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AfD gegen Verfassungsschutz: Darum geht es heute vor Gericht

AfD gegen Verfassungsschutz: Darum geht es heute vor Gericht

Seit Juni 2022 beobachtet der Bayerische Verfassungsschutz die AfD. Der Landesverband Bayern der Partei hat dagegen geklagt. Am Vormittag startete am Verwaltungsgericht München der Prozess – mit Auswirkungen auf die Arbeit des Verfassungsschutzes.

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Nach dem Prozess ist vor dem Prozess. Dieser Eindruck könnte derzeit bei der AfD entstehen. Gerade erst hat die Partei am Oberverwaltungsgericht in Münster eine Niederlage kassiert. Das Urteil: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft.

Nun startete am Vormittag in München wieder ein Verfahren (externer Link). Es geht um die Beobachtung durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Es geht um mehrere tausend Aktenseiten. Und es geht in der Folge auch um mögliche V-Leute in der Partei. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist die Ausgangslage?

Seit Juni 2022 beobachtet das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz die AfD als Gesamtpartei. Das Ziel: Feststellen, welchen Einfluss Extremisten haben und wohin die AfD insgesamt steuert. Im September 2022 machte die Behörde das bekannt – und veröffentlichte dazu eine Pressemitteilung.

Die AfD wehrte sich kurz darauf. Im Oktober 2022 erhob sie Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München: gegen die Beobachtung und gegen die Information der Öffentlichkeit. Außerdem stellte sie einen Eilantrag, um Beobachtung und Information schnell zu stoppen. Dieser Eilantrag wurde vor gut einem Jahr, im April 2023, zunächst vom VG München zurückgewiesen, dann in nächster Instanz weitestgehend auch vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Dieser untersagte dem Verfassungsschutz lediglich eine Formulierung in der Pressemitteilung, weil sie den Eindruck erwecke, dass die AfD insgesamt gesichert extremistisch sei.

Mit der Entscheidung zum Eilantrag ist aber noch nicht über die Klage im Hauptverfahren entschieden. Dieses Verfahren startet jetzt am Verwaltungsgericht München.

Worum geht es jetzt vor dem Verwaltungsgericht?

Die Richter müssen prüfen, ob das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz die AfD zu Recht beobachtet und die Öffentlichkeit darüber informiert. Entscheidend dafür ist laut Bayerischem Verfassungsschutzgesetz vor allem, dass "tatsächliche Anhaltspunkte" für verfassungsfeindliche Bestrebungen in der Partei vorliegen – also keine Annahmen oder Spekulationen. Die Belege wird der Verfassungsschutz vor Gericht liefern müssen.

Schon in den Eilverfahren hatte das Gericht tausende Aktenseiten ausgewertet. Seitdem dürften weitere hinzugekommen sein. Denn: Maßgeblich bei der Entscheidung ist, dass die Anhaltspunkte am Tag des Urteils vorliegen. Der Verfassungsschutz konnte seit dem letzten Beschluss also weitere Belege sammeln. Dafür werten Verfassungsschützer öffentliche Äußerungen von einzelnen AfD-Politikern oder Posts in den sozialen Medien aus.

Wie hat der Verwaltungsgerichtshof im Eilverfahren entschieden?

Im Eilverfahren entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in letzter Instanz: Aus den Akten der Verfassungsschützer gehen ausreichend tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in der AfD hervor. Vor allem vier Aspekte führen die Richter in ihrem Beschluss an:

Erstens: Personen des formal aufgelösten "Flügels" der AfD hätten weiterhin Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung der Partei und würden ein "ethnokulturelles Volksverständnis" vertreten. Als Beispiel nennt das Gericht Äußerungen und Formulierungen wie "Umvolkung", "Austausch des Volkes" oder "Europa als wirtschaftstechnokratisches Siedlungs- und Ausbeutungsgebiet für alle Menschen dieser Welt". Mit der Menschenwürde sei das nicht vereinbar, so das Gericht.

Zweitens: Auch die Jugendorganisation der AfD, Junge Alternative (JA), vertrete einen ethnischen Volksbegriff und habe Einfluss auf die Partei. Das Gericht verweist etwa auf personelle Überschneidungen zwischen JA und bayerischem Landesvorstand.

