Die Behauptung, die ein Immunologe auf Twitter verbreitet, ist gleich in zweifacher Hinsicht falsch.
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#Faktenfuchs: Immunität durch Impfung oder Infektion?

#Faktenfuchs: Immunität durch Impfung oder Infektion?

Auf Twitter behauptet ein Toxikologe, der Impfstoffhersteller Merck habe empfohlen, sich lieber infizieren, statt impfen zu lassen – und erntet damit empörte Reaktionen. Zu Recht: Der Hersteller hat das nie gesagt. Und auch die These ist falsch.

Drei Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2-Virus sind in Deutschland inzwischen zugelassen. Doch weltweit forschen Hunderte Unternehmen an Impfstoffen gegen den Covid19-Erreger. Nicht immer haben sie dabei Erfolg. Das US-amerikanische Unternehmen Merck hat Ende Januar mitgeteilt, dass es die Entwicklung von zwei SARS-CoV-2-Impfstoffen aufgegeben hat.

Auf Twitter teilt der Immunologe Stephan Hockertz eine Pressemitteilung des Unternehmens verbunden mit folgender Aussage:

"Merck hat die Arbeiten an zwei Corona-Impfstoffen eingestellt. Das Unternehmen sagte, dass man nach intensiven Forschungsarbeiten festgestellt habe, dass es besser wäre, statt einer Impfung das Virus zu bekommen und sein Immunsystem arbeiten zu lassen." (Stephan Hockertz, Immunologe)

Auf Twitter bringt ihm das neben mehr als 1.000 Likes und 600 Retweets auch viel Kritik ein. Eine Twitter-Userin wendet sich direkt an den #Faktenfuchs mit der Bitte um einen Faktencheck, "denn diese Fake Aussage kostet unter Umständen Menschenleben."

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Neben vielen Likes und Retweets erntet Hockertz auf Twitter auch viel Kritik - wie diese.

Doch hat die Firma Merck, die in Deutschland aus rechtlichen Gründen unter dem Namen Merck Sharp & Dome (kurz: MSD) firmiert, das wirklich so mitgeteilt? Und was sagen Immunologen zu der Aussage, dass es besser sei, wenn der Körper eine SARS-CoV-2-Infektion natürlich durchmache? Wie unterscheidet sich die Immunität nach einer Infektion zu der nach einer Impfung? All das klärt der #Faktenfuchs.

Hat Merck das wirklich empfohlen?

Die erste Frage ist schnell beantwortet: Nein. Auf Anfrage des #Faktenfuchs teilt Kathrin Schwabe, Sprecherin von MSD Deutschland, mit:

"Die Aussage von Herrn Hockertz stammt nicht von uns und verdreht komplett die Fakten." (Kathrin Schwabe, MSD)

Die Sachlage sei eine völlig andere. Man habe sich entschieden, die Entwicklung der beiden Impfstoffkandidaten V590 und V591 zu stoppen. Denn:

"Beide Impfstoffkandidaten wurden zwar von den Studienteilnehmen im Allgemeinen gut vertragen, konnten aber leider nicht die Immunantwort zeigen, die für eine Weiterentwicklung notwendig gewesen wäre. Die Immunantwort war geringer als nach einer natürlichen Infektion. (…) Und das ist auch ganz wichtig: Geringer als bei anderen bereits verfügbaren oder in der Entwicklung befindlichen Impfstoffen gegen Covid-19." (Kathrin Schwabe, Sprecherin MSD)

Anders als von Hockertz suggeriert, hat MSD also nie eine generelle Aussage dazu gemacht, ob es besser sei, das Virus zu bekommen, als sich impfen zu lassen. Eben das geht auch aus der englischsprachigen Pressemitteilung hervor, die Hockertz in seinem Tweet selbst verlinkt – eine Tatsache, auf die ihn auch viele Twitter-User hinweisen.

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Twitter-Nutzer kritisieren, Hockertz gebe die englische Pressemitteilung falsch wider.

