Der deutsche Arzt Wolfgang Wodarg behauptet unter anderem in Youtube-Videos, die Coronavirus-Pandemie sei reine Panikmache.
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Corona-Virus: Arzt setzt viele falsche Behauptungen in die Welt

Corona-Virus: Arzt setzt viele falsche Behauptungen in die Welt

Der deutsche Arzt Wolfgang Wodarg behauptet unter anderem in Youtube-Videos, die Coronavirus-Pandemie sei reine Panikmache. Mit den Fakten nimmt er es dabei nicht so genau, wie der #Faktenfuchs recherchiert hat.

Er ist ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter und Lungenarzt. Aber mit seiner angeblichen Expertise in Sachen Corona setzt Wolfgang Wodarg derzeit viele falsche Behauptungen in die Welt - die sich stark verbreiten. So stark, dass Karl Lauterbach, SPD-Bundestagsabgeordneter und ebenfalls Mediziner, ihn auf Twitter heftig kritisiert: "Wodargs Position ist unverantwortlicher FakeNews ", schrieb Lauterbach.

Der #Faktenfuchs hat recherchiert: Wodarg behauptet, dass das neuartige Coronarvirus Sars-Cov-2 nicht neu sei und die Folgen der Infektion nicht schlimmer seien als die jeder anderen Grippe-Saison. Der #Faktenfuchs hat recherchiert: Wodarg banalisiert in Youtube-Videos die Gefahr von Corona und unterstellt Wissenschaftlern Panik-Mache. Er operiert mit falschen Zahlen, liefert für seine Behauptungen keine Belege.

Das aktuelle Coronavirus ist neu

Wodarg behauptet, dass Sars-Cov-2 nicht neu sei und die Folgen der Infektion nicht schlimmer seien als die jeder anderen Grippe-Saison. Doch das ist falsch: 

1. Es ist neu.

2. Die Übertragbarkeit ist leichter als das gefährliche Sars-1-Virus

3. Die Pathogenität ist höher als bei bisherigen, bei uns im Umlauf befindlichen, Corona-Viren und sogar höher als bei Influenza.

4. Es gibt keine Behandlung, keine Impfung, anders als bei Grippe und anderen Infektionen.

5. Viele werden infiziert ohne zu erkranken, stecken aber genau deshalb ältere und immungeschwächte Personen an, die daran schwer erkranken und sterben können. 

6. Durch den explosionsartigen, exponentiell ansteigenden Infektionsverlauf (anders als bei Influenza) kann es zur Überlastung in Krankenhäusern kommen, so dass auch die Versorgung von Influenza-Infizierten und anderen Erkrankten gefährdet ist und somit auch hier die Todesfallzahlen steigen können, zusätzlich zu Covid-19-Toten. Somit sind die aktuellen Maßnahmen keine Panik-Mache, sondern begründet.

Wodargs Corona-Behauptungen im Detail

Hier prüfen wir die entscheidenden Aussagen in dem Video mit dem Titel "Stunning insights into the Corona-panic by Dr. Wolfgang Wodarg" - Nebulöses, Spekulatives und reine Andeutungen lassen wir dabei außer Acht.

Es wird behauptet, Sars-Cov-2 sei kein neuartiges Virus. Zitat: "Corona-Viren gab es schon immer, sie sind bei 7-15 Prozent aller Atemwegserkrankung dabei." In einem anderen Video (ZDF, Frontal 21) behauptet Wodarg, Corona-Viren lösten 15 Prozent der "Lungenkrankheiten" aus.

Und weiter, Sars-Cov-2 sei "nichts Besonderes, das heißt nicht, dass sie gefährlicher sind als andere Viren". Das jetzige Sars-Cov-2 sei nur eine Mutation der bisherigen, üblichen Corona-Viren. "

Wodargs Behauptungen zum Coronavirus im Faktencheck

Stimmt das? Ist das Sars-Cov-2 in diese bekannte Corona-Virus-Gruppe einzuordnen? Was hat Sars-Cov-2 mit den bisher aufgetretenen Corona-Viren gemeinsam - oder was ist der Unterschied? Ist es genauso harmlos oder normal? Ist es nur eine harmlose Mutante? Und wenn Sars-Cov-2 eine Mutationsfolge ist, könnte es dann nicht durch weitere Verbreitung zu noch mehr gefährlicheren Mutationen kommen?

