Wirtschaftsweise Veronika Grimm.
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Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm will Aufsichtsrätin bei Siemens Energy werden.

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Interessenkonflikt - Darf Wirtschaftsweise Aufsichtsrätin sein?

Interessenkonflikt - Darf Wirtschaftsweise Aufsichtsrätin sein?

Veronika Grimm will Aufsichtsrätin bei Siemens Energy werden. Als Wirtschaftsweise wäre sie dann nicht mehr glaubwürdig, meinen vier ihrer Kollegen. Sie fordern ihren Rücktritt – auch weil seit Langem ein Machtkampf schwelt.

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Von den fünf Wirtschaftsweisen im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) haben vier ihre Kollegin Veronika Grimm in einer gemeinsamen Erklärung ganz offen zum Rücktritt aufgefordert, wenn sie bei Siemens Energy in den Aufsichtsrat geht. Das geschah mit zahlreichen E-Mails und sogar mit einer Presseerklärung, was es in dieser Form noch nie zuvor gegeben hat.

Interessenkonflikte von Wirtschaftsweisen rechtlich nicht anfechtbar

Die Auseinandersetzung wird so hart geführt, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) befürchtet, das Ansehen des Sachverständigenrats könnte Schaden nehmen.

Denn eine einfache Lösung ist nicht in Sicht, der Bund kann wegen der rechtlichen Unabhängigkeit des Gremiums niemanden einfach abberufen. So könnte der Streit jahrelang weiterschwelen.

Kontroverse über Grimms Glaubwürdigkeit bei Energiethemen

Grimm gilt vor allem als Expertin für die Energiewende. Der Aufsichtsratsposten bei Siemens Energy würde nach Ansicht der anderen Wirtschaftsweisen die Unabhängigkeit ihres Gremiums gefährden.

Denn die Siemens-Tochter hat bereits Staatshilfen bekommen, nachdem der Siemenskonzern sich erfolgreich bei Bundeskanzler Olaf Scholz um milliardenschwere Staatsbürgschaften bemüht hatte, damit Siemens Energy gefährdete Projekte weiterfinanzieren kann.

Compliance-Vorwürfe: Überzogen oder gerechtfertigt?

Viele halten die Vorwürfe gegen Grimm für überzogen, weil es ähnliche Aufsichtsratsmandate auch schon früher gab. So stellte sich der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup, der seinerzeit als Rentenexperte galt und zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Axa Pensionskasse war, hinter Grimm.

Die Chefin der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer sagte hingegen, die Zeiten hätten sich geändert. Die Öffentlichkeit sei heute sensibler in solchen Compliance-Fragen der Rechtstreue bei möglichen Interessenskonflikten.

Einen ähnlichen Fall gab es in der Vergangenheit schon einmal, als die frühere Wirtschaftsweise Isabel Schnabel ins Direktorium der Europäischen Zentralbank wechselte. Vor ihrem Wechsel hatte sie sich nicht mehr zu den speziellen Fragen der Geldpolitik der EZB geäußert. Das sei bei globalen Themen wie Energiewende und Klimaschutz nicht möglich, zumal Grimm genau dort ihren Schwerpunkt habe, so die Kritik.

Monika Schnitzer versus Veronika Grimm: Machtkampf der Wirtschaftsweisen?

Monika Schnitzer und Veronika Grimm galten eine Zeit lang eine Zeit Rivalinnen. Beide kämpften darum, den Sachverständigenrat anzuführen, Grimm verlor. Doch in der Öffentlichkeit wird die unterlegene Grimm trotzdem stärker wahrgenommen, weil sie viel mehr Interviews gibt und öfter in Talkshows auftritt als Schnitzer. Dabei äußern beide sich zu sehr unterschiedlichen Themen wie der Einhaltung der Schuldenbremse, den Laufzeiten von Atomkraftwerken oder einer Reform der Witwenrente. Es scheint dabei einen gewissen Wettbewerb um Aufmerksamkeit zu geben, während man von anderen Wirtschaftsweisen wenig hört.

Zuletzt übte Grimm harte Kritik an der Energiepolitik von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Politiker der Unionsparteien nahmen das positiv auf. Die FDP lobte ihre marktliberale Wirtschafts- und Energiepolitik. Journalisten schätzen Grimms offene Art, während andere Wirtschaftswissenschaftler meist zurückhaltender sind und wenig konkrete Aussagen machen.

Interner Konflikt bei Wirtschaftsweisen hat mehrere Ursachen

Dass die Wirtschaftsweisen im Sachverständigenrat unterschiedliche Auffassungen haben, ist ganz normal. Kontroverse Diskussionen und Sondergutachten sind dort üblich.

So kam es häufig schon vor, dass jedes Mitglied in wichtigen wirtschaftlichen Fragen eine andere Meinung hatte. Persönliche Auseinandersetzungen und Rücktrittsforderungen gab es allerdings so bisher noch nicht, zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

Grimms sucht neue Rolle auch als Professorin an der TU Nürnberg

Auch als Wissenschaftlerin beschreitet Grimm andere Wege. Zum 1. März gab sie ihre langjährige Professur an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen auf, um an der benachbarten neu gegründete Technischen Universität Nürnberg einen Lehrstuhl zu starten für "Energiesysteme und Marktdesign", an der Schnittstelle von künstlicher Intelligenz und Wirtschaftswissenschaften. Zum Konzept der TU gehört eine engere Verzahnung von Natur- und Geisteswissenschaften mit Vorlesungen komplett in englischer Sprache. Darüber hinaus leitet Grimm gemeinsam mit dem Chemiker Peter Wasserscheid das in Erlangen ansässige Zentrum für Wasserstoff Bayern.

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