In dem Merck-Statement vom 25.01.2021 heißt es wörtlich:

"This decision follows Merck’s review of findings from Phase 1 clinical studies for the vaccines. In these studies, both V590 and V591 were generally well tolerated, but the immune responses were inferior to those seen following natural infection and those reported for other SARS-CoV-2/COVID-19 vaccines."

Auf Deutsch:

"Diese Entscheidung folgt aus Merck’s [so heißt das Unternehmen in den USA und Kanada, Anm. d. Red.] Bewertung der Ergebnisse der ersten Phase der klinischen Impfstoff-Studien. In den Studien wurden zwar sowohl V590 als auch V591 allgemein gut vertragen, doch die Immunantworten waren sowohl denen infolge einer natürlichen Infektion unterlegen, als auch denen, die für andere SARS-CoV-2/COVID-19-Impfstoffe berichtet wurden." (Merck, Pressemitteilung vom 25. Januar 2021)

Auch auf Twitter selbst hat MSD inzwischen auf Hockertz‘ Tweet geantwortet:

Was ist vorzuziehen: Die Immunität nach einer Impfung oder nach einer natürlichen Infektion?

Doch wie steht es eigentlich um die These, die Hockertz äußert und Merck verdreht in den Mund legt? Auch hier haben Experten eine klare Antwort: Aus wissenschaftlicher Sicht ist eine Impfung dem Risiko einer Infektion vorzuziehen.

Zwar gibt es bisher noch keine Ergebnisse von Langzeitstudien - weil es sowohl das neuartige Coronavirus als auch die Impfung noch nicht lange genug gibt. Aber Forscher könnten aus den Erfahrungen mit anderen Impfstoffen Rückschlüsse auf die Dauer des Impfschutzes ziehen, sagt Professor Leif-Erik Sander, Infektiologe an der Charité Berlin.

"Über die Dauer des Impfschutzes und auch die Dauer des Schutzes nach einer natürlichen Infektion kann man noch nicht ausreichend viel sagen. Ich würde aber davon ausgehen, dass ein Impfschutz, der erst mal sich etabliert hat, sehr lange anhält. Über Jahre anhält." (Leif-Erik Sander, Leiter der Impfstoff-Forschung an der Charité Berlin)

Es gibt aber nicht nur Hinweise darauf, dass die Impfung ähnlich lange anhält wie bei einer natürlichen Infektion - sondern auch darauf, dass der Impfstoff besser schützt, so Leif-Erik Sander.

"Bei vielen der Impfstoffe, die jetzt zugelassen sind, ist die Antikörper-Antwort sogar im Schnitt höher als bei Rekonvaleszenten. Also das bezieht sich wieder auf den Durchschnitt der Rekonvaleszenten, also der Genesenen." (Leif-Erik Sander, Leiter der Impfstoff-Forschung an der Charité Berlin)

Zwar ist nach einer Impfung die Immunantwort nicht bei allen Geimpften gleich gut. Die Immunität ist aber im Durchschnitt besser als die durchschnittliche Immunantwort nach einer natürlichen Infektion.

Der Grund dafür: Bei einer Impfung lässt sich die Immunantwort des Körpers ein Stück weit steuern, etwa über die Dosierung des Wirkstoffs. Sie ist deswegen besser vorhersagbar und gleichförmiger als bei einer natürlichen Infektion - wo sie oft stark variiert, sagt der Immunologe Sander.

"Generell ist es so, dass die natürliche Immunität nach einer Infektion sehr variabel ist. Es gibt bestimmte Patientinnen und Patienten, die nach einer Infektion sehr hohe Level an neutralisierenden Antikörpern haben. Es gibt aber auch Patientengruppen, die eher niedrige Level haben, darunter vielleicht auch gerade jene, die einen milden Verlauf hatten. Es gibt aber verschiedene Variablen, die da eine Rolle spielen." (Leif-Erik Sander, Leiter Impfstoff-Forschung, Charité Berlin)

Neutralisierende Antikörper sind ein wichtiger Teil der Immunantwort des Körpers. Sie können Viren gezielt ausschalten und können somit sehr effektiv eingesetzt werden, um vor einer bestimmten Erkrankung zu schützen oder diese zu behandeln. Auch im Kampf gegen Covid-19 bemühen sich Wissenschaftler, neutralisierende Antikörper aus dem Blut von Genesenen zu isolieren und diese so weiterzuentwickeln, dass sie zur Prophylaxe und zur Therapie eingesetzt werden können, wie das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung im Dezember mitteilte.

