AfD-Wahlkampf-Stand zur Europawahl in Deggendorf - dem "Tor zum Bayerischen Wald". Dort war die AfD besonders erfolgreich
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AfD-Wahlkampf-Stand zur Europawahl in Deggendorf - dem "Tor zum Bayerischen Wald". Dort war die AfD besonders erfolgreich

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AfD-Hochburg Bayerischer Wald – warum eigentlich?

AfD-Hochburg Bayerischer Wald – warum eigentlich?

Kaum eine Region dürfte von Europa mehr profitiert haben als der Osten Bayerns. Die Grenzöffnung nach Tschechien hat Wirtschaftswachstum gebracht und sorgt weiter für ausreichend Fachkräfte. Warum ist die AfD dort trotzdem so stark?

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Er sei "enttäuscht, angefasst, emotional", sagt Alexander Straßner. Der Politikwissenschaftler redet schnell, manche Sätze beendet er mit dem Hinweis, für die eine oder andere Aussage womöglich "Anrufe oder Mails" zu bekommen. Der Professor für Politikwissenschaft an der Universität Regensburg erzählt all das am Telefon in Zwiesel, seinem Geburts- und Wohnort im Landkreis Regen – mitten im Bayerischen Wald. Dort, wo die AfD mit 20,2 Prozent bei der Europawahl bayernweit das beste Ergebnis erzielt hat.

Straßner sagt, er hadere mit dem Ergebnis sehr – und fügt hinzu, man "braucht sich aber auch nicht wundern". Er will helfen bei der Analyse, warum so viele Menschen in den ostbayerischen Landkreisen in Bayern ihr Kreuz bei der Rechtsaußen-Partei gemacht haben.

AfD-Ergebnis in Ostbayern entspricht dem Trend

Vorab: Das Europawahl-Ergebnis ist insofern nicht ganz überraschend, weil das östliche Bayern – neben einzelnen anderen ländlich geprägten Landkreisen im Freistaat – immer wieder mit einem starken AfD-Ergebnis aufgefallen ist. Im vergangenen Jahr konnte man zum Beispiel im Landkreis Regen das Potenzial der AfD auch bei der Wahl des neuen Landrats beobachten. Der AfD-Kreisvorsitzende Johann Müller, inzwischen Landtagsabgeordneter, unterlag zwar dem CSU-Kandidaten deutlich, landete aber klar auf Platz zwei – mit 23 Prozent der Stimmen, also etwas mehr, als die Partei jetzt bei der Europawahl verzeichnete.

Personal: "Einer von uns"

Politikwissenschaftler Straßner erklärt den Erfolg der AfD in seiner Heimat unter anderem damit, dass die AfD dort auch von Menschen vertreten werde, die sich vor Ort etwas aufgebaut hätten und gut vernetzt seien. Menschen, mit denen sich die Leute identifizieren könnten. Das sei doch "einer von uns", höre er immer wieder über AfD-Politiker. Und: Das sei doch kein "Nazi". Gleichzeitig hätten die Menschen in seinem Landkreis die Nase voll von "Vorzeige-Intellektuellen" in der Politik, die "alles besser wissen", erklärt Straßner.

Das trifft womöglich auch auf den einstigen Landrats-Kandidaten und inzwischen Landtagsabgeordneten der AfD, Johann Müller, zu. Der Maschinenbauer ist in der Region verwurzelt, aktiv bei Feuerwehr, Fischerei- und Männergesangsverein. Er gilt bei AfD-Beobachtern als "unauffällig" und "vergleichsweise gemäßigt". Und er sei jemand, der Themen anspreche, die von den Regierenden - ob Ampel in Berlin oder Schwarz-Orange in Bayern - aus Sicht der Menschen vor Ort nicht oder fernab des Lebensgefühls der Menschen angepackt würden.

Heizungsgesetz und Brennholz-Debatte

Straßner denkt dabei an Themen, die die Menschen in seiner Heimat in den vergangenen Jahren speziell gegen die Ampelparteien aufgebracht hätten: Da ist zum einen das schon so oft zitierte und bemühte "Heizungsgesetz" des Grünen Ministers Robert Habeck. Für Kopfschütteln sorgte da vor allem die Debatte um ein vermeintliches Brennholz-Verbot. "Ich hab mein eigenes Holz, und jetzt soll ich damit nicht mehr heizen dürfen?" Das fragten sich viele. Und auch wenn es so nicht gemeint war und erst einmal vom Tisch ist: Die Diskussion hat Spuren hinterlassen im Bayerischen Wald, einer bayerischen Holzregion. Dem Statistischen Bundesamt zufolge sind Niederbayern und die Oberpfalz Spitzenreiter beim Heizen mit Holz, mit rund 17 Prozent der Haushalte. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 4,2 Prozent.

