Eine Hebammenschülerin tastet gemeinsam mit einer Kollegen den Bauch einer Schwangeren ab (Symbolbild)
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Geburtshilfe: Behörde warnt vor Cytotec

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Geburtseinleitung: Behörde warnt vor Medikament

Geburtseinleitung: Behörde warnt vor Medikament

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte warnt vor dem Medikament "Cytotec", mit dem man eine Geburt einleiten kann. Denn dem Institut liegen zahlreiche Berichte über schwere Nebenwirkungen wie Gebärmutterrisse oder Wehenstürme vor.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Mit sogenannten Rote-Hand-Briefen macht das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unter anderem auf bislang unbekannte schwere Nebenwirkungen von Medikamenten aufmerksam. Im aktuellsten Brief geht es um Cytotec. Offenbar kann es zu schweren Nebenwirkungen führen.

Ursprünglich wurde Cytotec als Magenschutzmittel zugelassen. Weil es Wehen fördert, verwenden zahlreiche Kliniken das Medikament, um die Geburt einzuleiten. Im sogenannten "Off-Label-Use" ist das zulässig. Im Rote-Hand-Brief informiert das BfArM nun über Risiken, die im Zusammenhang mit dem Medikament Cytotec zur Geburtseinleitung auftreten können.

Schwere Nebenwirkungen gemeldet

Der Bayerische Rundfunk und die Süddeutsche Zeitung hatten im Februar über Cytotec berichtet. Den Medienhäusern liegen medizinische Gutachten und Urteile vor, die in seltenen Fällen schwere Komplikationen im Zusammenhang mit der Gabe von Cytotec zur Geburtseinleitung beschreiben: Kinder kamen demnach mit Gehirnschäden zur Welt oder verstarben sogar nach der Geburt.

257 Verdachtsmeldungen innerhalb einer Woche

Nach der Berichterstattung durch BR und SZ sind allein binnen einer Woche 257 Verdachtsmeldungen beim BfArM eingegangen. Laut Behörde sind darunter vermehrt Meldungen, die schwere Nebenwirkungen beschreiben – wie Gebärmutterrisse, Wehenstürme oder das Abfallen der kindlichen Herztöne im Mutterleib. Wie viele Meldungen das BfArM insgesamt ausgewertet hat, lässt sich noch nicht beziffern. Die Behörde will bis Ende der Woche die aktuellen Zahlen mitteilen.

Schwere Nebenwirkungen gemeldet

Die Medienberichte haben eine intensive Debatte ausgelöst. Zahlreiche Kliniken hatten den Einsatz von Cytotec verteidigt. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe teilte mit, kein Wirkstoff zur Geburtseinleitung sei ähnlich gut in Studien untersucht wie das in Cytotec enthaltene Misoprostol.

Keine ausreichenden Daten vorhanden

Die Bundesbehörde aber äußert nun Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit Cytotec. In dem Rote-Hand-Brief weist das BfArM darauf hin, dass das Medikament zur Einleitung der Geburt nicht zugelassen sei: "Für die Anwendung von Cytotec bei der Geburtseinleitung liegen keine ausreichenden Daten zur Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses vor", erklärt das BfArM. Weiter heißt es, dass auf dem deutschen Markt andere Arzneimittel verfügbar seien, die für die Geburtseinleitung zugelassen wurden. Die sind allerdings deutlich teurer als die Cytotec-Tabletten, die nur Cent-Beträge kosten.

Cytotec-Tablette zu stark, aber nicht teilbar

Laut BfArM geht aus den neuen Fallberichten auch hervor, "dass den Patientinnen häufig Teildosen der sechseckigen Cytotec 200 Mikrogramm-Tablette verabreicht wurden, obwohl diese nicht zur Teilung konzipiert ist, sodass eine ungenaue Dosierung resultiert." Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt eine Einzeldosis von 25 Mikrogramm, quasi ein Achtel der Cytotec-Tablette.

Häufig höher dosiert als empfohlen

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) bestätigt auf BR-Anfrage, dass das eigenhändige Zerteilen kein geeignetes Vorgehen sei, um eine korrekte Dosierung zu erhalten. In der Praxis geschieht es offenbar trotzdem. Auch dem BR liegen dazu Berichte vor. Die DGGG schreibt dem BR dazu auf Nachfrage: "Es gibt ca. 650 Geburtskliniken in Deutschland; die meisten stellen die Dosierung in den Apotheken her." Laut BfArM wird häufig auch höher dosiert als die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt.

Leitlinien zu Cytotec seit Jahren abgelaufen

Dass es in Bezug auf Anwendung und Dosierung von Cytotec Unsicherheiten gebe, räumte das Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der DGGG, Chefarzt Michael Abou-Dakn, bereits vor einigen Wochen im BR-Interview ein. Derzeit arbeite die DGGG an der Erneuerung der Leitlinien. Diese sind seit Jahren abgelaufen.

Zur aktuellen Warnung im Rote-Hand-Brief teilt die Gesellschaft auf BR-Anfrage mit, man halte die Hinweise für "konsequent" und "richtig". Die Sicherheit der Patientinnen und das Wohl von Mutter und Kind stünden an allererster Stelle.

Ärzte haften persönlich für Folgen im Off-Label-Use

Verwenden Ärzte Medikamente im sogenannten Off-Label-Use, müssen sie – beziehungsweise die Klinik – im Falle einer Klage persönlich haften. Die Berliner Medizinanwältin Ruth Schultze-Zeu vertritt vor Gericht Mütter und Kinder, die einen Geburtsschaden erlitten haben und einen Zusammenhang mit Cytotec vermuten.

Nach den Berichten von BR und SZ hätten sich bei ihr mehr als hundert mutmaßlich betroffene Frauen gemeldet, berichtet die Anwältin. Derzeit sichtet sie die neuen Fälle, darunter seien auch Uterusrupturen und in einem Bruchteil auch Fälle von geschädigten Kindern. Nach Worten der Anwältin ist der Rote-Hand-Brief "ein wunderbares Beweismittel", denn er zeige klar die Risiken auf und dass es zugelassene Alternativen zu Cytotec gibt. "Jeder Gerichtsgutachter wird sich jetzt mit dem Statement der Bundesbehörde auseinandersetzen müssen", sagt Schultze-Zeu dem BR.

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Update Warnung vor Cytotec:

Am Abend des 19.3. hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Anfrage mitgeteilt, wie viele Meldungen im Zusammenhang mit Cytotec seit der Berichterstattung durch BR und SZ am 11.02.2020 eingegangen sind.

Das BfArM zählt seitdem 311 Meldungen, die überwiegend die Anwendung zur Geburtseinleitung betreffen. Es handelt sich hierbei um Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen, d.h. dass ein Kausalzusammenhang im Einzelfall nicht sicher belegt ist. Unter den Meldungen sind laut Behörde vermehrt solche, die schwere Nebenwirkungen wie Gebärmutterrisse, Wehenstürme oder das Abfallen der kindlichen Herztöne im Mutterleib beschreiben. In 14 Fällen kam es laut Angaben des BfArM zu Gebärmutterrissen. Außerdem wurden zwei mütterliche Todesfälle und ein kindlicher Todesfall, der drei Monate nach der Geburt eintrat, gemeldet.

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