Coronavirus: Alles Wissenswerte finden Sie hier. 

Tatsächlich gibt es viele Corona-Viren, die zirkulieren. In der Regel verursachen sie harmlose Erkältungen, die höchstens gefährlich sind für Menschen mit ausgeprägter Immunschwäche (zum Beispiel HIV oder Blutkrebs). Diese Infektionen können auch die unteren Atemwege befallen und somit Lungenkrankheiten auslösen. Endemisch, also in Deutschland und Europa auftretend, sind die humanen Corona-Viren 229E, NL63, HKU1 und OC43. Und allein in Tieren kommen weltweit rund 300 Corona-Virus-Typen vor. Die Klasse der Corona-Viren ist groß, alltäglich und bekannt. Wodarg hat also recht, wenn er sagt, dass Corona-Viren nichts Neues sind. Soweit hat Wodarg recht. (Unrecht hat er hingegen in einem früheren Video, in dem er behauptet, es gebe etwa 100 Viren). 

Alte Coronaviren nur bei starker Immunschwäche lebensbedrohlich

Das neuartige Corona-Virus Sars-Cov-2 aber ist eine Mutante, bei der unter anderem das S-Gen verändert ist. Diese ist für die Ausbildung von Proteinen, insbesondere der sogenannten "spikes", der Andockstellen an Wirtszellen, verantwortlich. Das heißt, dieses Virus kann sich somit leicht übertragen, konkret: von Rachen zu Rachen. Entscheidend: Es ist darüber hinaus deutlich krankheitserregender als die bereits bekannten Corona-Viren, wie die Zahl der vielen Schwerstkranken und Toten eindeutig belegt. Genetiker haben festgestellt, dass das Sars-Cov-2 eine 79-prozentige Übereinstimmung mit Sars-1 hat, das wesentlich pathogener ist als Erkältungsviren und im Jahr 2003 zu einer deutliche höheren Todesrate führte als Erkältungsviren. Das Robert-Koch-Institut RKI geht sogar davon aus, dass Sars-Cov-2 sogar zu mehr Todesfällen führt als Influenza („echte“ Grippe).

"Jedes Jahr würde man, wenn man es testen würde an Menschen, die an Atemwegserkrankungen gestorben sind, bei davon 2000 bis 3000 Menschen auch Corona-Viren nachweisen können", behauptet Wodarg. Diese Aussage geht ins Leere, da ihr Inhalt nicht widerlegbar ist – weil auf diese anderen Corona-Viren in der Regel nicht getestet wird. Wodargs Behauptung ist dadurch auch nicht belegbar. Aber, und das ist wichtig: Diese Corona-Viren, die Wodarg hier anführt, sind für Erkältungskrankheiten verantwortlich, die – außer bei starker Immunschwäche – nicht lebensbedrohlich sind. Diese unterscheiden sich in ihrer genetischen Ausstattung und damit ihrer Pathogenität von Sars-Cov-2, das eher dem Sars-1-Virus ähnelt.

Vergleiche zwischen Influenza und Corona nicht zweckdienlich 

Wodarg behauptet auch, aufgrund von Sars-Cov-2 stürben nicht mehr Menschen als durch Influenza. Für diese Behauptung fehlt jeder Beleg, da die Pandemie erst am Anfang steht. Genaue Todesfall-Zahlen gibt es zudem auch nicht zu Influenza. Diese werden jährlich geschätzt. In einer schlechten Saison können es laut Robert-Koch-Institut in Deutschland allein 20.000 Tote durch Influenza sein. Dies betrifft aber eine ganze Saison, also etwa acht Monate, von Oktober bis Mai. In Italien starben innerhalb von sechs Wochen, schon zu Beginn der Pandemie, mehr als 2.500 Menschen an dem neuartigen Corona-Virus. Wegen der exponentiellen Infektionsrate ist bei einer ungebremsten Verbreitung mit einer deutlichen höheren Zahl an Toten zu rechnen als durch eine besonders pathogen verlaufende Influenza-Infektion.

