Den nachfolgenden Generationen weniger Schulden vererben, das ist der Zweck der sogenannten "Schuldenbremse". Doch ist das Gesetz noch zeitgemäß und flexibel genug, um auf die aktuellen Krisen zu reagieren? Darüber wird gestritten. Fragen und Antworten zur Schuldenbremse:
Wie funktioniert die Schuldenbremse?
Um die in der Folge der globalen Finanzkrise der Jahre 2007 und 2008 stark gestiegenen öffentlichen Schuldenquoten zu senken, hat eine Föderalismuskommission 2009 unter anderem die Regel zur Begrenzung der Neuverschuldung erarbeitet, die sogenannte "Schuldenbremse". Nach Verhandlungen zwischen Bund und Ländern wurde die Schuldenbremse im Frühsommer 2009 mit Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat beschlossen und im Grundgesetz verankert. Für den Haushalt 2011 wurde sie erstmals angewendet. Die Schuldenbremse verschärft in der Praxis für Deutschland die haushaltspolitischen Maastricht-Kriterien, die in der gesamten Euro-Zone gelten.
Im Kern geht es darum, dass Bund und Länder ihre Haushalte grundsätzlich ohne die Aufnahme von Krediten ausgleichen müssen. Das klappt nur, wenn die Nettokreditaufnahme 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts nicht überschreitet. Auf diese Weise wird die Staatsverschuldung begrenzt.
In den 2010er-Jahren sank die Nettostaatsverschuldung der Bundesrepublik, Experten führen das aber in erster Linie nicht auf die Schuldenbremse zurück, sondern vor allem auf das damalige Wirtschaftswachstum, die stark sinkenden Zinsen und eine geringe Arbeitslosigkeit. Diese Komponenten führten zu einer starken Entlastung des Haushalts und machten es dem Bund einfacher, die Schuldenbremse einzuhalten.
Welche grundsätzliche Kritik gibt es an der Schuldenbremse?
Die Schuldenbremse stand seit ihrer Einführung auch in der Kritik. Einige Experten sagen, sie verhindere wichtige öffentliche Investitionen, der Staat spare ihretwegen bei Straßen, Schienen, Brücken oder der Bildung. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hält die Schuldenbremse für "schädlich". Sie sei "ein Überbleibsel einer vergangenen Zeit", so DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Die Bundesregierung müsse "ihre engstirnige Obsession mit der Schuldenbremse in diesen Krisenzeiten aufgeben". Er empfiehlt stattdessen eine Mindestgrenze für ökologische, wirtschaftliche und soziale Investitionen, damit Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig blieben.
Welche Ausnahmen sind vorgesehen?
Für außergewöhnliche Notsituationen wie der Coronakrise oder Naturkatastrophen kann die Schuldenbremse ausgesetzt werden. Für die dadurch entstehenden Mehrausgaben muss die Regierung aber einen Plan zur Abzahlung vorlegen. Ob die Schuldenbremse eingehalten wird, prüft das Bundesfinanzministerium bei der Haushaltsplanung. Wegen der Corona-Pandemie und der Energiekrise aufgrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine nahm der Bund für die Haushaltsjahre 2020, 2021 und 2022 diese Ausnahmeregelung in Anspruch.
Auch eine symmetrische Berücksichtigung der konjunkturellen Situation ist möglich: In konjunkturell schlechten Zeiten wird die zulässige Nettokreditaufnahme konjunkturbedingt erhöht, in konjunkturell guten Phasen wird sie im Gegenzug reduziert. Für das Jahr 2023 sieht der Haushalt der Bundesregierung vor, dass die Schuldenbremse wieder eingehalten wird. Das ist allerdings nur möglich, weil der Staat auch im Rahmen der Schuldenbremse in konjunkturell schlechten Zeiten mehr Schulden machen darf als in guten Zeiten.
Im Video: Streitgespräch zur Schuldenbremse
Warum ist die Schuldenbremse aktuell in der Diskussion?
Das Bundesverfassungsgericht hat in der vergangenen Woche entschieden, dass 60 Milliarden Euro an ungenutzten Kreditermächtigungen für den Kampf gegen die Corona-Pandemie nicht rückwirkend in den Klimatransformationsfonds verschoben werden dürfen. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hatte gegen das Manöver der Ampelkoalition geklagt. Die Mittel waren bislang für zahlreiche klimapolitische Projekte vorgesehen. Wie die fehlenden 60 Milliarden im Bundeshaushalt aufgefangen werden sollen, darüber streitet die Politik nun – und deshalb auch über die Schuldengrenze.
Wie kann die Schuldenbremse umgangen werden?
