamist: Der Fall Izudin Jakupovic

Auch wenn Islamisten abgeschoben werden, versuchen sie zum Teil, auf die hiesige Szene Einfluss zu nehmen. Auch deshalb fordert Terrorexperte Schindler, Messengerdienste wie Telegram mehr in die Pflicht zu nehmen, und die Inhalte der Islamisten konsequenter zu sperren.

Denn es gibt Islamisten, die sich nach der Abschiebung via Social-Media zu Wort melden – und auf diese Weise ihre Propaganda auf Deutsch verbreiten, etwa der früher vor allem in Hessen aktive marokkanische Prediger Abdellatif Rouali. Er leitet einen in Deutschland verbotenen Islamisten-Verein und musste im vergangenen Jahr das Land verlassen.

Ein anderes Beispiel ist der Prediger Izudin Jakupovic. 2018 wurde er in München wegen Unterstützung einer Terrorgruppe in Syrien zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Anfang 2019 folgte dann die Abschiebung nach Bosnien. Seitdem befindet er sich auf freiem Fuß und verbreitet von dort via Messengerdienst Telegram Hassbotschaften – zum Beispiel nach dem Überfall der terroristischen Hamas im Süden Israels am 7. Oktober: "Die Muslime werden sie töten, sodass sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken werden."

Laut Bayerischem Verfassungsschutz ruft der im Freistaat aufgewachsene Prediger mit bosnischen Wurzeln "unverblümt zu Gewalt gegen Juden, zur Ausreise aus Deutschland nach Palästina und zur Kampfbeteiligung auf Seiten der Hamas auf." Jakupovic selbst schweigt auf BR-Anfrage zu den Vorwürfen.

Bayerischer Verfassungsschutz beobachtet Jakupovic weiterhin

Bereits Ende 2023 erklärte Verfassungsschutz-Sprecher René Rieger im BR-Interview: Es sei weiterhin damit zu rechnen, dass Jakupovic sein Netzwerk in Bayern "auch heute noch unterhält – und versucht, über dieses Netzwerk Einfluss zu nehmen auf die hiesige Szene".

So wird deutlich, dass islamistische Gefährder weiterhin eine Herausforderung für die Behörden darstellen können – selbst nach ihrer Abschiebung. Experten betonen, dass die Frage, ob Gefährder abgeschoben werden sollten oder nicht, komplexer ist als oft dargestellt.

Anwälte: Fälle sind unterschiedlich

Das wissen auch die Anwälte Martin Heising und Serkan Alkan. Die beiden Muslime verteidigen seit Jahren Islamisten vor Gericht. Ein großer Teil ihrer Mandanten sei resozialisierungsfähig, sagen sie. Aber natürlich gebe es Härtefälle.

Aus ihrer Sicht sollte der deutsche Staat nicht davor zurückschrecken, echte Straftäter abzuschieben, auch nach Afghanistan oder Syrien. So denke ein Großteil der Muslime, die schon in zweiter oder dritter Generation in Deutschland lebten. "Die bezahlen hier Steuern und sehen, dass ihre Steuergelder verprasst werden für Personen, die sich hier danebenbenehmen", berichtet Heising.

Andererseits kritisieren Alkan und Heising, dass Polizei und Verfassungsschutz insbesondere junge Mandanten häufig so restriktiv behandeln, dass diese kaum gewillt sind, auszusteigen. Am Ende bleibt dann die Abschiebung die einzige Lösung.

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