Kleiderbügel hängen in Reihe an einer Stange
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Bedroht ein EU-Bürokratiemonster den deutschen Mittelstand?

Bedroht ein EU-Bürokratiemonster den deutschen Mittelstand?

Die EU-Lieferkettenrichtline hat das Ziel, dass sich Umwelt- und Sozialstandards bei Zulieferern in Fernost oder Afrika verbessern. In Deutschland wird befürchtet, es komme zu einer Klagewelle gegen Unternehmen in der EU.

Über dieses Thema berichtet: report München am .

Einmal pro Monat muss die Funktion der Rolltore geprüft und dokumentiert werden. Es sind Rolltore zum Lager des oberfränkischen Textilunternehmens Edmund Lutz. Fast täglich werden diese geöffnet und geschlossen, immer wenn Ware geliefert oder abtransportiert wird. Dennoch verlangt die zuständige Behörde die monatliche Prüfung und Dokumentation.

Thomas Lutz, Geschäftsführer des Traditionsunternehmens, nimmt die Vorschrift gelassen. Aber es sei eben eines der vielen Beispiele für bürokratische Vorgaben, die inzwischen überall im Land Ressourcen binden, die man auch anders einsetzen könnte.

Textilunternehmen bemühen sich seit Langem um hohe Standards

Lutz entwirft Funktionsdamenmode und lässt diese in Fernost stricken. Er verkauft die Ware an große Einzelhandelskonzerne oder Versandunternehmen. Diese verlangen seit Langem, dass er über Zertifikate, wie den "Grünen Knopf" eine nachhaltige, also umweltschonende Produktion gewährleistet. Sein Unternehmen ist Mitglied in einem Verband, der "Audits", also Überprüfungen von Zulieferern in Fernost in Auftrag gibt.

Seine Kunden erwarten, dass er für die gesamte Lieferkette, also alle Fabriken, die an der Produktion eines Modeartikels beteiligt sind, die Verantwortung für die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards übernehme, sagt Lutz. Das beginnt in der Textilbranche abhängig vom Material bei der Baumwollproduktion und setzt sich fort beim Weben, Stricken, Färben und Nähen. Und das sei auch richtig so, dass beispielsweise Überstunden auch in Fernost ordentlich bezahlt werden, so der Unternehmer.

Näherin in Bangladesch soll geschützt werden

Die Ende April vom EU-Parlament verabschiedete Lieferkettenrichtlinie hat das Ziel, dass langfristig alle in EU-Ländern ansässige Firmen mit tausend und mehr Mitarbeitern und mehr als 450 Millionen Euro Umsatz Verantwortung für nachhaltiges und menschenwürdiges Produzieren in den Unternehmen ihrer Lieferkette übernehmen. Es gibt bereits ein deutsches Lieferkettengesetz.

Der Unterschied zwischen dem deutschen und dem der EU ist eine Klagemöglichkeit gegen Unternehmen, in deren Lieferkette gegen Umweltschutz oder Menschenrechte verstoßen wird. Müsste zum Beispiel eine Näherin in Bangladesch unbezahlte Überstunden für ein Mode-Produkt eines großen deutschen Einzelhändlers leisten, soll die Näherin den Einzelhandelskonzern in Zukunft verklagen können.

Mittelständler sorgt sich vor Mithaftung

Das oberfränkische Textilunternehmen Lutz hat 30 Mitarbeiter. Laut EU-Lieferkettenrichtlinie müsste es für einen Verstoß gegen Umweltschutz oder Arbeitsrechte in dessen Lieferkette nicht haften, wenn es eine Klage gegen seinen Kunden gäbe. Doch Thomas Lutz hat Zweifel. "Was der Großkunde mit dem kleineren Zulieferer macht, das sind bilaterale Verträge. Da wird jeder versuchen, möglichst wenig Haftung bei sich im Haus zu halten. Klar wird der, der auf der Verpackung steht, die möglichen Klagen oder Beschwerden bekommen, bloß das wird die Kette durchgereicht", sagt er im Interview mit "report München".

In jedem Fall muss Lutz davon ausgehen, dass weiterhin viel Arbeitszeit für Dokumentationspflichten eingesetzt werden muss. Um den Anforderungen der neuen Richtlinie gerecht zu werden, wird die Bürokratie kaum weniger. Ob kleine und mittlere Unternehmen aufgrund einer Klage gegen das Großunternehmen an einem daraus resultierenden finanziellen Schaden beteiligt werden, ist strittig.

SPD und Grüne für EU-Richtlinie

Tiemo Wölken, EU-Parlamentsabgeordneter und SPD-Mann, hat in Brüssel für die Einführung der Richtlinie gestimmt. Er will kleine und mittlere Unternehmen beruhigen. Diese seien "nicht im Anwendungsbereich", so Wölken. "Die Weitergabe von Haftungsverpflichtungen haben wir ausgeschlossen und sorgen dafür, dass große Unternehmer ihre Verantwortung selbst wahrnehmen", sagt der SPD-Mann. Auch grüne Abgeordnete im EU-Parlament sehen das so.

Verbände und Anwälte gehen von Mithaftung aus

Dem widersprechen jedoch Anwälte und Vertreter von Industrieverbänden ganz explizit. In Wirtschaftskreisen ist von einem Bürokratiemonster die Rede.

Große Unternehmen seien angehalten, mit kleinen Unternehmen ein umfassendes Vertragswerk abzuschließen und sicherlich werde es darin auch Normen und Bestimmungen geben, so dass bei entsprechenden Verstößen auch eine entsprechende Haftung vereinbart wird, erklärt Phillipp Kärcher. Er ist Rechtsanwalt und Spezialist für Unternehmenshaftung der internationalen Anwaltskanzlei "Watson Farley &Williams" in Frankfurt am Main.

So sieht das auch Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Gesamtmetall. Es könne sich durch die Zulieferketten ergeben, dass Haftung umverteilt wird und dann könne es auch kleine und mittlere Unternehmen treffen, die im Zweifel wenig Einfluss darauf haben, was ganz unten in einer Lieferkette passiert, bestätigt er die Befürchtungen des Unternehmers Thomas Lutz im Interview mit dem ARD-Politikmagazin report München.

Bis 2027 soll die EU-Richtlinie in die deutsche Gesetzgebung umgesetzt werden. Kärcher und Zander gehen davon aus, dass Anwaltskanzleien außerhalb der Europäischen Union Klagen gegen Großunternehmen aufgrund von Verfehlungen in der Lieferkette als neues Geschäftsmodell entdecken und eine regelrechte Klagewelle losbrechen könnte.

Thomas Lutz sagt, eine Möglichkeit für Unternehmen, mittelfristig solche Klagen zu umgehen, sei die Robotik. Nicht nur in der Textilbranche könne man in Zukunft immer mehr von Maschinen produzieren lassen. Arbeitsrechte spielten dann eine untergeordnete Rolle.

Mehr zum Thema am 21.05.2024 um 21.45 Uhr bei "report München" im Ersten.

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