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Coronahilfen: Betriebe in Bayern zittern vor Schlussabrechnung

Coronahilfen: Betriebe in Bayern zittern vor Schlussabrechnung

Mit Hilfsprogrammen wurden Unternehmen während der Pandemie unterstützt. Doch die endgültige Abrechnung ist so komplex, dass die Abgabefrist erneut verlängert wurde, bis Ende September. Steuerberater und Unternehmer sind verunsichert.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Eigentlich sollte dieser Artikel mit einem Unternehmen beginnen, das noch auf seine Schlussabrechnung der Coronahilfen wartet, so wie viele in Bayern. Doch trotz wochenlanger Recherche will sich kein Betrieb dazu äußern. Interviews werden kurzfristig abgesagt, von Unternehmensspitzen Maulkörbe verteilt, zu groß ist die Angst, dass Nachteile entstehen, wenn man sich jetzt zu dem Thema äußert - jetzt, wo die große finale Abrechnung vor der Tür steht.

Coronahilfen – die Nerven liegen blank

Zu Beginn der Pandemie gab es die Soforthilfen für 260.000 Firmen in Bayern, insgesamt 2,2 Milliarden Euro wurden ausgezahlt. Danach kamen verschiedene Neustarthilfen für Solo-Selbstständige und diverse Überbrückungs- sowie die November- und Dezemberhilfen.

Während die Fristen für die Abrechnung von Sofort- und Neustarthilfen abgelaufen sind, wurden sie für die Überbrückungshilfen sowie für die November- und Dezemberhilfe erneut verlängert, nun bis Ende September 2024. Mit 11,2 Milliarden Euro, die hier im Freistaat ausgezahlt wurden, ist dies auch der größte Posten. 40 Prozent dieser Summe gingen ins Gastro- und Hotelgewerbe. Mit den Überbrückungs- sowie November- und Dezemberhilfen wurden in Bayern 130.000 Unternehmen unterstützt.

In der sogenannten "Schlussabrechnung" müssen Unternehmen jetzt alle Zahlen auf den Tisch legen und angeben, wie hoch der Umsatzrückgang in der Pandemie war. Für 283.000 Anträge muss eine Schlussabrechnung gemacht werden. Abgegeben wurden bislang aber erst 186.971 - und von denen wurden bisher 45.131 Anträge endgültig bearbeitet. Die Nerven liegen blank bei Unternehmen, die nicht wissen, ob sie von dem erhaltenen Geld etwas zurückzahlen müssen, und ebenso bei den sogenannten "prüfenden Dritten" wie Steuerberatern oder Rechtsanwälten, die die Abrechnung machen müssen.

Steuerberater beklagen unklare Vorgaben

Einer dieser prüfenden Dritten ist der Traunsteiner Wirtschaftsprüfer Stefan Dreßler, der zudem im Vorstand des "Landesverbandes steuerberatender und wirtschaftsprüfender Berufe" ist. Er beklagt unklare Vorgaben, die den Kanzleien das Leben schwer machen würden. So habe es in der Antragsphase vom Bundeswirtschaftsministerium Informationen in Form von FAQs, also Fragen und Antworten, gegeben. Doch diese seien leider oft geändert worden, teilweise sehr kurzfristig, ohne Änderungshistorie und ohne die Änderungen kenntlich zu machen. Die Folge sei, dass man heute nicht wisse, was genau zum Zeitpunkt der Antragstellung gültig war. So müsse man heute bei jeder Schlussabrechnung schauen, welche Auslegung damals gegolten habe, welche heute gelte und wie sich diese unterschieden.

Was sagt das Bundeswirtschaftsministerium dazu? Leider nichts. Mit dem Vorwurf konfrontiert, verweist das Ministerium darauf, dass die Coronahilfen schnell und unbürokratisch an existenzbedrohte Unternehmen mit hohen Umsatzrückgängen ausgezahlt wurden. Kein Wort zu unklaren, sich ständig ändernden Vorgaben.

