Besucher stehen am Eingang zum Museum Fridericianum bei der vergangenen Documenta in der Schlange.
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Archivbild: Das Museum Fridericianum ist der Mittelpunkt der alle fünf Jahre stattfindenden documenta.

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Documenta: Gesamte Findungskommission tritt zurück

Documenta: Gesamte Findungskommission tritt zurück

In den vergangenen Tagen hatten sich bereits zwei Mitglieder der Findungskommission für die künstlerische Leitung der Weltkunstausstellung Documenta zurückgezogen. Nach einer Diskussion um Antisemitismus-Vorwürfe traten nun alle Mitglieder zurück.

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Nun ist passiert, was zu erwarten war: Nach dem Rückzug zweier Mitglieder Anfang der Woche, ist jetzt auch die gesamte Findungskommission für die "Documenta 16" im Jahr 2027 zurückgetreten. Die verbliebenen Kommissionsmitglieder Simon Njami, Gong Yan, Kathrin Rhomberg und María Inés Rodríguez hätten sich "in einer äußerst schwierigen Entscheidungsfindung dazu entschlossen, ihrerseits an dem Findungsprozess nicht mehr teilhaben zu wollen", teilte die Documenta auf ihrer Webseite mit.

Zwei Mitglieder waren bereits zurückgetreten

In den vergangenen Tagen hatten sich bereits zwei Mitglieder der Findungskommission, Bracha Lichtenberg Ettinger und Ranjit Hoskoté, zurückgezogen. Aus unterschiedlichen Gründen.

Lichtenberg Ettinger hatte ihren Rückzug in einem Brief an alle Beteiligten mit der aktuellen Situation im Nahen Osten begründet, wie es in einer Pressemitteilung hieß. Demnach bereite es ihr Schwierigkeiten, nach dem 7. Oktober 2023 und dem Beginn des Hamas-Terrors in Israel einen Beitrag zu der Arbeit der Findungskommission zu leisten. Auch weil ihre Bitten abgelehnt worden waren, die Arbeit der Kommission angesichts des Massakers der Hamas zu unterbrechen. Allerdings betonte Lichtenberg Ettinger, dass ihr Rückzug nicht im Zusammenhang stehe mit Antisemitismus-Vorwürfen gegen den indischen Dichter und Kulturkritiker Ranjit Hoskoté.

Hoskoté war in die Kritik geraten, weil er im Jahr 2019 eine Petition mit dem Titel "BDS India" unterzeichnet hatte. BDS steht für "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen". Die Kampagne ruft zum Boykott des Staates Israel und israelischer Produkte wegen des Vorgehens gegen Palästinenser auf. In der Petition, die Hoskoté unterzeichnet hatte, findet sich folgender Satz: "Zionismus ist eine rassistische Ideologie, die einen siedlerkolonialistischen Apartheidsstaat verlangt, in dem Nicht-Juden nicht die gleichen Rechte haben und der in der Praxis, auf der ethnischen Reinigung von Palästinensern in den letzten sieben Dekaden besteht."

Kulturstaatsministerin Roth droht mit finanziellen Konsequenzen

Kulturstaatsministerin Claudia Roth sagte dazu am vergangenen Freitag, dass die von Hoskoté unterzeichnete Erklärung "ganz klar antisemitisch" sei und "vor israelfeindlichen Verschwörungstheorien" strotze. Sie drohte der Documenta finanzielle Konsequenzen an.

Die Documenta hatte mitgeteilt, dass Hoskoté deutlich gemacht habe, dass er die Ziele des BDS ablehne. Auf die "Erwartung einer unmissverständlichen Distanzierung" hin habe er dann seinen Rücktritt erklärt. In seinem Rücktrittsschreiben hatte Hoskoté betont, dass er "das jüdische Volk in höchstem Maße schätze und immer tiefstes Mitgefühl für seine historischen Leiden und Bewunderung für seine glorreichen kulturellen Errungenschaften empfunden habe". Außerdem teile er die BDS-Positionen nicht und unterstütze die Bewegung auch nicht. Er verurteile "den Terror, den die Hamas am 7. Oktober 2023 gegen Israel entfesselt hat".

Findungsprozess soll neu aufgesetzt werden

"Unter dem Eindruck der Terrorattacken der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem zunehmenden Antisemitismus in Deutschland sowie den polarisierten Debatten darum, ist der Arbeitsprozess der Findungskommission für die Künstlerische Leitung der 'Documenta 16' in den vergangenen Wochen immer mehr unter Druck geraten", heißt es nun in der Erklärung der vier zurückgetretenen Mitglieder.

Nach einem "intensiven Gespräch über mögliche Konsequenzen für den weiteren Findungsprozess" hätten die vier Kommissionsmitglieder sich zum Rückzug entschlossen und diese Entscheidung am Donnerstagabend der Geschäftsführung mitgeteilt. Diese respektiere die Entscheidung und habe sich bei allen Beteiligten bedankt, hieß es weiter. Sie werde dem Aufsichtsrat vorschlagen, "den Findungsprozess für die 'Documenta 16' vollständig neu aufzusetzen". Die Findungskommission sollte bis Ende 2023 oder Anfang 2024 einen Kurator, eine Kuratorin oder ein Kollektiv für die kommende Ausgabe im Jahr 2027 vorschlagen.

Nach dem Rücktritt der kompletten Findungskommission sagte Kulturstaatsministerin Roth am Freitag: "Wir brauchen jetzt einen glaubwürdigen Neustart, dafür muss die Documenta auch mit Blick auf ihre Organisationsstrukturen neu aufgestellt werden." Der Bund sei bereit, an der Neuaufstellung mitzuarbeiten.

Bereits die "Documenta 15" war von einem Antisemitismus-Eklat überschattet worden. Die Schau gilt neben der Biennale in Venedig als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst.

Mit Informationen von epd und dpa

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