Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei kontrollieren bei Passau einen Transporter
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Bundesinnenminister Dobrindt verstärkt die Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen

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"Eskalation des Rechtsbruchs" – Kritik an Zurückweisungen

"Eskalation des Rechtsbruchs" – Kritik an Zurückweisungen

Bundesinnenminister Dobrindt will Asylsuchende an deutschen Grenzen zurückweisen lassen. Ausnahmen soll es nur für Schwangere und Kinder geben. Experten sehen in den Zurückweisungen einen Verstoß gegen europäisches Recht.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will das Signal nach Europa senden, dass die Asylpolitik in Deutschland sich geändert habe. Kritik kommt von deutschen Nachbarstaaten. So wirft etwa der Schweizer Justizminister Deutschland auf X den Bruch geltenden Rechts vor. Im Koalitionsvertrag hatte es noch geheißen, dass Zurückweisungen mit den europäischen Nachbarn abgestimmt werden sollen.

Dobrindts Vorgängerin Nancy Faeser (SPD) hatte die Grenzkontrollen bereits im vergangenen September deutlich ausgeweitet. Seit Einführung der Kontrollen wurden rund 50.000 Personen an den deutschen Grenzen von der Bundespolizei zurückgewiesen – aus unterschiedlichen Gründen. Jetzt sollen die Grenzkontrollen nach dem Willen von Dobrindt verstärkt und Zurückweisungen Schritt für Schritt auf Asylsuchende ausgeweitet werden. Besonders Schutzbedürftige wie Schwangere oder Minderjährige sollen davon ausgenommen sein, betonte Dobrindt am ersten Tag seiner Amtszeit. Er will damit ein Wahlversprechen der Union zumindest teilweise umsetzen.

Experte: Grenzkontrollen nur vorübergehend zulässig

Nicht nur aus den Nachbarländern Polen, Österreich oder der Schweiz wird dieser Schritt heftig kritisiert. Auch Experten für europäisches Recht kritisieren die Weisung aus dem Bundesinnenministerium. Allein die Grenzkontrollen seien unzulässig, wenn sie auf Dauer ausgelegt sind und nicht ausreichend begründet werden, sagt Prof. Dr. Thomas Groß, Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Rechtsvergleichung an der Universität Osnabrück. Sie verstoßen gegen das Schengen-Abkommen. An der deutsch-österreichischen Grenze werden Grenzkontrollen seit 2015 durchgeführt und alle sechs Monate mit kaum veränderter Begründung verlängert. Zuletzt hatte der Verwaltungsgerichtshof in München die Grenzkontrollen in einem viel beachteten Urteil als rechtswidrig bezeichnet.

Die Zurückweisung von Schutzsuchenden seien außerdem unzulässig, weil sie eine Umgehung des Dublin-Verfahrens darstellten, so der Experte für Asyl- und Migrationsrecht Groß gegenüber BR24. Im Dublin-Verfahren müsse beispielsweise geprüft werden, ob Familienangehörige der Asylsuchenden in Deutschland lebten und welcher EU-Staat für das Asylverfahren zuständig sei. Das könne nicht durch die Bundespolizei geprüft werden, sondern dafür sei das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig.

Zurückweisung von Asylsuchenden rechtswidrig

Nach Einschätzung von Groß gibt es keine Fall-Konstellation, in der eine Zurückweisung von Asylsuchenden rechtlich zulässig wäre.

Für Dr. Constantin Hruschka, Experte für europäisches Recht und Professor für Sozialrecht an der Evangelischen Hochschule Freiburg, stellen bereits "die aktuellen Kontrollen und Zurückschiebungen" einen Verstoß gegen Europarecht dar. "Die Ausweitung der Kontrollen stellt für sich genommen und im Hinblick auf die Möglichkeit, Schutzsuchende zurückzuschieben, eine Eskalation dieses Rechtsbruchs dar", sagt Hruschka. Er wirft Dobrindt vor, sich nicht mit europäischem Recht und der Rechtsprechung des EuGH beschäftigt zu haben. Die Personen reisten aus rechtlicher Sicht in dem Moment ein, in dem sie deutschen Boden betreten würden. Damit käme rechtlich auch bei solchen Kontrollen nur eine Zurückschiebung in Betracht unter Anwendung der Rückführungsrichtlinie. Das aber ist ein anderes Verfahren als eine Zurückweisung.

Ausnahmen für Schwangere und Minderjährige

Dass vulnerable Personen wie Schwangere oder Minderjährige nicht zurückgewiesen werden sollen, sieht Groß "politisch motiviert". Es sei das teilweise Eingeständnis, dass die ursprüngliche Ankündigung im Wahlkampf, ab dem Tag 1 der neuen Regierung alle Asylsuchenden zurückzuweisen, nicht einzuhalten sei. Hruschka sieht Deutschland aus verschiedenen völkerrechtlichen und europarechtlichen Regelungen verpflichtet, vulnerable Personen nicht an der Grenze zurückzuweisen. So müssten zum Beispiel Minderjährige aufgrund der UN-Kinderrechtskonvention in Obhut genommen werden. Das Asylgesetz käme in diesen Fällen gar nicht zur Anwendung.

Der Migrationsrechtler Prof. Dr. Daniel Thym, Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz sieht in der Ankündigung, Schwangere und Kinder nicht zurückzuweisen, einen Versuch, Klagen von Betroffenen vor Verwaltungsgerichten zu entkräften. "Das ist ein Versuch, die Gerichte milder zu stimmen", sagt Thym gegenüber tagesschau.de. Man erhöhe die Wahrscheinlichkeit, "juristisch damit durchzukommen".

Gerichte werden Rechtmäßigkeit prüfen

Experten rechnen damit, dass einzelne Asylsuchende nach einer Zurückweisung dagegen vor Gericht ziehen werden. Das können sie auch vom Ausland aus. Zuständig sind zunächst die Verwaltungsgerichte. "Die angekündigten Zurückweisungen von Asylsuchenden sind offensichtlich rechtswidrig, sodass ich die Erfolgsaussichten hoch einschätze", sagt Hruschka.

Thomas Groß sieht auch die Möglichkeit, dass die Nachbarländer vor den EuGH ziehen, um die Zulässigkeit der deutschen Praxis zu prüfen. Allerdings sei das eher unwahrscheinlich. Er räumt ein, dass das gesamte Dublin-Verfahren "hochgradig problematisch ist und nicht funktioniert". Denn anders als vorgeschrieben, lassen etwas Staaten an den EU-Außengrenzen Asylbewerber durchreisen, ohne sie zu registrieren. Dann aber wie Innenminister Dobrindt zu sagen, weil andere sich nicht daran halten, halten wir uns auch nicht daran, "das ist auch keine Lösung".

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