Mobilität als Kostenfaktor

Ein anderes Thema: Mobilität. "Wenn die Politik über Lastenfahrrad-Prämien diskutiert, dann hat das mit uns im Bayerischen Wald einfach nichts zu tun", sagt einer aus der Region. Politikwissenschaftler Straßner erklärt, im Bayerischen Wald sei man ganz besonders auf bezahlbare Mobilität angewiesen, also letztlich aufs Auto. Deshalb wehrten sich die Menschen dort gegen alles, was Mobilität teurer mache: Verbrenner-Aus, E-Mobilität, dazu der entgegen allen Beteuerungen sowohl von der Staats- als auch von der Bundesregierung nicht gut ausgebaute ÖPNV – all das habe zu Ängsten geführt. Den Daten der Industrie- und Handelskammer für Niederbayern zufolge nimmt die Zahl der Pendler in dem Regierungsbezirk seit dem Jahr 2000 stetig zu. Besonders auch in den Landkreisen Freyung-Grafenau und Regen.

Angst vor Wohlstandsverlust?

Die Frage bleibt trotzdem komplex. Denn Heizungsgesetz und Mobilitätswende hin oder her: "Eigentlich geht es den Menschen hier sehr gut", sagen zum Beispiel Viechtachs evangelischer Pfarrer Roland Kelber und Regens katholischer Pfarrer Andreas Artinger. Kelber ist erst vor sieben Jahren in den Bayerischen Wald gezogen, aus dem eher strukturschwachen Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen. Artinger kennt den Bayerwald schon länger. Trotz Außen- und Innenperspektive zucken beide erst einmal mit den Schultern auf die Frage, warum trotzdem so viele Menschen hier AfD gewählt haben – und damit in Teilen rechtsextremes Gedankengut.

Politikwissenschaftler Straßner vermutet, dass die Angst vor einem Wohlstandsverlust ein Faktor sein könnte, der in den ostbayerischen Landkreisen besonders zu Buche schlägt. Laut Demoskopen, etwa von Infratest dimap, war "Wohlstandsverlust" eines der wichtigsten Themen rund um die Europawahl.

Zwischen historischer Angst und aktueller Wirtschaftslage

Auch wenn es inzwischen Jahrzehnte her ist: Das Gefühl, abgehängt zu sein am "Ende der Welt" kurz vor der Grenze zur einstigen Tschechoslowakei, ist auch nach der Grenzöffnung und der späteren EU-Osterweiterung nicht verschwunden. Obwohl aus der einst hohen Arbeitslosenquote inzwischen quasi Vollbeschäftigung geworden ist.

Die Angst lässt sich teilweise untermauern mit Zahlen der Industrie- und Handwerkskammer Niederbayern: im regionalen Konjunkturklimaindex. Vor allem die Industrie fällt demnach ab: "Nur noch ein Drittel der Industriebetriebe bewertet die aktuelle Situation als gut, fast die Hälfte vergibt ein befriedigend, und für 20 Prozent ist die Lage schlecht", berichtet Alexander Schreiner. Und er ergänzt: "Wenn man weiß, dass die Industrie in Niederbayern einen überdurchschnittlichen Anteil an der Wertschöpfung hat, jeden dritten Arbeitsplatz stellt und mit vielen Betrieben anderer Branchen von Verkehr und Logistik bis Großhandel und IT eng vernetzt ist, kann man einschätzen, welche Bedeutung diese negativen Umfragewerte haben", so Schreiner in einer Mitteilung. Ob diese wirtschaftliche Stimmung Auswirkungen auf das Wahlergebnis der AfD gehabt haben könnte, dazu will sich der Kammer-Chef nicht äußern.

Was zugleich auffällt: Die Erwartungen im Tourismus haben in Niederbayern zuletzt wieder angezogen. Und in den besonders touristisch geprägten Stimmbezirken im Landkreis Regen, etwa in Bodenmais und Bayerisch Eisenstein, hat die AfD unterdurchschnittlich im Vergleich zum gesamten Landkreis abgeschnitten.

