Eine Spielfigur von Joffrey Baratheon aus "Game of Thrones" mit Krone auf dem Kopf und goldenem Becher in der Hand vor unscharfem Hintergrund
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Figur von Joffrey Baratheon aus "Game of Thrones" in einer Shopping Mall in Shanghai (2017)

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"Wut und Wertung": Warum streiten wir so hart über Geschmack?

"Wut und Wertung": Warum streiten wir so hart über Geschmack?

Meine Lieblingsserie soll Kitsch sein? Auf Geschmackskritik reagieren wir empfindlich. Warum, das untersucht der Literaturwissenschaftler Johannes Franzen in seinem neuen Buch. Und das ganz ohne die bekannte Klage über die verkorkste Debattenkultur.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Kulturleben am .

Joffrey Baratheon aus "Game of Thrones", in China als handliche Plastikfigur verkauft, ist einer der meistgehassten Charaktere der aktuellen Kulturproduktion. Eitel, grausam, selbstbezogen. Die Serienfans begleiteten ihn mit empörter Wut, die Szene seines qualvollen Vergiftungstodes in Staffel 4 wurde auf Youtube tausende Male kommentiert.

Populärkultur gegen hohe Kunst?

Kulturgenuss, der auf emotionale Belohnung aus ist, hedonistisch also, auch wenn die Gefühle, die da im Spiel sind, negative sind. Dieser Hedonismus wird gern mit Populärkultur verbunden und scharf unterschieden von der hohen Kunst, die nach gesitteter, respektvoller, rein ästhetisch motivierter Rezeption verlangt.

Der ästhetische Diskurs der Moderne, sagt der Literaturwissenschaftler Johannes Franzen im Gespräch mit dem BR, sei von einer starken Sauberkeitsvorstellung geprägt: "Sauberkeit bedeutet, dass die autonome Kunst rein sein muss von der Kontamination von bestimmten Begehrlichkeiten."

Dieses Ideal bezeichnet Franzen als "Kunstparadigma" der Moderne – und zeigt in seinem neuen Buch, dass die reinliche Trennung von Kunst und Leben natürlich doch nicht aufgeht. Ebenso wenig wie die zwischen interesselosem Wohlgefallen und kampfbereitem Fantum: Wer Handke verehrt, verteidigt ihn vielleicht umso zorniger, eben weil es Handke ist und nicht "Game of Thrones".

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Autor Johannes Franzen

Kunst und Moral

Theodor W. Adorno beklagte noch offen resigniert das Unterhaltungsbedürfnis der Massen, 80 Jahre und eine digitale Revolution später fordert ein Massenpublikum mit Bewertungsstürmen auf Amazon die professionelle Kritik heraus. Geschmacksfragen können Machtfragen sein, folgerichtig verhandelt Johannes Franzen auch die wiederkehrende Diskussion über den Kunstkanon und das heikle Verhältnis von Kunst und Moral, Kunst und Politik. Hier arbeitet der Autor einen paradoxen Mechanismus heraus: Gerade die Behauptung der moralbefreiten Autonomie der Kunst wird oft sehr direkt politisiert.

Ein Schlager zum Beispiel, dem Sexismus vorgeworfen wird und den man eigentlich politisch verteidigen möchte, muss dann als Kunstwerk gerettet werden. "Und da steht man“, so Johannes Franzen, "plötzlich in der gleichen Tradition wie Baudelaire, der Mitte des 19. Jahrhunderts gerichtlich verfolgt wurde wegen seiner Gedichte", auch wenn es eben nicht um die "Blumen des Bösen" gehe, sondern um die "Puffmama" namens "Layla".

Angriff auf uns selbst

"Layla", Michael Jackson, J.K. Rowling oder Winnetou: Viele der aufgebrachten Kunstdebatten der zurückliegenden Jahre kommen im Buch vor. Dabei ist es klug genug, sie nicht noch einmal auf Cancel Culture durchzubuchstabieren, sondern auf ihre Muster und ihre Funktion zu blicken.

Die These lautet: Fragen ästhetischer Vorlieben bergen eine ganz starke existenzielle Selbsterzählung in sich. Genau deshalb ist der Streit darüber alles andere als unschuldig, sagt Franzen: "Weil jeder Angriff auf unseren Geschmack, auf das, was wir lieben, eigentlich ein Angriff auf unsere Identität ist."

Und zwar nicht nur auf unsere soziale Identität, sondern darauf, wie wir unsere Seele erzählen. Das Private ist ästhetisch, und das Ästhetische nicht einfach Privatsache. Um dem nahezukommen, entwirft Franzen keine Theorie des Geschmacks, er schreibt eine reale "Konfliktgeschichte der Kunst". Und weigert sich konsequent, sie als Niedergang vom subtilen Gespräch über das Schöne bis hin zum Digital-Krawall zu zeichnen. Umgekehrt allerdings bringt sein Buch die alte Hochkultur zu stark mit Pflicht und Prestige in Verbindung. "Effie Briest" nicht als quälende Schullektüre und "Ulysses" nicht als Renommier-Gegenstand – darüber hätte man gerne mehr gelesen.

Ein Debattenbuch ohne Lamento

Dennoch: "Wut und Wertung" ist ein mitreißendes Buch, das aus der Ödnis der Debattenbücher heraussticht. Das allgemeine Lamento vermeidet es, weil es sich viel zu sehr für die konkreten Phänomene interessiert, bis ins Kleine und Klitzekleine. Den Konflikt betrachtet es als Motor der Kulturgeschichte, und es führt vor, was oft nur müde angemahnt wird: die Lust am Streit. Geschmacksdebatten, sagt Johannes Franzen, seien nun einmal "Messerstechereien", ein "ästhetischer Nahkampf, der im Alltag passiert". Oft unsauber und hart, aber gerade deshalb auch sehr vital.

"Wut und Wertung. Warum wir über Geschmack streiten" von Johannes Franzen ist bei S. Fischer erschienen.

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