"Totale Überwachung mittels 5G und WLAN-Technologie." Mit dieser Überschrift stellte die bekannte Verschwörungswebseite "Klagemauer TV" am zweiten Weihnachtstag ein Video ins Netz, das in entsprechenden verschwörungstheoretischen und rechten Social-Media-Gruppen geteilt und diskutiert wird.
- Dieser Artikel stammt aus 2019. Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier
"Klagemauer TV" ist eine Plattform, die sich selbst zum Spektrum der Alternativmedien zählt. Tatsächlich ist die Basis der Plattform eine christliche Sekte um den Schweizer Esoteriker und Prediger Ivo Sasek. Der umgab sich immer wieder mit Holocaust-Leugnern und wurde deshalb zunächst wegen Rassendiskriminierung verurteilt. (Nachtrag: Ivo Sasek ist mittlerweile vom Vorwurf der Rassendiskriminierung rechtskräftig freigesprochen worden).
"Smart Cities": Staatlich geförderte Überwachung?
In dem aktuellen Beitrag der Webseite geht es um die Digitalisierung Deutschlands. Genauer: In einem rund einminütigen Video zieht eine Sprecherin Verbindungen zwischen dem Mobilfunkstandard 5G, den sogenannten "Smart Cities" und der "totalen Überwachung". Im Beitrag wird behauptet, dass die Bundesregierung festgelegt habe, "alle Städte in Deutschland zu sogenannten Smart Cities" umzubauen, auch mit Hilfe von 5G und WLAN. Der Begriff "Smart Cities", das wird im Verlauf des Videos klar, steht bei "Klagemauer TV" für die umfassende staatliche Überwachung.
Der Begriff "Smart City" steht normalerweise für eine vernetzte Stadt, in der beispielsweise Sensoren im Gehweg verbaut sind und sich so Bewegungsprofile erstellen lassen. Denkbar sind auch Messungen der Ozonwerte, Apps oder papierlose Online-Prozesse für Behördengänge. "Smart City" bedeutet also zunächst nur Digitalisierung in der Stadtplanung oder E-Government. Im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung heißt es auf Seite 47:
"Gemeinsam mit den Ländern wollen wir die Vorteile von Smart City und Smart Rural Area [ländliche Gebiete] für die Menschen nutzbar machen." Koalitionsvertrag der Großen Koalition
Dass die Bundesregierung alle Städte zu "Smart Cities" umbauen will, wie "Klagemauer TV" behauptet, stimmt nur bedingt. Denn es gibt weder ein einheitliches Programm, noch eine einheitliche Definition von "Smart City", wie aus dieser kleinen Anfrage an die Bundesregierung hervorgeht. Vielmehr hält die Bundesregierung alle Städte und Gemeinden dazu an, ihre Verwaltung zu digitalisieren.
Natürlich birgt jede Art von Digitalisierung oder Künstlicher Intelligenz auch die Gefahr der Überwachung. In Deutschland schiebt aber das Grundgesetz dicke Riegel vor. So scheitern hierzulande immer wieder Projekte wegen mangelndem Datenschutz. Kürzlich gab es einen Aufschrei wegen des Vorschlags, Fahrverbote per smarter Videoüberwachung zu kontrollieren. Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung schaltete sich ein und erklärte, das Vorhaben greife in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung ein.
Negativ-Auszeichnung für Smart-City-Projekt der Bundesregierung
Auch private Datenschutzinitiativen sind in Deutschland aktiv. So vergibt der Verein Digitalcourage jährlich den Negativpreis "Big Brother Award" an Personen, Projekte oder Institutionen, die den Datenschutz nicht ernst nehmen. In diesem Jahr ging der Award an das Konzept der "Smart City". Darauf verweist auch das Video der Verschwörungsplattform.
Im Interview mit dem BR Zündfunk erklärte die Initiatorin der Auszeichnung, die Vergabe sei keine Zustandsbeschreibung, sondern explizit als Warnung zu verstehen. Denn die "Smart City" könne sich zur "Safe City", also zur Sicherheits-Stadt, auswachsen. Im Worst Case wäre das "eine Stadt, die mit Sensoren gepflastert" sei und alle Daten der Bevölkerung erheben könne.
Davon ist Deutschland aber meilenweit entfernt. Es gibt hierzulande einen einzigen Modellversuch für eine "Smart City". Getestet wird in München, genauer im gerade entstehenden Stadtteil Neuaubing-Westkreuz. Schwerpunkte sind Elektromobilität, intelligente Lichtmasten und eine App.
Die "Smart City Charta" des Innenministeriums
Noch bevor die aktuelle Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen hatte, wurde über das Konzept "Smart City" diskutiert. In der "Smart City Charta" hat die damals zuständige Behörde für Bau ihre Leitlinien und Vorstellungen zur "Smart City" zusammengefasst. Zum Thema Datenschutz schreiben die Experten, dass "von Anfang an der Datenschutz, unter anderem durch die Trennung personenbezogener Daten zu berücksichtigen" sei. Das Potential großer Datenbestände ("Big Data") könne nur "nach einer Anonymisierung genutzt werden". Desweiteren sei man dem "Gebot der Datensparsamkeit" verpflichtet.
Fazit: Aktuell keine "totale Überwachung"
Schon in der Vergangenheit haben Verschwörungstheoretiker über die "totale Überwachung" spekuliert. Wie bei jeder ihrer Theorien ist auch hier ein Fünkchen Wahrheit dran. Aber Beweise führen sie erneut nicht an. Dass mit dem 5G-Mobilfunkstandard die "totale Überwachung" kommt, wird weder begründet noch nachgewiesen.
Dass "Smart Cities" eine Gefahr in sich bergen, ist wiederum seit Jahren bekannt. In Deutschland jedoch gibt es derzeit nur ein kleines Stadtgebiet (Neuaubing-Westkreuz), in dem Sensoren und smarte Technologien im Städtebau angewandt werden. Dass in Deutschland flächendeckend "alle Städte zu Smart Cities umgebaut" werden und mit Sensoren sensible und vor allem personalisierte Daten erhoben und miteinander verbunden werden ("Big Data"), trifft nicht zu.