Links ein Soldat in Uniform, rechts derselbe junge Mann hinter Gittern.
Bildrechte: Natascha Jänsch
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Der 23-jährige Artur Niverchuk war einer der Asowstal-Kämpfer in Mariupol. Seit der Kapitulation ist er in russischer Kriegsgefangenschaft.

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Lebenslänglich in Russland: Soldaten aus Mariupol verurteilt

Lebenslänglich in Russland: Soldaten aus Mariupol verurteilt

Tausende Ukrainer sind in Russland in Kriegsgefangenschaft – auch der Neffe einer Nürnbergerin. Er war einer der Verteidiger des Asowstal-Werks in Mariupol. Fast zwei Jahre war er verschollen. Nun bekam die Tante schreckliche Nachrichten.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

"Ich habe keine Tränen mehr", sagt Natascha Jänsch. Die Nürnbergerin will auch nicht weinen, denn Tränen würden ihrem Neffen Artur Niverchuk nicht helfen. Der 23-Jährige wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt – weil er im Kampf um das Asowstal-Werk in Mariupol 2022 Zivilisten erschossen haben soll. Artur, das haben Natascha Jänsch und ihre Schwester, Arturs Mutter, vor Kurzem erfahren, ist im "Schwarzen Delfin" inhaftiert, einem russischen Hochsicherheitsgefängnis in der Region Orenburg in der Nähe zu Kasachstan. Mehrfach-Mörder und Kinderschänder sitzen hier ihre lebenslangen Strafen ab.

Asowstal-Kämpfer gestanden Schüsse auf Zivilisten

In einem Video ist zu sehen, wie der kahlgeschorene Artur Niverchuk einem vermummten Angehörigen der russischen Sicherheitskräfte gegenübersitzt und ein Geständnis ablegt. Zweimal habe er 2022 auf Befehl seines Kommandanten auf Zivilisten gefeuert – das erste Mal Ende März auf "ein ziviles Auto mit weißen Bändern", das zweite Mal Ende April auf "Zivilisten in der Ferne". "Ich gestehe meine Schuld voll und ganz ein", sagt der hagere junge Mann auf Russisch. "Und ich bereue aufrichtig, was ich getan habe."

Artur ist nicht der einzige Asowstal-Kämpfer im Gefängnis "Schwarzer Delfin", der ein Geständnis ablegt. Mit ihm wurden weitere sieben seiner Kameraden zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.

Geständnisse durch Folter erzwungen?

Arturs Tante Natascha Jänsch ist überzeugt: Die Geständnisse der Asowstal-Kämpfer wurden durch Folter erpresst. Was sie zum Beispiel im Falle ihres Neffen stutzig macht, ist vor allem seine akkurate Sprache. "Mein Neffe sprach nie perfekt Russisch", berichtet sie. "Auf dem Geständnisvideo hört man aber, dass er perfekt Russisch spricht." Es klinge, als ob er einen Text auswendig gelernt habe.

In Russland haben die Schwestern einen Anwalt gefunden, der Artur im Gefängnis besuchen durfte. Ihm habe der junge Mann berichtet, dass er gefoltert wurde – im Winter habe er bis zum Knie im kalten Wasser stehen müssen, sei verprügelt und mit Stromkabeln geschlagen worden, sagt seine Tante. Artur habe massive Probleme mit den Nieren und der Prostata, berichtet die Nürnbergerin, vermutlich eine Folge der Misshandlungen.

Freigelassene Soldaten berichten von Misshandlungen

Anfang des Jahres befragte das Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen 60 freigelassene ukrainische Soldaten. Auch sie berichteten von Folter und Misshandlungen, von wiederholten Schlägen auf verschiedene Körperteile, Isolationshaft, Folterungen an Genitalien, Androhung von Vergewaltigungen oder mangelhafter Ernährung.

"Ukrainische Kriegsgefangene in den Händen Russlands werden regelmäßig Opfer von Folter und anderen Misshandlungen. Dazu gehören Scheinhinrichtungen, Schläge, Elektroschocks und summarische Hinrichtungen." Amnesty International in einer E-Mail an BR24

Auch unfaire Gerichtsverfahren seien üblich, erklärt die Amnesty-International-Expertin für Europa und Zentralasien, Janine Uhlmannsiek. So sei der ukrainische Menschenrechtsverteidiger Maksym Butkevich wegen Kriegsverbrechen zu 13 Jahren Haft verurteilt worden, obwohl er sich zum Zeitpunkt der Tat nachweislich an einem anderen Ort aufgehalten habe. "Wir gehen davon aus, dass man ihn gezwungen hat, ein 'Geständnis' vor einer Kamera abzulegen", so Uhlmannsiek.

Hoffnung auf Gefangenenaustausch

Der Kampf um das Asowstal-Werk in Mariupol endete am 20. Mai 2022. An diesem Tag ergaben sich die letzten ukrainischen Soldaten den russischen Angreifern. Seitdem wurden Dutzende von ihnen für einen Gefangenenaustausch ausgewählt – wie viele es waren, dazu gibt es unterschiedliche, nicht überprüfbare Angaben. Zuletzt wurden nach ARD-Recherchen Ende Mai jeweils 75 Menschen pro Seite ausgetauscht. Wie viele Asow-Kämpfer darunter waren, ist unklar, auch, wie viele noch in russischer Gefangenschaft sind.

Keine sicheren Angaben zu Zahl der Gefangenen

Die ARD-Korrespondentin Rebecca Barth in Kyjiw, die viel über die Asowstal-Kämpfer berichtet hat, hält die Zahl von etwa 1.500 Soldaten aus Mariupol für glaubhaft, es könnten aber auch bis zu 2.000 sein, sagt sie. "Oft wissen auch Behörden oder Anwälte nicht, ob die Menschen noch leben, da auch viele in Gefangenschaft sterben – so erzählen es ehemalige Kriegsgefangene", berichtet Barth. Nach ihren Informationen fiel das Urteil gegen Artur Niverchuk im Dezember 2023.

Wie viele ukrainische Soldaten sich insgesamt in russischer Gefangenschaft befänden, dazu gebe es widersprüchliche Angaben. Putin berichte von 6.500 ukrainischen Gefangenen, die Nachrichtenagentur Reuters von 8.000 inklusive Zivilisten. Von der ukrainischen Regierung gibt es nach Angaben der ARD-Korrespondentin keine Angaben.

Artur lebt, aber im Gefängnis

Nach zwei Jahren ohne eine Nachricht haben Natascha Jänsch und ihre Schwester endlich Gewissheit: Artur lebt. Doch was für eine schreckliche Gewissheit ist das, dass der 23-Jährige sein ganzes Leben im Gefängnis verbringen soll? Natascha Jänsch will trotzdem zuversichtlich bleiben. Sie hofft auf einen weiteren Gefangenenaustausch, trotz der lebenslangen Freiheitsstrafen für Artur Niverchuk und seine Kameraden. Sie will stark bleiben. Für ihre Schwester. Und für ihren Neffen.

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