Eine weitere Kritik von Wirtschaftsprüfer Dreßler: Ist die Abrechnung abgegeben, würden von den Behörden sehr viele Nachfragen kommen und Belege angefordert. Selbst bei Fördersummen im sechsstelligen Bereich würden Quittungen von unter 100 Euro gewünscht oder pauschal alle Belege. Dies könnten dann bei einem Fall ein paar tausend Stück sein. Das verstehe er nicht, so Dreßler. Er wünscht sich mehr Vertrauen und, dass die Rolle der Steuerberater ernster genommen wird.

IHK verteidigt genaues Überprüfen der Daten

Die Vorwürfe kann Martin Drognitz nur zum Teil nachvollziehen. Er leitet bei der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern den Bereich Wirtschaftshilfen. Die IHK ist in Bayern für das Bearbeiten der Hilfsprogramme zuständig und somit auch für die Schlussabrechnung und die Nachfragen, die viele Steuerberater kritisieren. Die IHK müsse sich an die Prüfvorgaben des Bundes halten, die Sachbearbeiter an ein gewisses Prüfschema. Bei den ausgezahlten Geldern handele es sich um Steuermittel und da müsse man im Rahmen der Schlussabrechnung natürlich draufschauen.

Wie sieht es mit den intensiven Anforderungen von Belegen aus? Auch diese verteidigt Drognitz. Es sei wie bei jeder Steuererklärung, auch hier müsse man Belege vorhalten. Warum werden jedoch bei Fördersummen im sechsstelligen Bereich auch Nachweise für unter 100 Euro verlangt? Man könne den Gedanken auch umdrehen, meint Drognitz: Warum müsse man etwa noch 30 Euro Portokosten ansetzen, wenn man über 100.000 Euro an Fördergeldern bekomme? Da könne eine Rückfrage entstehen, die vielleicht vermieden worden wäre, wenn man diese Ausgaben nicht angegeben hätte.

Unternehmen haben Angst vor Rückforderungen

Die Gesamtlage ist schwierig. Die Steuerberater fühlen sich ohnehin am Limit, weil die neue Grundsteuer in Bayern zusätzliche Kapazitäten bindet. Die IHK schaut bei der komplexen Abrechnung der Hilfsprogramme genau hin - und dann sind da noch die Unternehmerinnen und Unternehmer, die Angst haben, dass der Staat Geld zurückfordert, wenn die Schlussabrechnung fertig ist.

Der Hauptgeschäftsführer vom Bund der Selbständigen in Bayern, Michael Forster, nimmt wahr, dass viele Gewerbetreibende verunsichert sind und befürchten, dass sie eventuelle Rückforderungen gar nicht zahlen könnten. Deshalb solle man die Möglichkeiten einer Rückzahlung deutlich freundlicher gestalten, etwa mit langfristigen Ratenplänen. So wüsste jeder, dass er das schaffen könne und daran nicht pleitegehe. Im Übrigen gebe es auch bei einigen Selbständigen die Auffassung, dass man das Geld nicht zurückzahlen müsse, sondern dass es ihnen zustehe, sagt Forster - dass ihnen unbürokratische Hilfe zugesagt wurde, bei der es sich nicht um eine Subvention gehandelt habe, die man im Zweifel wieder zurückzahlen müsse.

Wer Schlussabrechnung nicht abgibt, muss alles zurückzahlen

Hier widerspricht Martin Drognitz von der IHK für München und Oberbayern. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass eine Schlussabrechnung gemacht werden müsse. Überraschend könne das für keinen gekommen sein, sagt er. Bei den Rückzahlungen versucht er zu beruhigen. So habe man bei den Überbrückungshilfen sogar mehr Geld nachträglich ausgezahlt als zurückgefordert. Und für all diejenigen, die sich schwertun, zu viel erhaltenes Geld zurückzuzahlen, habe man umfangreiche Stundungs- und Ratenzahlungsmöglichkeiten geschaffen.

Drognitz appelliert noch einmal an alle Unternehmerinnen und Unternehmer, ihre Schlussabrechnung abzugeben. Denn sonst müsse damit gerechnet werden, dass die komplette ausgezahlte Fördersumme zurückgefordert werde - und zwar inklusive Zinsen seit der Auszahlung.

