Fastenredner Maximilian Schafroth auf dem Nockherberg.
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Baut auf die läuternde Kraft des Nockherberg: Fastenredner Schafroth

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Wie viel Drama im Münchner Nockherberg steckt

Wie viel Drama im Münchner Nockherberg steckt

Manche halten das Derblecken für politisches Kasperltheater: Tatsächlich aber ist das jährliche Ritual mit Fastenrede und Singspiel aus dem Stoff, aus dem die Dramen sind. Manchmal sogar mit läuternder Wirkung, wie die Vergangenheit zeigt.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Der Schauspieler Thomas Unger, der morgen auf dem Münchner Nockherberg erstmals den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder doubeln wird, nannte das Derblecken beim Starkbier-Anstich "ein großes politisches Kasperltheater". In den Kategorien des antiken Theaters würde man wohl von einem "Satyrspiel" sprechen. Aber ist am Nockherberg nicht weit Tiefergreifenderes geboten? Natürlich handelt es sich beim traditionellen Singspiel, in dem die Politprominenz parodiert wird, um eine Form der Satire. Aber es geht dabei auch darum, den Mächtigen den Spiegel vorzuhalten, auf dass sie hinterher geläutert von dannen ziehen. Läuterung – in der griechischen Antike war das der gewünschte Effekt der Tragödie, genannt: "Katharsis".

Wie in der antiken Tragödie: Jammer und Schrecken am Nockherberg

Im alten Griechenland entwickelte sich das Theater aus den Dionysien, einem berauschenden Fest, bei dem der Wein in Strömen floss. Am Münchner Nockherberg wird maßkrugweise Starkbier ausgeschenkt. In der Antike aber ging's nicht allein um den Promillepegel, sondern vor allem auch um das Erregungslevel: "éleos" und "phóbos" sollten die Zuschauer laut Aristoteles durchleben, zu Deutsch Jammer und Schrecken. Ob da der Nockherberg mithalten kann?

Fastenredner Maximilian Schafroth findet schon. Der Nockherberg sei geradezu "das Musterbeispiel für Jammer und Schrecken, weil man Leute, die eigentlich einen Hochstatus haben, in einer Situation sieht, wo sie da sitzen wie kleine Schulbuben und Schulmädchen, und sich das gefallen lassen müssen, was gerade so kommt."

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Nockherberg-"Veteran" Theo Waigel

So gesehen ist Maximilian Schafroth, der die Politelite seit 2019 als Fastenredner das Fürchten lehrt, eine Art Sophokles vom Nockherberg, der die starke Wirkung des Derbleckens freilich schon bei seinem Debüt listig herunterspielte – weil sich sein Publikum in falscher Sicherheit wiegen sollte. Was am Nockherberg zu sehen ist, sei ja alles nur Theater, verkündete der Allgäuer Kabarettist damals und sprach dabei Bayerns Ministerpräsident Markus Söder direkt an: "Gell, Markus, da stehen wir drüber!? Wir wissen, kritisches Theater ist wie Homöopathie: Die Linken glauben dran. Wir wissen, es ist wirkungslos."

Gefragt ist gute Miene zum satirischen Spiel

Oberste Regel für all die Söders, Reiters, Aiwangers und Aigners auf dem Nockherberg: immer eisern lächeln, auch bei Witzen auf die eigenen Kosten, um so diese vermeintliche Wirkungslosigkeit des Derbleckens glaubhaft zu demonstrieren. Daran womöglich zu scheitern, glaubt Singspielautor und -regisseur Stefan Betz, birgt das höchste Panik-Potenzial: "Ich glaube, der größte Schrecken ist, wenn man als prominenter Politiker dasitzt und genau weiß, ich komme da irgendwie komisch verbissen und humorlos rüber, dass man da sein eigenes Image abschießt."

Wie es hinter der Fassade aussieht: Theo Waigel verrät es!