Migrationspolitik wirkt nach

Trotzdem: Kann allein die wirtschaftliche Lage, die fast überall im Land Sorgen bereitet, der Grund für das starke Abschneiden der AfD sein? Politikwissenschaftler Straßner sagt, dass die ebenfalls in Umfragen als entscheidender Faktor genannte Migrationspolitik im Osten Bayerns mehr Einfluss hat als andernorts. Er argumentiert mit der Kontakthypothese: Demnach haben Menschen dort mehr Vorbehalte gegen Zuwanderung, wo es vergleichsweise wenig Kontakt zu Migranten gibt. Das habe für die ostbayerischen Landkreise, generell für den ländlichen Raum, lange Zeit gegolten. Und in dieses Klima seien in der "Flüchtlingskrise" dann plötzlich viele Zuwanderer gekommen.

"Wer an der Autobahn A3 entlang gefahren ist, in Passau am Bahnhof war, wer an den Grenzübergängen gewesen ist, hat gesehen, was da los war", erinnert sich Straßner. Die offenen Grenzen seien als "Staatsversagen" wahrgenommen worden. Den Unionsparteien werde das immer noch angekreidet. Regens Stadtpfarrer Artinger berichtet dazu, dass sich in seiner Heimat das Stadtbild zwar verändert habe und deutlich mehr Menschen mit Migrationshintergrund unterwegs seien. Seiner Wahrnehmung zufolge aber gebe es deshalb "nicht mehr und auch nicht weniger Probleme".

Häufig wird Migration in einen Zusammenhang mit Kriminalität gestellt. In Niederbayern ist die Kriminalitätsquote im Jahr 2023 im bayernweiten Vergleich am niedrigsten gewesen. Dennoch kommt die AfD im Landkreis Regen auf das bayernweit beste Ergebnis.

Mehr junge Männer ist gleich mehr AfD-Wähler?

In den Wahlanalysen spielt auch die Zusammensetzung der Bevölkerung eine wichtige Rolle. Die Wähler der AfD wurden zuletzt als mehrheitlich männlich identifiziert: unter anderem in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Und Demoskopen haben herausgefunden, dass sich immer mehr junge Menschen von der AfD angesprochen fühlen. Ein Erklärungsversuch auch für den Bayerischen Wald?

Der Regensburger Politikwissenschaftler Straßner spricht davon, dass in den vergangenen Jahrzehnten Jüngere, oft auch Frauen, aus dem Bayerischen Wald weggezogen seien. Die Bevölkerungsstatistik der Unter-30-Jährigen zeigt, dass der Anteil junger Männer im Bayerischen Wald im Vergleich zu Frauen sehr hoch ist. Noch einmal signifikanter ist er in den vorgelagerten und ebenfalls AfD-starken Landkreisen Deggendorf sowie Straubing-Bogen. Andererseits: Einen Männerüberschuss gibt es auch in Gegenden, in denen die AfD nicht überdurchschnittlich gut abgeschnitten hat. Also doch kein Indiz?

Ein anderer klarer Zusammenhang zeigt sich durchaus: In Städten, in denen der Anteil der jungen Frauen höher ist als der der Männer, verdrängen vielfach die Grünen die AfD auf Platz zwei.

Welche Lehren die Politik ziehen muss

Die Gründe für das starke Abschneiden der AfD im Bayerischen Wald sind vielschichtig, teilweise nicht so recht fassbar. Immer wieder werden das "Lebensgefühl" und eine "diffuse Angst" der Menschen zitiert. Genau das aber macht es den etablierten Parteien so schwer.

Politikwissenschaftler Straßner sagt, der "Karren steckt tief im Dreck". Als Einheimischer und Politikwissenschaftler rät er Parteien wie Grünen und SPD, ihre "moralinsaure Politik" zu überdenken. Die von ihnen propagierte "Heterogenität" der Gesellschaft sollten sie nicht "wie eine Monstranz" vor sich hertragen, wenn dadurch andere Positionen "dämonisiert" würden.

Von der Ampel, aber auch der Union erwartet sich Straßner mehr Bürgernähe, Diskurs-Offenheit, weniger "politische Ausschließlichkeit". Straßner seufzt: "Es wird schwer werden. Viele haben das Vertrauen verloren."

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