Hinzu kommt: Durch diesen explosionsartigen, exponentiell ansteigenden Infektionsverlauf (anders als bei Influenza, die oft in bis zu drei in Wellen abläuft) kann es zur Überlastung in Krankenhäusern kommen, sodass auch die Versorgung von Influenza-Infizierten und anderen Erkrankten gefährdet ist. Somit können auch bei anderen Kranken die Todesfallzahlen steigen - zusätzlich zu Covid-19-Toten. 

Todesfall-Raten sind nicht zu beziffern

Wodarg stellt infrage, dass durch Sars-Cov-2 mehr als durch Influenza und Co. jährlich sterben. Das impliziert auch die Frage: Werden durch Sars-Cov-2 zusätzliche Menschen sterben? Oder sind die ergriffenen Maßnahmen überflüssig?

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es bei jeder Massen-Infektion schwierig ist, eindeutige Todesfälle, bei denen eine Infektion kausal war, zu zählen und damit Todesfall-Raten (Letalität: Anteil der Todesfälle an allen Infizierten) zu berechnen. Das hat eine Reihe von Gründen: Zur korrekten Berechnung müssten alle tatsächlich Infizierten gefunden werden. Wenn viele nicht gefunden oder übersehen werden, etwa weil ihre Symptome nur mild sind (Dunkelziffer), werden sie nicht mitgezählt und gehen nicht in die Statistik mit ein. Somit erscheint die Todesfallrate höher als sie tatsächlich ist. Das passiert beispielsweise, wenn bei leicht Erkrankten keine oder zu wenige Tests gemacht werden. Andererseits kann es auch passieren, dass nicht alle Todesfälle erkannt und der Infektion zugeordnet werden, was die Letalität senkt.

Influenza-Fallzahlen werden von Wissenschaftlern geschätzt

Das gilt auch für die jährliche Influenza, auf die sich Wodarg unter anderem bezieht, wobei er selbst in einem anderen Video Influenza, Erkältungskrankheiten und allgemeine Atemwegserkrankungen durcheinander wirft. Die Fallzahlen der Influenza und damit auch ihre Todesfall-Raten werden von offiziellen Stellen nur geschätzt. Demnach gilt für die Influenza in einer normalen Saison die Rate von 0,1 Prozent (bis zu 0,7 Prozent in "schlechten" Jahren, wie 2017/18).

Für Sars-Cov-2 hingegen gilt laut Johns Hopkins University in China,außerhalb Wuhans, die Rate von 0,7 Prozent, für Südkorea die von 0,69 Prozent, also eine – geschätzt – etwa siebenfach höhere Sterblichkeit als in "normalen" Influenza-Jahren oder so hoch wie bei einer besonders schlechten Influenza-Saison. Das RKI geht sogar von einer zehnfach höheren Letalität aus (Stand 27.2.2020).

Dunkelziffer ist hoch

Für Italien gibt die Johns Hopkins University beispielsweise folgende Zahl an: 2.503 Tote und 31.506 Fälle (insgesamt; Stand 18.3.2020). Daraus ergäbe sich eine Todesfallrate von knapp 7,8 Prozent. Dies ist jedoch sicherlich viel zu hoch und gibt das reale Bild nicht wieder, da auch berichtet wird, dass – wie oben angesprochen – viele mild verlaufene Fälle nicht getestet wurden. 

Daraus wird klar: Nur bei genauer Fall-Erfassung und erst am Ende der Pandemie wird man valide Aussage zur Sterblichkeit machen können. Klar ist aber auch, dass die absoluten Fallzahlen im Falle Chinas, des Iran und Italiens hoch sind. 

Nochmal zum Vergleich: In "schlechten" Influenza-Jahren gibt es in Deutschland geschätzt rund 20.000 Tote – in einer ganzen Saison. In Italien allein gab es bislang durch Sars-Cov-2 in wenigen Wochen, zu Beginn der exponentiell verlaufenden Pandemie, mehr als 2.500 Tote. 