Mehr Details dazu, wie genau das Immunsystem SARS-CoV-2 bekämpft, finden Sie hier.

Was Wissenschaftlern zufolge sonst noch für eine Impfung spricht

Neben der Stärke und Dauer der Immunantwort gibt es aus wissenschaftlicher Sicht weitere Gründe, die dafür sprechen, dass eine Impfung einer Infektion vorzuziehen ist.

1. Das Risiko eines schweren Verlaufs bis hin zum Tod: Bei einer natürlichen SARS-CoV-2-Infektion erkranken und sterben deutlich mehr Menschen als bei einer Impfung. Für Deutschland teilt das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem Corona-Steckbrief mit: Etwa sieben Prozent der Infizierten müssen im Krankenhaus behandelt werden. Etwa zwei Prozent sterben.

Auch eine Corona-Impfung kann Nebenwirkungen hervorrufen. Im Vergleich zu denen einer Erkrankung sind diese allerdings zu vernachlässigen. Das geht aus einer Untersuchung der Ständigen Impfkommission (Stiko) hervor, einer unabhängigen Expertenkommission, die Impfempfehlungen für Deutschland ausgibt. Sie hat die beiden mRNA-basierten Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna sowie den Vektor-Impfstoff Astrazeneca unter anderem hinsichtlich ihrer Sicherheit bewertet, und sie dafür mit Placebo-Präparaten verglichen, also mit Präparaten ohne Wirkstoff.

Bei den beiden mRNA-Vakzinen traten leichte Nebenwirkungen wie Schmerzen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen, Fieber und Abgeschlagenheit etwas häufiger auf als bei dem von Astrazeneca. Schwere Nebenwirkungen traten unter den Geimpften jeweils nicht häufiger auf als in der Vergleichsgruppe, schreibt das RKI. Es ist also unklar, ob es einen Zusammenhang mit der Impfung überhaupt gibt, oder nur um ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen. Weder in der Impfstoff- noch in der Placebogruppe traten Todesfälle auf, die auf die Injektion des Impfstoffs zurückzuführen waren.

In England und den USA wurde seit Einführung der mRNA-Impfung über einige Fälle berichtet, in denen Menschen allergisch reagierten. In den USA war das bei einer Million Geimpften etwa zehn Mal der Fall. Grundsätzlich sind allergische Reaktionen auch bei anderen Impfstoffen bekannt.

Für Deutschland geht das Paul-Ehrlich-Institut, das Impfstoff-Nebenwirkungen dokumentiert, auf Basis der vorliegenden Daten bisher nicht von einem generell erhöhten Risiko für schwerwiegende unerwünschte Wirkungen bei Allergikern aus. Wer gegen einzelne Inhaltsstoffe des Vakzins allergisch ist, sollte sich allerdings nicht impfen lassen. Berichte über angeblich an einer Corona-Impfung Verstorbene in Deutschland konnten bislang nicht belegt werden, wie wir in diesem #Faktenfuchs recherchiert haben.

2. Das Risiko für Komplikationen und Langzeitfolgen: Nicht nur das potentielle Risiko eines schweren Verlaufs spricht dagegen, eine Corona-Infektion bewusst in Kauf zu nehmen - sondern auch die vielen Komplikationen und Langzeitfolgen, die selbst nach leichten Verläufen und bei jungen Menschen auftreten können.

Das RKI führt diese in einer langen Liste auf, die man hier einsehen kann: Zu den möglichen Komplikationen, die eine Covid-19-Erkrankung begleiten können, gehören: schwere Atemwegsinfektionen; neurologische Symptome und Erkrankungen wie Kopfschmerzen, Schwindel, Verwirrtheit; Probleme mit dem Verdauungstrakt wie Übelkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfälle und Leberfunktionsstörungen. Aber auch: Nierenerkrankungen, Ausschläge, Multiorganversagen.

