Ramsan Kadyrow (Archivibild)
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Der Machtapparat des tschetschenischen Präsidenten Kadyrow wird für viel Morde vom Regimekritikern im Ausland verantwortlich gemacht.

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Regimekritiker und die Angst vor Kadyrows Killern

Regimekritiker und die Angst vor Kadyrows Killern

"Gegen unsere Familie wurde Blutrache verhängt", sagt der tschetschenische Regimegegner Abdurahmanov. Er sollte in Bayern ermordet werden - mit Wissen des tschetschenischen Machthabers. Deutschland fällt es schwer, solche Kritiker zu schützen.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Vorsichtig sei er, immer auf der Hut, sagt Mokhmad Abdurahmanov im Interview mit BR24. Seit Mai 2017 lebt der 29-jährige Tschetschene in Deutschland. Doch er findet keine Ruhe. Wie der Münchner Prozess (Urteil im vergangenen August) rund um einen geplanten Mordanschlag auf Abdurahmanov zeigte, verfolgt das Kadyrow-Regime politische Gegner bis ins Ausland - auch Regimegegner wie Abdurahmanov, der seine Kritik in Youtube-Videos öffentlich kundtut.

Ramsan Kadyrow, der Präsident der russischen Teilrepublik im Nordkaukasus, regiert mit eiserner Hand. Er installiert Familie und Verbündete an wichtigen Schaltstellen des Landes. In deutschen Medien wird er oft als "Putins Bluthund" bezeichnet.

Immer mehr Tschetschenen beantragen Asyl

Wer sich dem Regime widersetzt, dem bleibt nur die Flucht vor dem mächtigen Kadyrow-Clan. Immer mehr Tschetschenen beantragen Asyl in Deutschland. Das zeigt eine BR24-Anfrage an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Waren es 2021 noch 758 Erstanträge, stieg die Zahl 2022 auf 1.173 und bis August dieses Jahres sind es schon 3.564. Es könnten sogar noch mehr sein. Denn offiziell haben diese Menschen die russische Staatsbürgerschaft. Die Angabe, dass sie zur Volksgruppe der Tschetschenen gehören, ist freiwillig. Sie flüchten laut BAMF vor dem tschetschenischen Regime. Aber auch der Ukraine-Krieg sei ein Grund. "Vor allem im Nordkaukasus ist es dramatisch, weil die Nordkaukasier überproportional viel eingezogen werden für den Kampf an der Front", sagt Miriam Katharina Heß. Sie arbeitet unter anderem für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. Aktuell erforscht sie die tschetschenische Diaspora in Europa.

Oft fliehe die ganze Familie, so die Politikwissenschaftlerin. Denn Familienmitgliedern von Geflüchteten drohten in Tschetschenien Haft, Folter und Erpressung.

Aber auch in der Diaspora sind Tschetschenen nicht sicher. "Gegen unsere Familie wurde Blutrache verhängt - durch den Vorsitzenden des Parlaments der Tschetschenischen Republik, Magomed Daudov, Spitzname Lord", berichtet Mokhmad Abdurahmanov im Interview.

Mord-Prozess in München

Auf Abdurahmanov sollte ein Mordanschlag verübt werden, als er in einer Asylunterkunft in Bayern lebte. Der mutmaßliche Täter: der 47-jährige Valid D., ein Russe mit tschetschenischen Wurzeln. Ende August wurde er zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Laut Oberlandesgericht München sollte der 47-Jährige im Jahr 2020 den Mord an dem Regimekritiker Abdurahmanov vorbereiten. Er habe unter anderem die Tatwaffe besorgt und das Opfer ausspioniert - im Auftrag des tschetschenischen Sicherheitsapparats. Der tschetschenischen Machthaber Kadyrow habe davon gewusst.

Doch das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidiger sind von der Unschuld des Verurteilten überzeugt. Sie bestätigen BR24 auf Anfrage, dass sie Revision eingereicht haben. Wann darüber entschieden wird, ist noch unklar.

Das Münchner Verfahren zeige, wie "diese ganzen Strukturen verwoben sind", sagt die Politikwissenschaftlerin Miriam Katharina Heß. Letztlich sei eine Frage entscheidend, so die Politikwissenschaftlerin: "Wie viel Sicherheit können wir Personen, die Schutz brauchen, bieten."

Tschetschenische Diaspora sehr heterogen

Die Sicherheit ist in Deutschland nicht immer gewährleistet, wie der Prozess offenbart. Ein Grund ist das schwierige Verhältnis zwischen den deutschen Sicherheitsbehörden und der tschetschenischen Diaspora. Ca. 50.000 Tschetschenen leben nach Schätzungen in Deutschland - eine heterogene Gruppe: Während der beiden Tschetschenienkriege in den 90er- und in den Nullerjahren sind im Nordkaukasus islamistische Gruppierungen stark geworden, die zwar eine Loslösung von Russland wollten, aber einen Gottesstaat zum Ziel hatten. Kadyrow und Islamisten sind Gegner. Der Konflikt ist längst in Deutschland angekommen.

"Derzeit tobt zwischen Islamisten und Kadyrow-Anhängern ein erbitterter Machtkampf", sagt der Islamwissenschaftler und Kenner der tschetschenischen Diaspora, Caspar Schliephack. Ziel sei es, die Diaspora-Jugend für sich zu gewinnen.

Islamisten und Kadyrow-Anhänger hätten wiederum die weit größte Gruppe, die demokratisch gesinnten Exil-Tschetschenen, im Visier, so Schliephack: "Das sind Leute, die sich schon seit den 90er-Jahren für eine demokratische Verfassung in Tschetschenien einsetzen und die mittlerweile nicht mehr nur von russischer Seite, also von Kadyrow und seinen Getreuen, sondern eben auch von islamistischer Seite genau dafür bedroht und teilweise physisch angegriffen werden."