Ein wichtiges Detail: Bisher ist unklar, ob diese Menschen durch Sars-Cov-2 zusätzlich gestorben sein werden - oder statt Influenza. Dies ist allerdings weder zu belegen noch zu widerlegen. Viele Gestorbene litten bereits vorher an Erkrankungen, die das Immunsystem schwächten. Solche Patienten sterben auch leichter an Influenza. Ob, wie Wodarg unterstellt, Covid-19 die Influenza einfach nur ersetzt, sprich: ob durch Covid-19 genauso viele oder gar dieselben Menschen sterben, die sonst an Influenza gestorben wären, ist zur Zeit nicht belegbar. Das wird erst am Ende der jetzigen Pandemie feststellen können. Klar ist aber schon jetzt: Auch die an anderen Krankheiten leidenden Patienten laufen Gefahr, durch Überlastung der Krankenhäuser schlechter oder gar nicht behandelt werden zu können. Deswegen zielen die Maßnahmen auch nicht allein darauf ab, Infektionen generell zu verhindern, sondern zu verzögern, um die Versorgung aufrecht halten zu können. Zudem besteht die Gefahr, dass Patienten, die gerade eben eine Influenza überstanden haben und deswegen immungeschwächt sind, dann Covid-19 zum Opfer fallen.

Bei Corona fehlen Grundimmunität und Impfstoff

Was Sars-Cov-2 zudem gefährlicher als Influenza macht, ist, dass es weder eine Grundimmunität in der Bevölkerung gibt noch einen Impfstoff.

Trotz der bisher bekannten absoluten Fallzahlen behauptet Wodarg, da sei sozusagen nichts, alles sei von Wissenschaftlern aufgebauscht, um Geld zu verdienen. Er vergleicht das mit den Märchen "des Kaisers neue Kleider": wörtlich: "Der König ist nackt" und Wissenschaftler seien "Hofschranzen" der Regierung. Die Fakten sprechen dagegen - auch wenn eine Tatsache in die Irre leiten kann:

Junge Menschen oft milde oder keine Symptome - das ist gefährlich

Viele, vor allem junge Menschen, zeigen nur milde oder gar keine Symptome. Das deutet aber eher auf eine gefährliche, denn auf ein ungefährliche Pandemie hin. Denn diese jungen, gesunden Patienten stecken dann noch eher andere an als im Falle einer Influenza, bei der sich auch junge und gesunde krank fühlen und keine Kontakte mehr aufnehmen. Bei Sars-Cov-2 sind damit ältere und immungeschwächte Personen noch gefährdeter als bei einer Influenza, bei der auch junge Patienten sofort bettlägerig sind.

Fazit

Wodargs Behauptungen zum neuartigen Corona-Virus, widersprechen größtenteils den belegbaren Fakten. Einige Aussagen sind weder widerlegbar noch belegbar - erweisen sich aber bei genauer Betrachtung als irreführend: etwa, dass man bei entsprechenden Tests, jedes Jahr bei vielen Menschen Corona-Viren feststellen könne. Da diese Tests nicht gemacht werden, ist das nicht zu belegen. Selbst wenn das stimmen würde: Diese Viren sind für Erkältungskrankheiten verantwortlich, die – außer bei starker Immunschwäche – nicht lebensbedrohlich sind. Sie haben eine andere genetische Ausstattung und sind damit weniger krankheitserregend als das aktuell sich stark verbreitende Corona-Virus Sars-Cov-2.

Dieses ist neu, es überträgt sich leichter und ist krankheitserregender als frühere Corona-Viren oder die Influenza. Bislang gibt es - anders als bei der Influenza und anderen Infektionen - keine Behandlung, keine Impfung. Der explosionsartige Infektionsverlauf (anders als bei Influenza) kann zur Überlastung in Krankenhäusern führen, sodass auch andere Todesfallzahlen steigen können. Somit sind die aktuellen Maßnahmen keine Panik-Mache, sondern angemessen.

19. März 2020, 12.00: Wir haben nach Veröffentlichung diesen Artikel für die bessere Lesbarkeit und Verständlichkeit des Textes angepasst und an einigen Stellen präzisiert und ergänzt. Zudem haben wir einen Namensfehler korrigiert (an einer Stelle stand der falsch Vorname "Dieter", diesen haben wir aus dem Text genommen).

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