Ein Reservist der Bundeswehr hält auf einem Übungsplatz ein Sturmgewehr vom Typ G36 des Herstellers Heckler & Koch in seinen Händen.
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Ein Reservist der Bundeswehr hält auf einem Übungsplatz ein Sturmgewehr vom Typ G36 des Herstellers Heckler & Koch in seinen Händen.

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Zivilisten bei der Bundeswehr: "Ein Fehler kann tödlich sein"

Zivilisten bei der Bundeswehr: "Ein Fehler kann tödlich sein"

Während die Bundeswehr bei den Berufssoldaten um Nachwuchs kämpft, interessieren sich immer mehr Zivilisten für die Reserve: vom Lkw-Fahrer über den Rechtsanwalt bis zur Grundschullehrerin. Was bewegt Quereinsteiger zur Ausbildung an der Waffe?

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Im Verteidigungsfall, also wenn das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein Angriff droht, kommen sie zum Einsatz: die Reservistinnen und Reservisten der Bundeswehr. Das Besondere: Auch sogenannte Ungediente können sich zu Reservisten ausbilden lassen. Und während den Berufssoldaten der Nachwuchs ausgeht, zieht die Reserve immer mehr Menschen an, die bisher kaum etwas mit der Bundeswehr zu tun hatten.

Die Schießanlage in Roding im Landkreis Cham liegt versteckt in einem Wald. Die Mittagssonne brennt aufs Gelände, es gibt kaum Schatten. In regelmäßigen Abständen kracht es: Rund 25 Männer und Frauen mit Helmen und in Bundeswehr-Uniformen trainieren hier mit scharfer Gefechtsmunition.

"Bisher nur mal ein Luftgewehr beim Gemeindeschießen"

Anton hat die Übung am Sturmgewehr G36 schon hinter sich gebracht. Gleich steht die Übung an der P8 an. Der 54-Jährige schwitzt, allerdings nicht nur wegen der Hitze: Bis vor einer Woche hat er noch nie eine gefährliche Waffe in der Hand gehabt. "Okay, mal ein Luftgewehr beim Gemeindeschießen oder so was. Also ich bin da komplett unbedarft", sagt er nervös.

Anton absolviert, wie die anderen Schützinnen und Schützen, die Allgemeine Streitkräftegemeinsame Soldatische Ausbildung, kurz: ASSA. Dabei bildet die Bundeswehr im niederbayerischen Bogen Ungediente für die Reserve aus. Sie arbeiten in ganz normalen Berufen, werden aber wie richtige Soldaten trainiert. Keiner muss sieben Monate am Stück im Job fehlen, denn die Ausbildung ist in mehrwöchige Module gegliedert.

Anton ist eigentlich Prüfer für Luftfahrtgeräte. Zuletzt hat er bei der Fluggesellschaft EAT Frachtflugzeuge kontrolliert und gewartet. Beim ersten Schießtraining hätte der 54-Jährige beinahe aufgegeben. Vor allem mit der Uniformweste tat er sich schwer: "Da ist halt immer irgendwie alles im Weg – oder die Arme einfach zu kurz", sagt er lachend. Doch die Aufregung ist ihm deutlich anzumerken.

"Die Waffe ist nicht gefährlich, sie ist tödlich"

Die Rekruten werden zu zweit in den Schießstand geholt. Antons Kameradin Ramona ist 26 Jahre alt. Ihr läuft das Wasser herunter. Sie arbeitet seit neun Jahren als Elektronikerin im zivilen Bereich der Bundeswehr. Dort hat sie Lampen und Steckdosen repariert, jetzt hantiert sie mit Pistole und Sturmgewehr. Die Übung an der G36 war für sie eine Herausforderung – nicht nur körperlich: "Eine Erfahrung fürs Leben und eine, die mich sehr viel Energie gekostet hat", erzählt sie. "Weil die Waffe ist nicht gefährlich, die Waffe ist tödlich. Das muss man sich immer vor Augen halten. Da braucht's viel Vorbereitung, viel Übung, viel Konzentration: Ein Fehler ist tödlich."

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Reservisten bei der Abschlussübung zum Projekt "Ungediente für die Reserve" des Landeskommandos Baden-Württemberg.

Für die meisten heute ist Schießen mit scharfer Munition Neuland. Vergangene Woche haben sie bereits echte Waffen in der Hand gehalten, allerdings bei einer Übung im Schießsimulator. Nun stehen Anton und Ramona mit einer P8 im Schießstand und folgen den Anweisungen ihres Betreuers. Zunächst müssen sie aus einer Entfernung von fünf, dann von zehn, 15 und 20 Metern die Figuren auf den Schießscheiben im Brustbereich treffen.

Ukraine-Krieg Grund für Wunsch nach Verteidigung?

Laut Bundesverteidigungsministerium sind bis Ende Juni über ein seit 2018 laufendes Programm knapp 930 ungediente Frauen und Männer in die Reserve eingetreten. Nach Informationen des Redaktionsnetzwerks Deutschland hat sich die Zahl der Interessenten 2023 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt: auf 482 Zivilisten in diesem Jahr. Auch das Interesse an der ASSA-Ausbildung beim Regionalstab Ost in Bayern ist immens gestiegen. Zwar sind die Männer in der Überzahl, doch auch Frauen interessieren sich zunehmend für die Reserve.