Auch bei Soforthilfen noch viele Daten nicht abgegeben

Und wie sieht es bei den Corona-Soforthilfen aus? Die Frist ist hier am 31.12.2023 bzw. 29.02.2024 für Personen- und Kapitalgesellschaften abgelaufen, allerdings haben noch rund 60.000 Unternehmer in Bayern keine Rückmeldung abgegeben. Hier teilt das Bayerische Wirtschaftsministerium, das für die Soforthilfen zuständig ist, mit, dass die Rückmeldeplattform auch weiterhin geöffnet sei. Heißt konkret: Man kann auch nach Ablauf der Frist noch seine Daten abgeben. Doch hier gibt es viele, die nicht einsehen, dass sie die Soforthilfen ganz oder zum Teil zurückzahlen sollen.

So verweist Achim von Michel vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) darauf, dass die Corona-Soforthilfen von der Politik wiederholt in der Öffentlichkeit als nicht rückzahlbare Zuschüsse angekündigt worden seien. Die Nichtanrechnung von Personalkosten sei für alle Branchen, deren Geschäftsmodell zum großen Teil auf Personalkosten beruhe, schlichtweg weltfremd und auch nicht durchgängig von den Behörden kommuniziert worden. Er hofft nun auf eine gerichtliche Klärung des Sachverhaltes.

BDS: Mittelstand nicht in die kriminelle Ecke stellen

Zurück zu den Überbrückungs- sowie November- und Dezemberhilfen. Auch die neue Frist zum Einreichen der Schlussabrechnung, der 30. September, könnte zu knapp bemessen sein. Michael Forster vom Bund der Selbständigen berichtet von Mitgliedern, die keinen Steuerberater finden würden, da diese derzeit so ausgebucht seien. Er fordert, die Frist zu verlängern, mindestens bis Ende des Jahres, auch für die, die es bisher versäumt hätten, eine Fristverlängerung zu beantragen. Denn es bringe ja nichts, wenn die Mittelständler in die kriminelle Ecke geschoben würden, so Forster.

Auch Stefan Dreßler vom Landesverband der steuerberatenden und wirtschaftsprüfenden Berufe in Bayern glaubt nicht, dass die Frist Ende September zu halten ist. Man hänge heute noch in der Luft, da es Verwaltungsgerichtsverfahren über unklare Rechtsfragen gebe, auf deren Ausgang viele prüfende Dritte und Unternehmer warten würden.

Wirtschaftsministerium gegen weitere Fristverlängerung

Immer wieder tauche die Frage auf, so Dreßler, warum die Steuerberater die Fristen nicht schafften. Dabei seien diese von Anfang an zu knapp bemessen gewesen. Sie seien gesetzt worden, ohne dass sie jemals erreichbar gewesen wären, meint Dreßler. Das Bundeswirtschaftsministerium verweist auf BR24-Anfrage jedoch darauf, dass es sich beim 30.09.2024 um eine letztmalige Fristverlängerung handeln würde und dass man sich ursprünglich sogar dagegen ausgesprochen habe. Ab sofort werde man aber den Prüfprozess weiter vereinfachen und beschleunigen. Auch die IHK für München und Oberbayern verweist darauf, dass man die Abläufe beschleunigen wolle.

Dennoch wird es noch einige Zeit dauern, bis das Kapitel "Coronahilfen" abgeschlossen ist. So plant die IHK für München und Oberbayern als Bearbeitungsstelle für Bayern alle Anträge bis Ende 2025 bearbeitet zu haben. Bundesweit könnte es wohl noch bis Ende 2027 dauern, bis der letzte Ordner geschlossen wird. Bis dahin werden Steuerberater und Wirtschaftsprüfer noch viele Rückfragen bekommen und manch ein Unternehmer dürfte weiter zittern, ob er Geld zurückzahlen muss oder nicht.

Im Video: Corona-Hilfen - Rückzahlungen laufen nur schleppend

Schanktheke einer Wirtschaft
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