Am Montag hat das Berliner Verwaltungsgericht im Eilverfahren entschieden: Drei Menschen aus Somalia, denen die Bundespolizei die Einreise aus Polen nach Deutschland trotz eines Asylgesuchs verwehrt hat, dürfen nicht abgewiesen werden. Das europäische Recht sehe vor, dass auf Bundesgebiet oder direkt an der Grenze geklärt werden müsse, welcher EU-Staat für die Asylanträge zuständig ist. Das dauert bisher oft lange – und nicht alle Staaten nehmen die Menschen wieder auf.
Die Entscheidung des Gerichts wirft viele Fragen auf: Wie geht es weiter mit den von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) angeordneten Zurückweisungen an den Grenzen? Welche Alternativen gibt es? Hier die wichtigsten Antworten.
War es das generell mit Zurückweisungen an der Grenze?
Das ist derzeit noch eine politische Entscheidung, keine juristische. Die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts bezieht sich auf die drei Menschen aus Somalia, die mit Unterstützung der Organisation Pro Asyl geklagt hatten. Dobrindt und andere (Unions-)Vertreter der Bundesregierung sprechen daher von drei Einzelfällen. Bis zu einer möglichen Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs wird es noch dauern.
Allerdings geht von dem Beschluss eine Signalwirkung aus: Die Argumentation des Gerichts ist allgemeingültig. Das Gericht hat seine Entscheidung auf knapp 30 Seiten ausführlich begründet. Obwohl das möglich gewesen wäre, traf die Entscheidung nicht nur eine Richterin – sondern eine dreiköpfige Kammer. Viele Rechtsexperten hatten genau diese Entscheidung erwartet.
Erstmal soll es laut Bundesinnenministerium trotzdem bleiben wie bisher: Auch Menschen, die Asyl beantragen wollen, werden von der Bundespolizei an der Grenze zurückgewiesen – außer vulnerable Gruppen wie Kinder oder Schwangere. Der Migrationsforscher Hannes Schammann sieht das kritisch. "Ich finde es zumindest ungewöhnlich, dass die Bundesregierung erstmal weitermachen will", sagt Schammann auf BR24-Anfrage. "Einzelfallentscheidungen so lange zu kritisieren, bis vielleicht eine kommt, die einem gefällt, ist ein sehr problematischer Ansatz."
Was genau dürfen die drei Menschen aus Somalia jetzt?
Die beiden Männer und eine Frau aus Somalia haben Anspruch darauf, ihren Asylantrag in Deutschland zu stellen. In diesem Rahmen wird dann geprüft, ob das Dublin-Verfahren angewandt wird. Dabei wird festgestellt, welches EU-Land für ihr Asylverfahren zuständig ist. Meist ist das der Staat, in dem die Asylsuchenden zuerst EU-Boden betreten haben.
Das Gericht betont allerdings: Der Grenzübertritt muss nicht ohne Einschränkungen erfolgen. Die Prüfung, ob es sich um einen sogenannten Dublin-Fall handelt, könne direkt an der Grenze oder im grenznahen Bereich stattfinden, es müsse nicht zwangsläufig eine "Einreisegestattung" geben.
Im Video: Christoph Kehlbach (ARD) zum Urteil
Christoph Kehlbach aus der ARD-Rechtsredaktion erklärt das Gerichtsurteil zu den Zurückweisungen.
Was ist gemeint mit Eil- und Hauptsacheverfahren?
Das Berliner Verwaltungsgericht hat im Eilverfahren entschieden. Ein Hauptsacheverfahren würde einige Monate dauern. Ob es dazu im konkreten Fall noch kommt, ist aber unklar. Dieses Hauptsacheverfahren hatte die Klägerin aus Somalia angestoßen, nach dem Eilbeschluss dürfte das Gericht es als in ihrem Sinne entschieden beenden. Zudem ist der Eilbeschluss unanfechtbar.
Hat die Bundesregierung vor Gericht falsch argumentiert?
Das Berliner Verwaltungsgerichts sagt: Das Bundesinnenministerium hat nicht ausreichend begründet, warum ein "nationaler Notstand" die Einreise der drei Menschen aus Somalia verhindert. Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) kündigte mit Blick auf andere Verfahren an: "Da muss ganz offensichtlich nochmal nachgearbeitet werden." Migrationsforscher Schammann sagt dazu: "Was diese Notlage angeht, bin ich zumindest skeptisch. Die Lage ist aktuell deutlich weniger herausfordernd als Ende 2023 – und der Mangel etwa an Kita-Plätzen hat längst nicht nur mit Geflüchteten zu tun."
Aus Sicht des Europarechtlers Daniel Thym lassen sich Zurückweisungen an den deutschen Grenzen durchaus mit einer nationalen Notlage begründen. Das habe die Bundesregierung bisher nicht ausreichend getan, sagte der Professor der Uni Konstanz dem Deutschlandfunk. Klar sei aber: Deutschland habe achtmal so viele Menschen wie Italien aufgenommen, bei einer nur anderthalbmal so großen eigenen Bevölkerung.
Welche Alternativen zu Zurückweisungen gibt es?
Der Migrationsforscher Gerald Knaus hält das Konzept der Zurückweisungen an den deutschen Grenzen für gescheitert. "Alle Fälle, die vor Gericht kommen werden, wird die Bundesregierung verlieren bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof", sagte Knaus in einem "Stern"-Podcast. Knaus ist stattdessen für Abkommen mit Drittstaaten nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals von 2016. Das habe die Migrationszahlen schon einmal reduziert.
Und sonst? Es könnte auch alles bleiben wie bis vor wenigen Wochen – wer einen Asylantrag stellen will, bleibt erstmal in Deutschland. Unmöglich wäre das nicht, die Zahl der Asylanträge ist deutlich gesunken. Darüber hinaus hätte die Bundesregierung weitere Möglichkeiten. Schon jetzt gibt es bundesweit zwei "Dublin-Zentren". Dort sollen Asylberechtigte während des gesamten Verfahrens untergebracht sein, bestenfalls wenige Wochen.
Ein anderer Ansatz wäre, das Europarecht zu ändern und alle Asylantragssteller nach bestimmten Quoten auf die EU-Staaten zu verteilen. Hierzu wären aber langwierige Abstimmungsprozesse unter allen EU-Staaten nötig, eine Einigung ist unwahrscheinlich und in der Vergangenheit gescheitert. Schon jetzt ist klar: Das europäische Asylrecht wird verschärft, Einreisen an den EU-Außengrenzen sollen erschwert werden. Das könnte bedeuten, dass viel weniger Asylsuchende überhaupt bis zu deutschen Landgrenzen kommen. Die EU-Verschärfungen sollen spätestens ab kommendem Jahr greifen.
Mit Informationen von KNA und dpa
Grafik: So viele Anträge auf Asyl gab es in Deutschland seit 1990
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