Beispiele für die Umgehung der Schuldenbremse sind die zahlreichen milliardenschweren Sonderfonds, etwa der Corona-Wirtschaftsstabilitätsfonds (WSF), der Energie- und Klimafonds (EKF), der inzwischen unter dem Namen Klima- und Transformationsfonds (KTF) läuft, der Wirtschaftsstabilisierungsfonds für die Gas- und Strompreisbremse oder auch das sogenannte Sondervermögen für die Bundeswehr. Die Summen, um die es hier geht, tauchen nicht im regulären Haushalt auf und unterliegen daher auch nicht den Vorgaben der Schuldenbremse. Man lagert die Ausgaben quasi aus. Für das Sondervermögen Bundeswehr ging die Bundesregierung jedoch auf Nummer sicher und verankerte es im Grundgesetz. WSF, EKF und KTF sind hingegen nicht auf diese Art abgesichert.
Die Schuldenbremse erneut aussetzen?
"Kurzfristig muss die Bundesregierung die Schuldenbremse nochmals aussetzen. Dafür gibt es eine gute Begründung, denn die Auswirkungen der Energiekrise sind längst nicht ausgestanden", sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell der "Rheinischen Post". Das Karlsruher Urteil zeige, dass die Schuldenbremse unflexibler sei als gedacht – eine grundlegende Reform sei daher notwendig, Investitionen müssten künftig ausgenommen werden.
"Wirtschaftsweise" Monika Schnitzer schließt sich dieser Sichtweise an: "Eine transparente Lösung könnte sein, eine erneute Ausnahme von der Schuldenbremse zu begründen mit den Auswirkungen der Energiekrise", sagte sie der "Rheinischen Post". Schnitzers Gremiumskollegin Veronika Grimm ist anderer Meinung: "Das Aussetzen der Schuldenbremse per Notfallregel erfordert eine Notlage", sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Dies sei "nur schwer zu argumentieren".
Streit bei den Ampel-Parteien um die Schuldenbremse
In der Ampelkoalition könnten die Positionen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes unterschiedlicher nicht sein. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sprach sich für Änderungen an der Schuldenbremse aus. "Wir Grünen werben schon seit vielen Jahren dafür, die Schuldenbremse zu reformieren, da sie ökonomisch schlecht gemacht ist", sagte sie dem "Tagesspiegel" (Montag). Die Regel bremse notwendige Investitionen aus und sei "in ihrer jetzigen Form eine Belastung für den Wirtschaftsstandort Deutschland". Jetzt zeige sich zudem, dass die Schuldenbremse auch in Krisenzeiten nicht flexibel genug sei, um Menschen und Unternehmen richtig zu unterstützen.
"Da wir uns durch äußere Einflüsse in einer fortdauernden krisenhaften Situation befinden, plädiere ich auch weiterhin dafür, die Schuldenbremse für 2023 und 2024 auszusetzen", sagte SPD-Chefin Saskia Esken den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Auch eine allgemeine Reform der Schuldenbremse sei "unausweichlich". Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich noch nicht explizit geäußert. Die Bundesregierung werde "entsprechend der Regelungen, die das Bundesverfassungsgericht uns mitgeteilt hat", handeln, sagte Scholz nach dem Urteil.
Bundesfinanzminister und FDP-Parteichef Christian Lindner sagte in der "Bild am Sonntag": "Die neue Rechtsklarheit ist kein Anlass, die Schuldenbremse zu schleifen, sondern sie zu stärken." FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr fordert soziale Einschnitte. "Die Koalition ist aufgefordert, Lösungen zu finden, um die Staatsfinanzen weiter zu konsolidieren. Dabei müssen wir auch darüber reden, wo der Sozialstaat seinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten kann", sagte Dürr den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Die Union will an der Schuldenbremse festhalten
Eine Reform der Schuldenbremse in der aktuellen Legislaturperiode scheint völlig undenkbar, zumal die Koalition bei der Grundgesetzänderung auch auf Stimmen der Union angewiesen wäre. Sie warnt die Regierungskoalition davor, die Schuldenbremse auszusetzen. "Die einzige Notlage, die wir haben, ist vielmehr eine von der Bundesregierung selbstverursachte politische Notlage", sagte CDU/CSU-Chefhaushälter Christian Haase den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Es gibt aber keine ökonomische Notlage, denn sonst hätte die Bundesregierung diese ja schon kurz nach ihrer Herbstprognose im Oktober erklären müssen."
Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Alexander Dobrindt will an der Schuldenbremse festhalten: "Das Einhalten der Schuldenbremse hat dazu geführt, dass wir in Krisenzeiten überhaupt Geld hatten." Er wirft der Ampelkoalition in der Sendung "Anne Will" zu hohe Sozialausgaben vor. Kindergrundsicherung, Bürgergeld und das Heizungsgesetz wären zu teuer in der aktuellen Lage. Das Schaffen eines weiteren im Grundgesetz verankerten Sondervermögens lehnt er kategorisch ab.
Mit Informationen von dpa, AFP, tagesschau.de
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