Michael Seemann
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“Twitter ist zu einer Nazi-Propaganda-Waffe geworden”

“Twitter ist zu einer Nazi-Propaganda-Waffe geworden”

Eigentlich waren soziale Netzwerke als Orte des Austausches gedacht. Doch diese Zeiten sind vorbei, sagt der Medienwissenschaftler Michael Seemann dem BR Zündfunk. Er warnt: Die wenigsten haben auf dem Schirm, wie schlimm es wirklich ist.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Zündfunk am .

Diskutieren, kommentieren, klüger werden: Soziale Medien wie Twitter sind mit dem Anspruch an den Start gegangen, nicht nur zu unterhalten, sondern auch Informationsplattformen zu sein. Einige Jahre hat das auch gut funktioniert: Fast alle wichtigen Stimmen aus Politik und Gesellschaft, Experten und Blogger sind auf Twitter miteinander ins Gespräch gekommen. Natürlich gab es auch da schon Hass-Kommentare und Filterblasen. Aber im Großen und Ganzen wurde so eine digitale Öffentlichkeit geschaffen, die viel zur Meinungsvielfalt und Meinungsbildung beigetragen hat.

Aus Twitter wird X - und auch sonst ändert sich alles

Doch dieser gemeinsame Raum sei nun verloren, sagt der Kulturwissenschaftler Michael Seemann. Er beobachtet Social Media seit ihrer Entstehung und hat darüber das Buch "Die Macht der Plattformen" geschrieben. Sowohl X, wie Twitter nun heißt, als auch Meta – der Konzern hinter Facebook und Instagram – würden den freien Meinungsaustausch mittlerweile aktiv unterbinden, sagt Seemann im Interview mit dem BR Zündfunk.

Bei Twitter etwa habe sich keineswegs nur der Name geändert. Im Gegenteil: Die ganze Plattform funktioniere nach dem Einstieg von Multi-Milliardär Elon Musk jetzt völlig anders. Der Algorithmus sei verändert, die Belegschaft ausgetauscht und außerdem reihenweise von Twitter verbannte Rechtsextreme zurück auf die Plattform geholt worden.

Elon Musk führe "Krieg gegen die kritische Öffentlichkeit"

"Musk hat sehr viele Hebel in Bewegung gesetzt, um über X seiner Meinung und Weltsicht Ausdruck zu verleihen", sagt Seemann. Der Netz-Experte nennt das einen "Krieg gegen die kritische Öffentlichkeit". Und den führe Musk auch noch "unter dem Banner der Meinungsfreiheit, womit er nur die Meinung von Rechtsradikalen meint, die er zurückgeholt hat auf die Plattform. Twitter oder jetzt X ist – man kann es nicht anders sagen – zu einer Nazi-Propaganda-Waffe geworden." Dass Musk nun explizit pornografische Inhalte pusht, sei ein weiterer Schritt, der die Plattform wegbewegt von Information und Austausch.

Auch den Facebook-Mutterkonzern Meta kritisiert Seemann stark. Meta hat im April angekündigt, politische Inhalte auf seinen Plattformen herunterzudrosseln. Journalistische Berichterstattung und kritische Inhalte haben es jetzt deutlich schwerer, Reichweite zu erzielen.

Die Gründe dahinter sind, anders als bei Elon Musks X, wirtschaftlich: In einem entpolitisierten Umfeld kann der Konzern besser Werbung platzieren. Doch das macht es für Seemann nicht minder problematisch. Denn die Definition von Politik sei nicht eindeutig und das Privatunternehmen Meta habe so den Hebel in der Hand, zu bestimmen, was politisch ist und was nicht.

Eine Machtkonzentration, wie wir sie noch nicht gesehen haben

Äußerst kritisch sieht Seeman auch den bei X und Meta implementierten "For You"-Feed, bei dem die Inhalte nicht mehr aufgrund bewusster Entscheidungen der User ausgespielt werden – sondern die Konzerne bestimmen, was sie für passend halten.

Die Folgen davon hätten bislang die Wenigsten auf dem Schirm: "Ich habe das Gefühl, dass insgesamt in der Öffentlichkeit noch nicht wirklich ein Bewusstsein dafür existiert, wie krass der Eingriff in die digitale Öffentlichkeit ist. Das ist eine Machtkonzentration, wie wir sie noch nicht gesehen haben."

Seemann ist nicht optimistisch, dass sich der digitale öffentliche Raum zurückerobern lasse. Denn eine wirkliche Alternative sei nicht in Sicht. Und die kritische Community, die nach dem Musk-Einstieg nach und nach die Plattform verlassen hat, habe sich entweder auf verschiedene kleinere Netzwerke wie Mastodon oder Bluesky verteilt oder ganz zurückgezogen – und könne so eben nicht mehr eine Öffentlichkeit bilden. Seemanns Fazit: "Die guten Zeiten sind definitiv vorbei."

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