Die Anbindehaltung soll verboten werden. Kühe fixiert im Stall zu halten, gilt als nicht artgerecht. Doch was bedeutet das Ende dieser Praxis?
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Kühe stehen im Stall

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Bald keine Anbindehaltung mehr: Gefährdet das Kühe?

Bald keine Anbindehaltung mehr: Gefährdet das Kühe?

Die Anbindehaltung soll verboten werden. Kühe fixiert im Stall zu halten, gilt als nicht artgerecht. Doch was bedeutet das Ende dieser Praxis? Von einem Kühe-Massensterben spricht eine Landwirtin bei der BR-Sendung "jetzt red i". Stimmt das?

Über dieses Thema berichtet: jetzt red i am .

Karen Hendrix ist leidenschaftliche Landwirtin. Sie betreibt mit ihrem Partner einen kleinen Milchviehbetrieb mit 18 Milchkühen und eigener Nachzucht im Landkreis Rottal-Inn. Doch damit ist bald Schluss. Der Grund: Die Kühe von Karen Hendrix stehen ganzjährig angebunden im Stall. Das will die Bundesregierung in Zukunft verbieten. Laut einem Referentenentwurf des Landwirtschaftsministeriums soll die Anbindehaltung mit Ausnahmen bis 2028 verboten werden.

Für Karen Hendrix bedeutet das: Sie muss sich von den meisten ihrer Kühe trennen. Denn eine Umstellung auf einen Laufstall kann sich der kleine Betrieb finanziell nicht leisten. In der BR-Sendung "jetzt red i" fasst sie die Dimension aber noch weiter: Man könne eine Kuh, die jahrelang in Anbindehaltung gelebt hat, nicht in einen Laufstall integrieren. "Das überlebt die nicht. Im Laufstall herrschen ganz andere Gesetze und da kommt die Kuh nicht mehr mit zurecht. Das wird ein Massensterben an Kühen geben." Eine Aussage, die bisher in der Diskussion rund um das Verbot der Anbindehaltung noch nie zu hören war. Ist das wirklich so?

Tierärztin: Von Massensterben kann man nicht sprechen

Tierärztin Sabine Rudin vom Landeskuratorium der Erzeugerringe für tierische Veredelung (LKV Bayern) versteht, was Landwirtin Karen Hendrix meint. Denn in Anbindehaltung muss eine Kuh ihre Rangordnung nur im geringen Ausmaß mit ihren Nachbarkühen klären. Kommen die Kühe dann im Laufstall in die Herde, müssen sie eine komplett neue Rangfolge mit allen Kühen ausmachen.

Dabei kann es vorkommen, dass ranghöhere Kühe rangniedrigere Kühe so schwer verletzen, dass diese im schlimmsten Fall getötet werden müssen. Das passiere aber zum Glück nur selten, betont Tierärztin Rudin. Von einem Massensterben könne man nicht sprechen.

Weiterer Punkt: Gesundheitliche Folgen

Es gibt noch weitere Gründe, warum die Umstellung von Anbindehaltung auf einen Laufstall für viele Kühe stressig ist. Neben Rangkämpfen spielt laut Sabine Rudin auch die Gesundheit der Kuh eine Rolle. Denn eine ganzjährig angebundene Kuh läuft nicht, ihre Klauen und Gelenke sind entsprechend nicht an die Umstände eines Laufstalls gewöhnt. Hier sei gutes Management gefragt. Vor allem der Zeitpunkt des Umzugs spielt laut Rudin eine wichtige Rolle. Je mehr Horn an den Klauen, desto leichter tun sich die Kühe in der neuen Umgebung.

"Der Anfang ist sicherlich eine harte Umstellung. Trotzdem überstehen die meisten Kühe es gut. Nur wenige Kühe packen die Umstellung aus gesundheitlichen Gründen oder Rangkämpfen nicht und müssen aussortiert werden", fasst die Tierärztin zusammen. Bei den allermeisten Betrieben funktioniere die Umstellung ohne größere Probleme.

Viele Kühe genießen die neuen Freiheiten

So auch bei der Familie Weber aus dem Landkreis Ebersberg. Die Familie hat vor etwa zwei Jahren von einer Anbindehaltung auf eine Haltung im Laufstall umgestellt. Insgesamt 50 Kühe sind damals umgezogen. Die größte Herausforderung war auch hier, die Tiere schonend an die neuen Umstände zu gewöhnen. Plötzlich mussten sie zum Futter und zur Tränke laufen, sich einen Platz zum Liegen suchen und waren mit anderen Kühen konfrontiert. Bei den allermeisten Kühen habe das gut funktioniert, erzählt Schorsch Weber.

Drei der Kühe haben sie allerdings zu den Schwiegereltern gebracht, zurück in einen Anbindestall. Auch zwei Jahre später bemerkt Schorsch Weber bei älteren Kühen in seinem Laufstall, dass sie nicht so recht wissen, was sie mit ihrer neuen Bewegungsfreiheit anfangen sollen. Aber die meisten Kühe genießen die neuen Freiheiten. So wie Familie Weber sind in den letzten Jahrzehnten viele Landwirte vom Anbinde- in einen Laufstall umgezogen. Ein Massensterben hat es nie gegeben.

Schwieriger, wenn Kühe in fremde Herde integriert werden

Schwieriger wird es, wenn Kühe aus Anbindehaltung in eine neue, fremde Herde integriert werden müssen, erzählt Martin Stadler. Er hält im Landkreis Straubing 70 Kühe und hat vor sechs Jahren auf einen Laufstall umgestellt. Das habe damals prima funktioniert.

Als er später allerdings fremde Kühe aus Anbindehaltung in seine Herde integrieren wollte, haben das einige der neuen Kühe nicht geschafft – sie mussten notgetötet und geschlachtet werden. "Die Tiere haben die Kraft nicht. Wenn sie mit anderen Kühen raufen, reicht die Muskulatur nicht aus, um dagegenhalten zu können", so der Landwirt. Die Mehrheit der Kühe konnte sich zwar gut integrieren, aber: "Der Prozentsatz war zu groß. Wenn man weiß, dass es nicht bei allen hinhaut, tut das weh."

Was passiert mit Kühen, deren Betrieb schließen muss?

Die große Sorge von Landwirtin Karen Hendrix aus der Sendung "jetzt red i": "Wenn in ein paar Jahren viele Betriebe aufhören müssen, wo sollen die ganzen Kühe untergebracht werden?" Schätzungen zufolge könnten in Bayern rund 10.000 Betriebe von den neuen Regelungen betroffen sein.

Auf Nachfrage beim LKV Bayern heißt es, dass viele der Kühe etwas früher geschlachtet werden müssten. Das werde aber ein laufender Prozess sein. Schon jetzt gehe die Zahl der Betriebe und Kühe zurück. Sperrt ein Betrieb zu, gehen ältere Kühe oder Kühe mit wenig Milchleistung meist zum Schlachten, jüngere Tiere werden an Berufskollegen verkauft.

Im Video: Ausschnitt aus der Sendung "jetzt red i"

Karen Hendrix bei "jetzt red i"
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Ausschnitt aus "jetzt red i"

Dieser Artikel ist erstmals am 22. November 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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