Der schwere Kampf um Asyl

Schliephack arbeitet für die "Fachstelle Islam" in Brandenburg - in einem Bundesland mit einer großen tschetschenischen Diaspora in Deutschland. Einer seiner Schwerpunkte: Er berät staatliche und nicht-staatliche Stellen zum Umgang mit Tschetschenen.

Der Islamwissenschaftler und andere Experten bestätigen: Europaweit gibt es viele Drohungen, physische Attacken und Mordanschläge, mit denen vor allem das Kadyrow-Regime in Verbindung gebracht wird. Zahlen dazu gibt es nicht.

"Wir haben es mit einer ganzen Bandbreite von illegalen Aktivitäten zu tun: Wir sprechen über die Ermordung von Gegnern. Wir sprechen über systematische Einschüchterung - beispielsweise auf den offiziellen Medienkanälen des Kadyrow-Regimes. Wir sprechen über physische Angriffe, die in Deutschland stattfinden", so Schliephack.

Wie sind die Anschläge möglich? Das fragt sich die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Sie fordert von den deutschen Behörden und Gerichten, Regimekritiker besser zu schützen - ebenso die Berliner Anwältin Johanna Künne. Sie hat das anvisierte Opfer Mokhmad Abdurahmanov beim Münchner Prozess in der Nebenklage vertreten. Und sie will auch erreichen, dass ihr Mandant und seine Familie in Deutschland als Asylbewerber anerkannt werden. Seit 2017 versuchen das die Abdurahmanovs vergeblich. Dabei ist ausgerechnet Valid D., der Verurteilte im Münchner Prozess, ein anerkannter Asylbewerber. Seit 17 Jahren lebt er in Deutschland.

BAMF und Verwaltungsgerichte hätten Mokhmad Abdurahmanov nicht geglaubt, dass das Kadyrow-Regime ihn töten wollte, so Künne: "Und selbst als das Ermittlungsverfahren begonnen hat, wurde angezweifelt, ob es ein wirklicher Mordauftrag war oder ob es ein Komplott war, das man sich hat einfallen lassen, um Asyl zu bekommen." Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bestätigt das. "Amnesty hatte im Asylverfahren des Opfers ein Gutachten erstellt und vergeblich auf die Gefährdungslage, in der es sich befand, hingewiesen", teilt die Organisation auf Anfrage mit.

Anwältin: Tschetschenen werden als Islamisten abgestempelt

Dass es anderen Tschetschenen ähnlich geht, darauf deutet die sogenannte Gesamtschutzquote bei Asylbewerbern hin, also Asylanerkennungen und Fälle, bei denen die Genfer Flüchtlingskonvention greift. Bei Tschetschenen ist diese Quote seit Jahren im einstelligen Bereich, 2022 lag sie etwa bei 8,3 Prozent. Bis August 2023 sind es 4,2 Prozent.

Bei Recherchen erfährt BR24 aus Sicherheitskreisen, dass Asylanträge vor allem abgelehnt werden, weil die Behörden viele Tschetschenen für gefährliche Islamisten halten, denen teilweise Anschläge zugetraut werden. Ein weiteres Indiz, das dafür spricht: Das Bundesinnenministerium bestätigt auf BR24-Anfrage, dass unter den tschetschenischen Exil-Oppositionellen auch Islamisten sind.

Allerdings kritisieren Menschenrechtsorganisationen und Anwälte die eindimensionale Sicht der Behörden. Anwältin Künne etwa verteidigt seit 2015 Tschetschenen vor Gericht. Sie sagt, seit Jahren sei es von tschetschenischer Seite eine bewährte Taktik, Kritikern, ob berechtigt oder nicht, den Stempel Islamist aufzudrücken. Was dann über die russischen Behörden auf dem Tisch der Deutschen lande. "Das kann gerechtfertigt sein, zu ermitteln. Teilweise wurde dann Entlastendes aber sehr lange auch nicht gesehen. Und dann wurden Tschetschenen häufig fälschlicherweise als sicherheitsrelevant oder Gefährder eingestuft", so Künne. Jedenfalls können die Behörden abgelehnte tschetschenische Asylbewerber nicht abschieben, weil sie zu Hause vom Kadyrow-Regime verfolgt werden.

Unklare Rolle des Verfassungsschutzes

Das Bundesinnenministerium betont, dass Exil-Tschetschenen in Deutschland geschützt werden, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Auch sagt das Ministerium, dass es "jedem Hinweis über eine Gefährdung einer Person konsequent" nachgehe, "unabhängig von der politischen Ausrichtung der möglichen Geschädigten bzw. Opfer".

Doch: Wie passt diese Beteuerung zusammen mit der Aussage eines Mitarbeiters des Bundeskriminalamtes (BKA) im Münchner Prozess? Er hatte den Angeklagten Valid D. einst verhört. Laut diesem BKA-Beamten arbeitete Valid D. für den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern als V-Mann. In welchem Bereich, bleibt unklar. Jedenfalls soll ein Mitarbeiter dieses Verfassungsschutzes Valid D. die Adresse Abdurahmanovs, also des anvisierten Opfers in Bayern, verkauft haben. Warum, ist bisher ungeklärt. Die Bundesanwaltschaft ermittelt.

Derweil könnte Mokhmad Abdurahmanov doch noch Asyl in Deutschland erhalten. Das Verwaltungsgericht Augsburg hat das BAMF dazu verpflichtet, neu über den Asylantrag zu entscheiden, weil es neue Erkenntnisse gibt. Anwältin Künne ist zuversichtlich, dass es diesmal klappt. Das Urteil des Oberlandesgerichts München habe eindeutig gezeigt, dass das Leben ihres Mandanten gefährdet sei.

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