Nato-Generalsekretär Mark Rutte und Bundeskanzler Olaf Scholz im November 2024.
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Nato-Generalsekretär Mark Rutte und Bundeskanzler Olaf Scholz im November 2024.

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Nato-Insiderin: "Berlin hat das Problem Russland klein geredet"

Nato-Insiderin: "Berlin hat das Problem Russland klein geredet"

Deutschland habe die Aggression Russlands jahrelang ausgeblendet. Im Interview mit BR24 spricht Nato-Insiderin Stefanie Babst von Versäumnissen, Uneinigkeit in der Nato – und darüber, was Deutschland für seine Verteidigung tun muss.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Müssen wir Angst vor einem Krieg in Deutschland haben? Sind wir bereit für den Ernstfall? Im Interview mit BR24 für das neue "Possoch klärt" (Video oben, Link unten) fordert Nato-Insiderin Stefanie Babst deutlich mehr Anstrengungen bei der Landesverteidigung – und sie spart nicht mit Kritik an den Bundesregierungen.

"Es ist schwer, in der Nato einen gemeinsamen Nenner zu finden"

Babst war leitende Mitarbeiterin des Internationalen Stabs der Nato und fungierte 2006 bis 2020 als stellvertretende beigeordnete Generalsekretärin der Public Diplomacy Division. Sie galt damit zu dieser Zeit als ranghöchste Deutsche im Nato-Generalsekretariat. Seitdem ist sie in der Politikberatung und als Publizistin tätig.

BR24: Frau Babst, Sie sind ehemalige Nato-Insiderin, haben in führender Position Verteidigungsstrategien entwickelt. Welche Haltungen gab es in der Nato gegenüber Russland?

Stefanie Babst: Es gab im Bündnis nach 2014, also dem ersten Überfall Russlands auf die Krim und der Besetzung Teile des Donbas eine ganze Reihe von Nato-Mitgliedstaaten, die sehr wohl gesehen haben, dass vor unseren Augen ein super-aggressives, gewaltbereites, kleptokratisches Mafia-Regime entsteht. Und dann gab es auf der anderen Seite Staaten, zu denen gehörte insbesondere Deutschland, die das jahrelang ausgeblendet und kleingeredet haben.

BR24: …und heute?

Babst: Es ist schwer, in der Nato einen gemeinsamen Nenner zu finden. Und eine der wenigen wirklich positiven Botschaften der letzten Jahre ist in meinen Augen, dass wir nun mit Schweden und Finnland zwei Mitgliedstaaten in der Nato haben, die militärisch gut ausgestattet sind, die bodenständig in ihrer Wahrnehmung sind, was Russland angeht und die eine hervorragende eigene Rüstungswirtschaft haben.

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Nato-Insiderin und Politologin: Stefanie Babst

"Wir dürfen nicht weggucken"

BR24: Müssen wir uns Sorgen machen wegen eines Kriegs bei uns in Deutschland?

Babst: Russlands Ziel ist nicht nur die Vernichtung der Ukraine, sondern auch die Destabilisierung unserer Gesellschaften, unserer demokratischen Systeme. Wir sind also nicht abseits und sicher hinter einem Zaun, sondern wir sind Gegenstand von hybriden Angriffen.

Ja, wir müssen uns Sorgen machen, aber vor allen Dingen müssen wir uns verteidigungsbereit zeigen. Und das ist etwas, was ich in Deutschland nicht so wirklich beobachten kann. Wir dürfen nicht weggucken und wir müssen unsere Verteidigungsbereitschaft und Resilienz in jeder Form verstärken.

BR24: Resilienz verstärken, wie sieht das konkret aus? Es gibt ja jetzt den "Operationsplan Deutschland"…

Babst: Das Verteidigungsministerium hat ein Papier von etwas mehr als 1.000 Seiten produziert, um eben letztendlich zusammen mit den Ländern, mit den Kommunen, mit Wirtschaftsunternehmen, mit allen Akteuren zu versuchen, Deutschlands Zivilbevölkerung und unsere zivile Infrastruktur besser zu schützen.

Das ist alles im Prinzip richtig und gut. Aber das dauert viel zu lange. Ich würde mir ein Beispiel an den Schweden nehmen wollen – die haben letzte Woche ein kleines Heftchen verteilt an alle Haushalte und ganz konkret dort beschrieben, was im Falle eines kriegerischen Angriffes, aber auch im Falle von hybriden Angriffen für die Bevölkerung zu tun ist.

Im Video: "Operationsplan Deutschland" – Kommt der Krieg zu uns? Possoch klärt!

Nüchternheit und Realismus: Vorbild Schweden

BR24: Wie verteidigungsbereit sind wir denn mit Blick auf die Stimmung in der Bevölkerung? Gedanken an Krieg schiebt man ja gerne beiseite.

Babst: Wir müssen uns daran machen, eine Welt zu verlassen, in der wir uns in den letzten 30, 40, 50 Jahren sehr komfortabel eingerichtet haben und unsere Verteidigung und Sicherheit quasi outgesourct haben. Nach dem Motto: Das kümmert uns nicht. Ich möchte hier eigentlich nur mein Leben schön leben, dreimal im Jahr in Urlaub fahren und zwei Autos kaufen.

Sich der Realität zu stellen, heißt ja nicht, dass beispielsweise die Schweden oder Dänen oder Balten oder Polen – verzeihen Sie mir den Ausdruck – kriegsgeil wären und mit voller Begeisterung sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Sondern die haben einfach einen sehr nüchternen und realistischen Blick auf das, was um uns herum passiert, und sagen: Ich will mich ja nicht zum Opfer machen.

"Wir brauchen mehr Geld, mehr Klarheit, mehr Leute"

BR24: Nach den ganzen Mängelrügen. Was muss Ihrer Meinung nach jetzt konkret geschehen? Was raten Sie der künftigen Bundesregierung?

Babst: Wir brauchen mehr Geld. Wir brauchen eine klare Entscheidung, ob wir zurück zu einer Wehrpflicht oder ein Dienstpflicht-Modell wollen. Wir brauchen ganz einfach viel mehr Leute, die dann letztendlich auch einen Beitrag zur Verteidigung leisten wollen in professioneller Form.

Und da können wir uns nicht hinter dem Argument verstecken: Wir haben zu wenig Kasernen – das ist Kindergartenniveau. Sorry, wenn ich das so sage. Diese Entscheidungen müssen jetzt möglichst schnell fallen. Wir brauchen dann auch wirklich finanzielle Anreize und Planungssicherheit für die Rüstungsindustrie.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

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