Ende Oktober in einem Tagungshotel im Münchner Norden: Beim Europäischen Gesundheitskongress liegt etwas in der Luft. Eigentlich sind die größtenteils fensterlosen Tagungsräume kein Ort für emotionale Debatten. Aber vor wenigen Tagen erst hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken von der CDU stabile Krankenkassenbeiträge für das Jahr 2026 angekündigt. Eigentlich eine gute Nachricht.
Ein Versprechen – und viele Zweifel
Das Versprechen klingt noch nach im Tagungsraum, als Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der Krankenkasse DAK, ans Rednerpult tritt. Die DAK, Deutschlands drittgrößte Krankenkasse, hat gut fünf Millionen Versicherte. Und Storm ist verärgert. Denn in den kommenden Wochen werden viele Kassen an ihre Mitglieder Briefe verschicken müssen mit der Mitteilung: Der Beitrag steigt. Das Versprechen der Ministerin werde sich nicht halten lassen, warnt er.
Die Kosten für Arzneien, Krankenhausbehandlungen und Arzthonorare seien deutlich schneller gestiegen als die Einnahmen. Deshalb müsse man die Beiträge erhöhen, erklärt Storm: "Sie müssen erhöhen, weil die Ausgabenentwicklung so stark war, dass in diesem Jahr bei weitem nicht alle Kassen ausreichend ihre Rücklagen auf die 20-Prozent-Marke erhöhen konnten." Laut Gesetz muss jede Krankenkasse mindestens 20 Prozent einer Monatsausgabe als Rücklage vorhalten. Viele liegen darunter, bestätigen mehrere Kassenchefs.
Kritik: Nicht der Wahrheit entsprechend
Storm ist mit seiner Kritik nicht allein. Der IT-Dienstleister Bitmarck, der mit vielen Kassen zusammenarbeitet, rechnet damit, dass etwa die Hälfte der gesetzlichen Versicherer ab Januar teurer wird. Der Zusatzbeitrag könnte auf mindestens 3,1 Prozent steigen – deutlich über den aktuellen 2,9 Prozent, die die Gesundheitsministerin auch fürs kommende Jahr zugesagt hatte.
Storm kritisiert das scharf: "Das finde ich schon extrem bedenklich, wenn man in einer solchen Art und Weise argumentiert, obwohl eigentlich vollkommen klar ist, dass dies nicht der Wahrheit entspricht." Storm, selbst CDU-Mitglied, fürchtet zudem, dass durch falsche Versprechen die Politikverdrossenheit weiter zunimmt: "Das ist aus meiner Sicht nicht nur als Kassenchef, sondern auch als Staatsbürger bedenklich."
Experten sehen Ursachen in der Vergangenheit
Fachleute beobachten die auseinanderklaffende Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben seit Jahren. Leonie Sundmacher, Gesundheitsökonomin an der TU München und Mitglied einer Experten-Kommission, die Vorschläge zur Sanierung der Kassenfinanzen machen soll, erläutert: Vor rund zehn Jahren habe die Politik hohe Rücklagen ermöglicht. Mit dem finanziellen Puffer seien dann teure Reformen angeschoben worden. Man glaubte, sich das leisten zu können. Doch: "2021 fing es an, dass man auch neue Mittel brauchte. Und dann hat man damit angefangen, dass man die Mindest-Rücklagengrenze gesenkt hat. Und jetzt sind die Kassen leer", erklärte die Ökonomin im Frühjahr.
Empfehlung der Ministerin "irreführend"
Auf BR-Anfrage zu den steigenden Beiträgen verweist das Gesundheitsministerium auf ein Interview der Ministerin (externer Link), in dem sie Versicherten empfiehlt, sich im Zweifelsfall eine günstigere Kasse zu suchen: "Es wird Kassen geben, die mit den Mitteln auskommen und die 2,9 oder auch weniger nehmen und welche, die höhere Einnahmen benötigen. Hier gibt es einen Wettbewerb – und das ist auch erwünscht."
Für viele Versicherte sei das allerdings nicht realistisch, warnt Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK. Ein Wechsel sei nur für gesunde Menschen einfach. Für chronisch Kranke oder Menschen mit Hilfsmitteln könne er riskant sein, da vieles neu beantragt werden müsste: "Und diesen Schritt scheuen viele Menschen, sprich: Ein Wettbewerb für die Menschen, die wirklich große gesundheitliche Herausforderungen haben, der existiert de facto nicht", kritisiert Bentele im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk und spricht von "Irreführung".
Kommission erarbeitet Vorschläge
Derzeit arbeitet eine Experten-Kommission an Vorschlägen, wie sich die Beiträge mittel- und langfristig stabilisieren lassen. Im März sollen erste Ideen vorliegen. Ob sie umgesetzt werden können, ist offen. Sicher scheint nur: Kurzfristig wird das Versprechen stabiler Beiträge wohl kaum zu halten sein.
Mehr zu diesem Thema hören Sie heute um 12.17 Uhr im Radioprogramm von BR24 in der Sendung "Funkstreifzug". Den Funkstreifzug finden Sie unter diesem Link schon jetzt als Podcast in der ARD-Audiothek.
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