Der Stachel nach der bitteren 0:3-Pleite bei Bayer Leverkusen saß tief bei den erfolgsverwöhnten Münchnern. Mit hängenden Köpfen verfolgten die Spieler nach Schlusspfiff die Jubelarie der Leverkusener vor ihren eigenen Fans. 90 Minuten lang dominierte das Team von Xabi Alonso das Spiel und überzeugte mit erfrischendem Fußball. Das Spiel war vielleicht schon so etwas wie ein vorweggenommenes Endspiel im Kampf um die Deutsche Meisterschaft - fünf Punkte hat Bayer nun Vorsprung auf die Bayern.
Schon vor Anpfiff rätselte Fußball-Deutschland: Was soll die Aufstellung von Thomas Tuchel? Welche Taktik verfolgt der Bayern-Coach? Die 50-Jährige schickte im diesem wichtigen Spiel eine Formation auf das Feld, die niemand erwartet hatte. Nationalspieler Joshua Kimmich saß auf der Bank, für ihn spielte der erst 19-jährige Aleksandar Pavlovic. Defensiv überraschte Tuchel mit einer Fünfer-bzw. Dreier-Kette - ohne Matthijs de Ligt, dafür mit Neuzugang Eric Dier, Asien-Cup-Rückkehrer Minjae Kim und Dayot Upamecano. Erstmals in der Startelf stand Winter-Zugang Sacha Boey.
Fehlte es der Mannschaft an Erfahrung?
Was der FC Bayern dann im Topspiel zeigte, war enttäuschend. In der Abwehr mal wieder anfällig, aus dem Mittelfeld kamen zu wenig Pässe und Superstar Harry Kane blieb mit 18 (!) Ballkontakten in der ganzen Partie farblos. In der 60. Minute reagierte Tuchel und brachte mit Kimmich und Thomas Müller beim Spielstand von 0:2 erfahrene Spieler - doch auch diese Wechsel zeigten keine Änderung im Bayern-Spiel.
Für viele Beobachter war Tuchel der Hauptschuldige für das hochverdiente 0:3 und der Coach geriet in den Fokus der Kritik. Und der erklärte zerknirscht, er "übernehme immer die Verantwortung für die Taktik. Da ist es selbstverständlich, dass ich sie auch heute übernehme." Die Niederlage habe aber "nix mit Taktik zu tun gehabt". Das Ergebnis gebe ihm nicht recht. "Aber wir haben uns eine Woche gut vorbereitet", beteuerte der Trainer.
Bayern-Boss Dreesen: "Da müssen wir den Trainer fragen"
Und wie reagiert die Führungsetage des FC Bayern, nachdem sich Tuchels taktische Experimente nicht ausgezahlt hatten? Über die Ideen bei der Aufstellung des Bayern-Teams mit einer Dreierkette in der Abwehr wolle er nicht spekulieren, sagte Dreesen. Nach einer guten Anfangsphase habe die Mannschaft den Faden verloren. "Woran das liegt? Dafür gibt es Experten. Da müssen wir den Trainer fragen", erklärte Vorstandschef Jan-Christian Dreesen.
Eine Trainerdebatte wollte der Bayern-Boss aber nicht aufkommen lassen. "Da ändert sich gar nichts", sagte Dreesen zur Frage nach der weiteren Zusammenarbeit mit dem Chefcoach. Auf Nachfrage erwiderte der Vorstandsvorsitzende: "Ich mag mich ungern wiederholen."
Müller nimmt Team in die Pflicht und Tuchel in Schutz
Auch Thomas Müller wollte keine Trainerdiskussion führen. Unmittelbar nach dem Abpfiff gab er "Sky" ein äußerst emotionales Interview. Der Ur-Bayer ist ja bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen - aber so aufgebracht hat man ihn bislang nicht gesehen. Mit deutlichen Worten kritisierte er die Einstellung der Spieler: "Da fehlen mir - jetzt können wir unseren Oliver Kahn zitieren - teilweise die Eier und diese Freiheit. Wir haben eine Verkopftheit in unserem Spiel, vor allem mit Ball", sagte der 34-Jährige. Im Training zeige das Team "deutlich bessere Ansätze, weil wir da mutig sind, weil wir da Fußball spielen".
Müller betonte, das sei keine Kritik an Trainer Tuchel. "Wir waren genug Spieler auf dem Platz von internationalem Format, da brauchst du nicht auf den Trainer gehen", sagte der 34-Jährige. "Wovon ich spreche, sind Entscheidungen vor allem mit Ball, das hat was mit der Spielintelligenz zu tun, mit der Selbstständigkeit."
"Die Analyse können wir kurz halten. Die Leverkusener, die zocken einfach, die spielen Fußball, die suchen Lösungen. Wir spielen von A nach B, von B nach C, keiner hat die Freiheit, einfach zu zocken." Thomas Müller, FC Bayern
Joshua Kimmich bestätigte Müllers These. Im Training laufe alles nach Wunsch, doch "generell ist im Spiel wenig zu sehen von Spielfreude, Kreativität, Leichtigkeit, Freiheit. Wir haben echte Probleme damit, uns Chancen zu erarbeiten."
Intensive Tage stehen dem FC Bayern bevor
Dem FC Bayern und Tuchel stehen schwere Tage und Wochen bevor. Am Mittwoch steht bereits das Achtelfinale in der Champions League bei Lazio Rom an. Dreesen gab dem Trainer und dem Team für das Spiel in Rom eine Ansage mit. "Nach so einem Spiel, wo wir klar die schlechtere Mannschaft waren, muss man sich sammeln und nach vorne schauen", sagte er. Das Achtelfinal-Hinspiel der Königsklasse sei eine "Gelegenheit, die Scharte auszuwetzen." Wenn das nicht gelingen sollte, droht eine turbulente Zeit an der Säbener Straße.
Im Video: Thomas Tuchel nach dem Spiel in Leverkusen
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