Wer in Erfahrung bringen will, wie es wirklich hinter der offensiv zur Schau gestellten Heiterkeit der Politiker aussieht, muss dazu schon bei einem Veteranen wie Theo Waigel nachfragen. Der stand unter anderem als Bundesfinanzminister in Rede und Singspiel im Feuer. Das aber ist mittlerweile lang genug her, dass sich Waigel offen zu seinen Befürchtungen von einst bekennen kann: "Man weiß schließlich auch, was man angestellt hat und was schiefgelaufen ist, und darf dann auch erwarten, dass das aufs Korn genommen wird, zumal als Finanzminister. Der amerikanische Finanzminister Anderson hat einmal gesagt, der Finanzminister, der populär sein möchte, hat seinen Beruf verfehlt. Ob Christian Lindner diesen Satz kennt, weiß ich nicht."

Ein großer Moment der Katharsis

Wie groß die kathartische, also reinigende Kraft des Derbleckens ist, hängt natürlich ganz entscheidend von der Qualität der Darbietung ab. Theo Waigel erinnert an eine Sternstunde der Läuterung auf dem Nockherberg: 2006, als der Kabarettist Bruno Jonas die Fastenrede hielt und den damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber ansprach. Stoiber, so Jonas damals, werde gerade wieder von einer Welle der Sympathie getragen. Aber jede Welle komme irgendwann am Strand an. Und dann, konstatierte Bruno Jonas trocken, "muss man aufstehen und gehen." Theo Waigel erinnert sich an die darauf folgende Reaktion im Saal: "Sekundenlang tönende Stille. Und dann minutenlanger Applaus. In der Sekunde hat man gewusst, die Zeit von Stoiber ist zu Ende!"

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Katharina Schulze als Söders Nemesis?

Selbsterkenntnis freilich setzt auch entsprechende Bereitschaft dazu voraus. Und die, glauben Singspielmacher Stefan Betz und sein Co-Autor Richard Oehmann, ist nicht bei jedermann gleich stark ausgeprägt: "Wir alle sehen zum Beispiel in Markus Söder nicht hinein, aber… naja! Die Lernkurve ist bei ihm, glaub ich, sehr, sehr flach. Es würde ihm auch viel von seinem Elan nehmen, wenn er mit zu viel Selbsterkenntnis belastet wäre. Man muss es auch so sehen. Der braucht seine Kraft auch für was anderes." Zum Beispiel, um sich im bayerischen Landtagswahlkampf gegen Katharina Schulze von den Grünen zu behaupten.

Katharina Schulze als Söders Nemesis?

Vielleicht könnte man in ihr ja Söders Nemesis erkennen, also die Göttin, die menschliche Hybris vulgo Selbstüberschätzung bestraft? Stefan Betz meint dazu: "Sie wär’s gern. Rein dramaturgisch würden wir es auch begrüßen." Aber er habe nicht wirklich das Gefühl, die bayerischen Grünen könnten halbwegs in Schlagdistanz zur CSU kommen.

Digitale Dramolette und analoge Fünf-Akter

Zum ganz großen Drama fehlt dem Polit-Personal offenbar die echte Fallhöhe. Kein Wunder, da heute der große Fünf-Akter ohnehin eher out ist. Die Tendenz geht zur Selbstinszenierung in Minidramoletten auf Instagram oder TikTok, auch bei Politikern. Trotzdem: Sogar im digitalen Zeitalter sollte man die Macht des Nockherberg nicht unterschätzen, rät Maximilian Schaftroth, der findet, Politiker würden sich oft täuschen, wenn sie glaubten, sie bräuchten nur Twitter und Instagram, um die Deutungshoheit über das eigene Image an sich zu nehmen: "Das Schöne ist ja, dass am Nockherberg das Gegenteil passiert. Dass eben kein Funken Deutungshoheit beim Politiker bleibt. Denn wenn einem Markus Söder kurz ein bisschen die Gesichtszüge entgleisen, dann ist der Moment der Wahrheit da. Und in einer Live-Sendung ist es dann eben live, und es ist draußen in der Welt, und die Leute sehen es."

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