Zwei Jahre Schulerfahrung waren für Rajka S. genug: Nach einem abgeschlossenen Referendariat hat sie die angebotene Planstelle an einem Gymnasium ausgeschlagen und ist aus dem Schuldienst ausgestiegen. "Es frustriert einen, nach Hause zu gehen und zu sehen, der Schüler ist heute wieder nicht mitgekommen und denkt sich, wie kann ich das aufholen."
Frustration und Belastung hat seit Corona zugenommen
In den Fächern Deutsch und Geschichte unterrichtete sie Klassen mit 28 bis 30 Schülerinnen und Schülern, die einen völlig unterschiedlichen Kultur- und Bildungshintergrund hatten. Bei schwierigen Aufgaben, die auch für deutschsprachige Schüler eine Herausforderung sind, steigen andere aus. "Man muss als Lehrkraft viel differenzieren und individualisieren", sagt Rajka S., die darin an sich kein Problem sieht, "aber ich habe dafür weder Zeit noch Raum".
Dass Lehrerinnen und Lehrer die Reißleine ziehen, sei dennoch die Ausnahme, sagt Michael Schwägerl. Der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbands vertritt die 38.000 Gymnasial- und Berufsoberschullehrer unter den 100.000 Lehrkräften in Bayern. Er sagt aber: "Richtig ist, dass Frustration und Belastung zugenommen haben seit Corona", eine Krise sei der nächsten gefolgt. Geflüchtete aus der Ukraine kamen dazu, gleichzeitig muss das G9 umgesetzt werden. Lehrkräfte hätten den Eindruck, es komme ständig etwas Neues und immer noch eine "on-top-Aufgabe".
An allen Schularten fehlen Lehrkräfte
Zur Abdeckung des Unterrichts im kommenden Schuljahr werden allein an den bayerischen Gymnasien 1.300 neue Gymnasiallehrer gebraucht. Über die angespannte Lage gibt es inzwischen keinen Dissens mehr. Das zeigt auch ein Blick in die aktuelle Lehrerbedarfsprognose des Kultusministeriums: Da heißt es schonungslos, dass sich an den Mittelschulen ein "dauerhafter Mangel" abzeichnet und sich "die Deckungslücke an den Gymnasien nach Vollendung des G9 ab 2025 kontinuierlich vergrößern" könnte, wenn nicht besondere Maßnahmen ergriffen werden.
Um das zu schaffen, setzt Bayerns Kultusministerin Anna Stolz (FW) als Erstes darauf, die Probleme offen anzusprechen: "Ich halte es für entscheidend, dass wir die Herausforderungen klar benennen", sagt Stolz im BR24-Interview. "Und die Lehrerversorgung wird eines der zentralen Themen der nächsten Jahre sein." Sie setze dabei auf den laufenden Dialog mit "der Schulfamilie".
Ministerium verstärkt Werbung um Nachwuchs
Ein neues Instrument des Kultusministeriums sind hier auch die "Lehramtsbotschafter": insgesamt 100 Teams von Lehrkräften aus allen Schularten, eines pro Landkreis und kreisfreier Stadt. Sie sind an den Oberstufen der Gymnasien, an Fach- und Berufsoberschulen unterwegs, werben für den Lehrerberuf und spiegeln gleichzeitig Erfahrungen aus den Schulen zurück.
Die unzureichende Personaldecke, die Einarbeitung der längst überall üblichen Quereinsteiger, heterogene Klassen mit immer mehr Betreuungsbedarf - immer mehr Aufgaben verstärken die Belastung der Lehrerinnen und Lehrer. Auch hier setzt Kultusministerin Stolz jetzt einen neuen Schwerpunkt: "Wir nehmen Gesundheit und die Resilienz der Lehrkräfte in den Blick, und das bedeutet auch, unnötige Bürokratie abzubauen und wieder mehr Zeit für den Unterricht [zu] gewinnen."
Ziel sind mehr pädagogische Gestaltungsspielräume
So soll das Angebot an Schulpsychologinnen und Beratungslehrkräften für Lehrkräfte ausgebaut, die Bürokratie dagegen abgebaut werden. Dadurch könnten dann "weitreichende inhaltliche wie pädagogische Gestaltungsspielräume" entstehen und damit gleichzeitig die Attraktivität des Lehrerberufs steigen.
Schwägerl will verhindern, dass die derzeitigen Probleme das Image des Lehrerberufs nachhaltig beschädigen. Es sei ein wunderbarer Beruf, "und wir brauchen unbedingt junge Menschen, die das machen".
Mehr zum Thema im BR24 Funkstreifzug, heute um 12:15 Uhr in BR24 Radio sowie im Funkstreifzug-Podcast z. B. in der ARD-Audiothek.
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