Ein Haufen leerer Kaffeebecher, Journalisten mit müden Gesichtern stehen herum, auf dem Boden liegen allerlei Kabel und technisches Gerät. Es ist ein langer Gang im Jakob-Kaiser-Haus, einem Gebäude des Bundestags. Hier warten Reporter und Techniker – auf den Fahrstuhl. Immer, wenn er hält, gibt er ein lautes Bling von sich. Clemens Justus, der für Welt TV auf Informationsjagd ist, verfolgt das bis in die Nacht: "Ich höre abends, wenn ich einschlafe, immer dieses Geräusch vom Aufzug, das lässt mich nicht mehr los."
Sondierungen: Schweigsame Politiker – und ein Paukenschlag
Auch die anderen Journalisten am Fahrstuhl warten, dass ihnen ein- oder aussteigende Politiker ein Info-Häppchen zuwerfen. Doch das 18-köpfige Verhandlungsteam von Union und SPD hat sich weitgehendes Schweigen verordnet.
Außer Informationen wie "Stimmung ist gut" oder "Wir brauchen gute Ergebnisse" hört man fast nichts. Bis Dienstag. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Kurz vor 19 Uhr heißt es: Pressekonferenz – jetzt! Union und SPD haben sich auf ein riesiges Finanzpaket geeinigt.
CDU, CSU und SPD schnüren ein riesiges Finanzpaket
In der Eurokrise sagte Mario Draghi, damals Präsident der Europäischen Zentralbank, man werde den Euro retten, "what ever it takes" – "was immer es kostet". Und Dienstagabend hören die Journalisten mit Staunen Friedrich Merz zu: "Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: What ever it takes."
Merz, der mögliche, wahrscheinliche neue Kanzler, geht in die Vollen. Zusammen mit der SPD verabredet die Union Geld für die Verteidigung – ohne Limit. Wegen US-Präsident Trump und seiner Abkehr von Europa. Plus ein 500 Milliarden schweres Sondervermögen für die Infrastruktur. Es wird möglich, was für die Union unmöglich schien: enorme neue Schulden. Kehrtwende? Wahlbetrug? Was ist das jetzt? Der grüne Außenpolitiker Anton Hofreiter nimmt kein Blatt vor den Mund: "Herr Merz hat sich an die Macht gelogen."
Sondierungen zwischen Union und SPD – und die Grünen sind auch gefragt
Die Grünen sind verbittert. Das, was jetzt kommt, haben sie VOR der Wahl die ganze Zeit gefordert. Und dann – am Mittwoch – ist auch noch Politischer Aschermittwoch in Bayern. CSU-Chef Markus Söder macht weiter mit dem Grünen-Bashing. "Die Grünen waren gegen uns, sie waren gegen Bayern und sie haben vom Wähler die Quittung bekommen. Es ist vorbei."
Vorbei? Nein, ist es eben nicht. Denn um das Finanzpaket mit Zwei-Drittel-Mehrheit durch den Bundestag zu bringen, müssen die Grünen mit ins Boot. Die Stimmung dort ist ziemlich im Keller. "Das, was wir gerade von Tönen hören, insbesondere von Markus Söder, das widert an", sagt Britta Haßelmann, grüne Co-Fraktionschefin. Die Grünen murren laut und lassen offen, ob sie das schwarz-rote Finanzpaket mittragen werden.
Von Sondierungen zur Koalition ist noch ein weiter Weg
Nach dem Paukenschlag in Sachen Finanzen bleibt fast ein bisschen auf der Strecke, dass Union und SPD noch andere harte Nüsse knacken müssen. Die Innere Sicherheit, die Sozialpolitik mit dem Bürgergeld, die Steuern, die Wirtschaft – und die Migration!
Die Union will an der Grenze Migranten ausnahmslos zurückweisen. So hatte es Friedrich Merz vor der Wahl gesagt. Rote Linie! Keine Kompromisse! Und dann zieht SPD-Chef Lars Klingbeil Mittwochabend seine rote Linie. "Die SPD wird keine faktischen Grenzschließungen mitmachen". Könnte man zusammenkommen bei der Migration?
Es braucht wohl noch etwas Geduld für echte Antworten. Denn Sondierungen sind nur ein erstes Herantasten. Sehen, was gehen könnte. Bis zum Abschluss von Koalitionsverhandlungen ist es noch ein weiter Weg. Bis Ostern – oder länger! Reporter Clemens Justus verrät, wie er die langen Stunden des Wartens überbrücken will: "Ich habe jetzt angefangen, meinen Angelschein zu machen auf dem Handy." Na dann: Petri Heil!
Im Video: BR-Korrespondent Tim Aßmann zu den Sondierungen von Union und SPD
BR-Korrespondent Tim Aßmann zu den Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD in Berlin
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