"Lebenspforte" nennen die Schwestern des Klosters Sankt Gabriel in Pullach bei München die Babyklappe in ihrer Klostermauer. Die Öffnung in der roten Backsteinsteinmauer sieht aus wie ein sehr großer Briefkasten. Wenn ein Kind in das Wärmebettchen gelegt und das Fenster verriegelt wird, geht im Kloster der Alarm los. Vier Telefone läuten.
14 Kinder in 25 Jahren in der Babyklappe
"Wenn ich auf meinem Handy die Endnummer 220 sehe, lasse ich alles fallen und gehe so schnell wie möglich hin. Länger als zwei Minuten brauche ich nicht", sagt Schwester Daniela. Sie hat die Babyklappe im Kloster vor 25 Jahren mit initiiert. 14 Kinder lagen seitdem in der Babyklappe. Für Schwester Daniela jedes Mal ein ergreifender Moment. "Wenn ich das Bündel sehe, laufen mir als Erstes die Tränen runter", sagt sie. Nur ein Mal hat später eine Mutter angerufen und nach dem Kind gefragt. Nach dem Kloster übernimmt das Jugendamt. Das Kind kommt in eine Kurzzeitpflege und später zu Adoptiveltern.
Vertrauliche Geburt als Alternative
Die Babyklappe garantiert den Eltern absolute Anonymität. Einige Experten sehen genau das kritisch, etwa der deutsche Ethikrat und der Kinderschutzbund. Sie verweisen als Alternative auf die vertrauliche Geburt, die seit 2014 bundesweit möglich ist und den Müttern 16 Jahre lang Anonymität zusichert. Bundesweit gibt es im Schnitt etwa 120 vertrauliche Geburten pro Jahr. In Bayern waren es laut Sozialministerium zwischen drei und fünf pro Jahr, insgesamt 153 seit 2014.
Kinderschutzbund: Babyklappe umgeht Kinderrechte
Der Geschäftsführer des Kinderschutzbundes, Daniel Grein, sagt: Die Babyklappe, so gut sie gemeint sei, habe den Nachteil, dass das Kind keine Möglichkeit habe, Kenntnisse über seine eigene Herkunft und Geschichte zu bekommen. Damit werde ein wichtiges Kinderrecht umgangen. Darüber hinaus handele es sich nur um einen sicheren Ablageort für das Kind. Die vertrauliche Geburt im Krankenhaus sieht Grein als Alternative, die die Interessen einer Mutter in einer Notlage und die des Kindes am besten berücksichtige. Dazu komme, dass es für Mutter und Kind im Krankenhaus aufgrund der medizinischen Versorgung sicherer sei.
Neue Babyklappen in Bayern
Dennoch entstehen häufig neue Babyklappen, wenn Säuglinge ausgesetzt oder getötet werden: In Bayern zuletzt etwa im Klinikum Traunstein und in Rosenheim, nachdem ein toter Säugling auf einem Wanderparkplatz bei Ruhpolding und ein unterkühltes Baby bei einem Hotel gefunden wurden. Kinderschutz-Experte Grein versteht das Anliegen. Aus seiner Sicht wäre es wünschenswert, Frauen und Paare in Not mehr über die Möglichkeit zu einer vertraulichen Geburt zu informieren.
Insgesamt ging die Zahl der Babyklappen in Bayern in den vergangenen Jahren allerdings zurück: Das Sozialministerium registriert für 2025 elf Babyklappen im Freistaat – 2011 waren es noch 14. Wie viele Kinder insgesamt dort abgelegt wurden, das lässt sich laut Sozialministerium nicht sicher sagen. Denn eine Meldepflicht für diese Kinder gibt es nicht.
Erste Babyklappe in Hamburg
Die erste Babyklappe in Deutschland initiierte vor 25 Jahren "SterniPark" in Hamburg. Geschäftsführerin Leila Moysich ist auch ein Vierteljahrhundert später überzeugt: "Babyklappen retten Leben." Im ersten Jahr seien bei ihnen sieben Kinder abgegeben worden, nicht nur als Hamburg, sagt Moysich. Mittlerweile sind es weniger. Moysich führt das unter anderem darauf zurück, dass es inzwischen mehr Hilfsangebote für Frauen gibt. Außer der vertraulichen Geburt nennt sie Aspekte wie Elternzeit, Elterngeld und den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz.
Zuletzt keine Säuglinge im Kloster
Bei Schwester Daniela im Kloster wurde zuletzt vor vier Jahren ein Säugling abgegeben. Über die Gründe kann sie nur mutmaßen. Sie geht davon aus, dass inzwischen mehr verzweifelte Mütter der Möglichkeit einer vertraulichen Geburt wissen und diese Chance nutzen. Trotzdem bewundert sie Frauen, die die Kraft haben, ein Kind zu bekommen und in die Babyklappe zu legen. Dafür brauche es auch Mut.
Wenn sie einen Säugling aus der Klappe nehme, rede sie ihm gut zu und freue sich: "Du darfst leben. Du kriegst eine zweite Chance. Deine Mama hat das Beste für dich gewollt, nämlich dass du leben darfst. Auch wenn sie selber nicht kann, warum auch immer." Mit sechs der Babyklappen-Kinder steht Schwester Daniela heute noch in Kontakt. Denn häufig meldeten sich die Adoptiveltern im Kloster und fragten nach der Geschichte des Kindes. Das Älteste ist 24, fast so alt wie die Babyklappe im Kloster.
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