Oberstleutnant Volker Müller, stellvertretender Kommandeur des Regionalstabs für territoriale Aufgaben der Bundeswehr in Bogen, meint, ein Umdenken in der Gesellschaft erkennen zu können: "Meiner Meinung nach liegt es zum einen daran, dass die Bundeswehr insgesamt seit Corona wieder mehr in den Fokus gerückt ist, dass wir auch bei anderen Tätigkeiten eben präsenter waren. Und natürlich liegt es auch daran, dass seit gut eineinhalb Jahren die Bundeswehr im Rahmen der sicherheits- und außenpolitischen Debatte wieder mehr in den Fokus gerückt ist."

Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Frage nach der Verteidigungsfähigkeit in Deutschland neu gestellt. Ob der Ukraine-Krieg bei der Entscheidung vieler für die Reserve tatsächlich eine Rolle spielt oder vielleicht nur den letzten Anstoß gegeben hat, ist schwer zu sagen.

Wer eine Reservistenausbildung abgeschlossen hat, wird anschließend regelmäßig zu Wehrübungen eingezogen. Im Ernstfall würden die Reservisten zum Beispiel kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser und Flughäfen bewachen oder Verwundete transportieren. Aber auch im Friedensfall kommen sie zum Einsatz: Bei Katastrophen wie etwa Überschwemmungen befüllen sie Sandsäcke, sichern Dämme. In den Heimatschutzkompanien nehmen sie auch an großen, internationalen Luftwaffenübungen wie etwa der Air Defender 23 teil.

Motivation: Heimat verteidigen

Anton hat sich für die Ausbildungseinheit bei seinem Arbeitgeber für eine längere Zeit freistellen lassen. Seine Entscheidung für die Reserve habe mit dem aktuellen Weltgeschehen nichts zu tun, sagt er. "Ich finde es halt einfach total toll, dass ich 54 Jahre in einem Land leben durfte, wo ich in Freiheit leben kann. Ich habe 54 Jahre im Frieden gelebt und wollte einfach wieder etwas zurückgeben an mein Land." Denn zu diesem Frieden hat aus seiner Sicht auch die Deutsche Bundeswehr beigetragen. Bisher hatte er bei seinem Einsatz bei der Freiwilligen Feuerwehr das Gefühl, "seinem Land etwas zurückzugeben", wie er es nennt. Seine Heimat zu verteidigen, sieht er als wichtigen, gesellschaftlichen Beitrag. Notfalls eben auch mit der Waffe.

Vom Verwaltungsbeamten über den Manager bis zur Ärztin

Die Gründe für die Entscheidung von Ungedienten, sich als Reservisten ausbilden zu lassen, sind nach Einschätzung von Fabian Forster, Vorsitzender der Landesgruppe Bayern des Reservistenverbands der Deutschen Bundeswehr, so individuell und vielfältig wie die Hintergründe derer, die sich für die Reserve interessieren: "Die kommen aus den unterschiedlichsten Berufen, vom Verwaltungsbeamten bis hin zu einer Führungskraft in einem großen Unternehmen", sagt Forster. "Ärzte, Anwälte, Lkw-Fahrer – also die Reserve ist was für jedes Alter und jede Berufsgruppe."

Der Reservistenverband konnte allein im vergangenen Jahr in Bayern über tausend neue Mitglieder gewinnen. Dieses Jahr sind es auch bereits über 800 – diese Zahlen liegen sogar schon leicht über dem Vor-Corona-Niveau.

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Ziel ist es, eine Reserve von qualifizierten Soldaten aufzubauen, die bei Katastrophen oder zum Heimatschutz eingesetzt werden können.

Grundschullehrerin und vierfache Oma: Zur Reserve "aus Überzeugung"

Birgit ist die Einzige, die schwitzt und trotzdem quietschvergnügt wirkt. Die 56-Jährige erscheint klein und zierlich in ihrer Uniform. Im zivilen Leben ist sie Grundschullehrerin und vierfache Oma. Sie hat ein lautes und ansteckendes Lachen. Warum sie sich für eine Reservisten-Ausbildung entschieden hat? "Ich mache das tatsächlich aus Überzeugung. Ich möchte, dass meine Kinder auch so leben können wie ich – in Freiheit und Demokratie. Denn wenn ich, als demokratischer Staat, sagen kann: Ich habe so viele Leute, die im Notfall einsatzbereit sind – dann hat es schon einen bestimmten Effekt."

Notfalls auch auf Menschen schießen

Letztendlich geht es aber eben darum, den Frieden mit Waffengewalt zu verteidigen. Wie geht sie mit dem Gedanken um, im Notfall vielleicht mal auf einen Menschen schießen zu müssen? "Wir sind ja immer das letzte Mittel", antwortet Birgit und es klingt fast beschwichtigend. Sie versichert: "Bevor ich irgendwas mache, diskutiere ich, glaube ich, jemanden erst mal nieder", und lacht. Dann wird sie ernster: "Aber wenn ich ihn dann nicht mehr niederdiskutieren kann, auch in der politischen Ebene, dann muss ich ja irgendwie mal drohen. Oder? Und wenn ich dann nichts zum Drohen hab, dann kann ich auch nimmer diskutieren."

Anton hat die Schießübung hinter sich gebracht. Er wirkt erschöpft, aber erleichtert. "Es war sehr anstrengend. Ich war heut' extrem nervös", erzählt er. Die erste Übung hat er bestanden, die zweite nicht. Doch der angehende Reservist bleibt zuversichtlich: "Naja – es ist nicht Hopfen und Malz verloren. Ich werd's lernen."

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