Drittens: Der Senat erkennt bei verschiedenen Mitgliedern der Partei "Umsturzfantasien" und verweist auf Chatnachrichten in einer Telegram-Gruppe. Darin schrieb etwa eine bayerische Landtagsabgeordnete: "Ich denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr herauskommen werden." Andere stimmten zu.

Viertens und zuletzt verweisen die Richter auf Äußerungen, in denen AfD-Politiker von einer "moslemische(n) Invasionswelle" oder "moslemischen Horden" sprechen. Dadurch würden Muslime "wegen ihrer Religionszugehörigkeit systematisch, anhaltend und wiederholt pauschalisierend auf polemische Art und Weise herabgesetzt, ausgegrenzt und als kriminelle, nicht integrierbare Menschen zweiter Klasse dargestellt".

Was sagt die AfD dazu?

Die AfD hat im Eilverfahren angeführt, dass es sich bei den angeführten Äußerungen lediglich um "Entgleisungen" einzelner Funktionsträger und Mitglieder handele. Daraus würden sich aber keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beobachtung ergeben. Außerdem sieht die AfD in der Beobachtung durch den Verfassungsschutz einen Verstoß gegen die Chancengleichheit der Parteien.

Vor dem Prozessbeginn heute sagte der bayerische AfD-Landeschef Stephan Protschka dem BR: Er erwarte sich einen neutralen und fairen Prozess. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz hält er für politisch motiviert. Das würden die Menschen auch merken.

Welche Auswirkungen könnte das Urteil haben?

Für den Verfassungsschutz geht es um die gerichtliche Bestätigung seiner Arbeit – und vor allem auch um den Blick auf die nächsten Schritte. Theoretisch wäre es zwar schon seit der Entscheidung im Eilverfahren für die Behörde möglich, bei der Beobachtung der AfD auch nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen. Das wären etwa der Einsatz von V-Leuten, Observationen oder die Überwachung der Telekommunikation. Aber in der Praxis hat die Behörde bislang nach eigenen Angaben darauf verzichtet. Sollte das Gericht für den Verfassungsschutz entscheiden, gilt der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel als wahrscheinlich. Sollte es gegen den Verfassungsschutz entscheiden, müsste er die Beobachtung einstellen.

Für die AfD geht es vor allem um die Signalwirkung nach innen. Lange Zeit haben viele in der Partei gefürchtet, dass eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz Wähler abschrecken könnte. Bei der Landtagswahl in Bayern und der Europawahl schnitt die Partei allerdings sehr gut ab. Mittlerweile fürchten manche in der AfD daher eher Auswirkungen auf Parteimitglieder.

So wird etwa eine Waffenerlaubnis nur nach einer Zuverlässigkeitsprüfung erteilt. Sollte das Verwaltungsgericht München Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in der Partei bestätigen, könnten Behörden im Einzelfall auch damit argumentieren. Sollte das Gericht im Sinne der AfD entscheiden, könnte die Partei das wiederum als Bestätigung ihrer bisherigen Äußerung verkaufen, die Beobachtung sei politisch motiviert.

Wie geht es weiter?

Das Verwaltungsgericht München hat zunächst neun Verhandlungstage angesetzt. Allerdings könnte sich das Verfahren auch länger ziehen. Bei den Verhandlungen vor dem OVG in Münster hat die AfD zahlreiche Beweis- oder Verlegungsanträge gestellt, durch die der Prozess verzögert wurde. Beobachter rechnen damit, dass der AfD-Landesverband Bayern das auch in diesem Verfahren tun könnte. Frühestens Mitte Juli wird daher das Urteil erwartet. Es gilt als wahrscheinlich, dass das Gericht die Klage der AfD dann abweisen wird. In der Regel gehen Verfahren in der Hauptsache ähnlich aus wie in den vorherigen Eilverfahren.

Das letzte Wort ist dann allerdings noch nicht gesprochen. Es kann noch Berufung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingelegt werden. Auch danach wäre noch eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht möglich.

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