Zu den Langzeitfolgen gehören einerseits organspezifische Beschwerden, die nach Intensivbehandlungen vorkommen. Aber auch bei milderen Krankheitsverläufen kommen längerfristige Müdigkeitserscheinungen, Gedächtnisprobleme oder Wortfindungsstörungen vor.

In einer Studie, auf die das RKI verweist, hatten 13,3 Prozent der Erkrankten länger als vier Wochen Symptome, 4,5 Prozent länger als acht Wochen, und 2,3 Prozent länger als zwölf Wochen. Insbesondere ältere und übergewichtige Menschen, aber auch Frauen, scheinen ersten Erkenntnissen zufolge häufiger mit Langzeitfolgen zu kämpfen zu haben. Wer einen schweren Verlauf hatte, leidet auch häufiger unter Langzeitfolgen.

Zwischenfazit: Die Aussage, die Firma Merck habe empfohlen, "statt einer Impfung das Virus zu bekommen", ist also in zweierlei Hinsicht falsch. Sie stimmt inhaltlich nicht, und das MSD hat sie nie getätigt.

Und wer ist Stefan Hockertz?

Doch wer ist eigentlich der Mann, der diese Desinformation verbreitet? Tatsächlich teilt Hockertz nicht das erste Mal unbelegte oder falsche Thesen. Dass ihm dabei so viele Menschen zuhören (wie die vielen Likes und Retweets zeigen), dürfte auch daran liegen, dass er selbst aus der Wissenschaft kommt: Hockertz war bis 2004 in der Forschung tätig, zunächst als Professor für Molekulare Immuntoxikologie und später als Leiter des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Dennoch trat Hockertz schon seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder mit umstrittenen Thesen an die Öffentlichkeit. Schon im März 2020 stufte der #Faktenfuchs einige seiner Aussagen als "unbelegt" ein, die sich inzwischen als falsch herausgestellt haben - darunter etwa die Behauptung, dass SARS-CoV-2 nicht gefährlicher sei als Influenza. An anderer Stelle sagte er später, "das Virus ist durch", eine zweite Welle sei sehr unwahrscheinlich und dass mRNA-Impfstoffe ganz klar eine "gentechnologische Veränderung des Menschen" bedeuteten. Beides, das zeigen wissenschaftliche Daten, ist falsch.

Fazit: Die Behauptung, MSD habe seine Forschung an zwei SARS-CoV2-Impfstoffen mit der Begründung eingestellt, "dass es besser wäre, statt einer Impfung das Virus zu bekommen und sein Immunsystem arbeiten zu lassen" ist falsch. Eine Sprecherin von MSD in Deutschland sagt, die Aussage verdrehe "komplett die Fakten". Das Unternehmen habe die Forschung an zwei Impfstoffkandidaten eingestellt, weil diese bei den Probanden eine unzureichende Immunantwort produzierten. Eine allgemeine Empfehlung, sich lieber zu infizieren als impfen zu lassen, hat das Unternehmen nie abgegeben.

Auch widersprechen Experten der These an sich: Zwar lägen aufgrund der Neuheit der Impfung noch keine abschließenden Daten zu Dauer und Stärke des Immunschutzes vor. Aufgrund von bisherigen Erkenntnissen gehen Forscher aber davon aus, dass die Immunantwort durch eine SARS-CoV-2-Impfung stärker ist als bei einer natürlichen Infektion. Zudem variiere die Immunantwort des Körpers bei natürlichen Infektionen, bei einer Impfung sei sie gleichförmiger und vorhersagbarer.

Zudem ist das Risiko, durch eine Impfung schwere Schäden davonzutragen, Experten zufolge sehr gering, wenn man es mit dem Risiko vergleicht, an Corona zu sterben, schwer zu erkranken oder Langzeitfolgen davonzutragen.

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