Sonntagmittag am Familientisch: Das Kind trink Limo, die Mutter Wodka, der Vater fehlt. Er hockt mit einem Bier am Spielautomaten in der Kneipe. Diese Szene stammt aus dem Kurzfilm "Erinnerungen einer vergessenen Kindheit" von Lars Smekal. Sie ist aber genauso auch Realität – so die Botschaft des Filmemachers. Er ist selbst mit suchtkranken Eltern aufgewachsen. "Ich hätte mir einfach auch oft gewünscht, dass in meiner Jugend, in meiner Kindheit mehr Menschen hingeschaut hätten", sagt Smekal. Sein Ziel: auf die Kinder aufmerksam machen, die in suchtbelasteten Familien leben und sie ermutigen, sich anderen anzuvertrauen.
Sucht wird von Jugendlichen häufig verdrängt
230 Jugendliche haben den halbstündigen Film am Mittwoch im Kino Marktredwitz geschaut – im Rahmen einer Veranstaltung zur Suchtprävention, organisiert vom Landkreis Wunsiedel. Für Zehntklässlerin Carolina war das Thema Sucht bisher weit weg, "weil man es vielleicht im Umfeld nicht so sehr sieht und vielleicht auch extra mal die Augen zumacht und dann nicht so draufschaut, weil man es nicht wahrhaben möchte".
Jedes fünfte Kind hat suchtkranke Eltern
Im Schnitt lebt jedes fünfte Kind in Deutschland bei suchtkranken Eltern, so eine Statistik der Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien NACOA. Ausgehend von den 1,8 Millionen Kindern unter 15 Jahren in Bayern leben demnach rechnerisch rund 360.000 bayerische Kinder mit mindestens einem suchtkranken Elternteil. Laut NACOA sind Kinder aus suchtbelasteten Familien außerdem die größte bekannte Risikogruppe für eine spätere eigene Suchterkrankung.
Präventionsarbeit durch emotionale Bindung
Wichtig ist daher die Prävention. In Schulen findet die häufig statt, indem Polizeibeamte in die Klasse kommen und aufklären. Der berührende Film hat für viele Schüler aber eine stärkere Wirkung. Kim von der Realschule Marktredwitz sagt, sie könne mit den Erlebnissen von Filmprotagonist Niklas mehr mitfühlen, als wenn sie es nur erzählt bekomme. Und auch für ihren Lehrer Florian Winterling macht das "einen Riesen-Unterschied", dass man durch die Handlung "mal so richtig sieht, wie das sein kann".
Zur Präventionsarbeit gehört auch, die Jugendlichen mit den richtigen Anlaufstellen vertraut zu machen. Denn laut Polizeibeamtin Stefanie Vollert wüssten Kinder zwar, dass sie bei Zahnschmerzen zum Zahnarzt gehen. Vielen aber sei unklar, an wen sie sich bei einer Sucht oder einem psychischen Problem wenden sollen.
Beratungsstellen liefern Unterstützung
Nach der Filmvorführung stehen deshalb Profis aus der Erziehungs- und Suchtberatung bereit, um Fragen zu beantworten. Auch Regisseur Lars Smekal, Polizistin Stefanie Vollert und ein trockener Alkoholiker von der Suchthilfe-Organisation Blaues Kreuz diskutieren mit. Ihr gemeinsamer Appell: Kinder und Jugendliche mit Suchtkrankheiten in der Familie sind nicht allein. Wenn Betroffene bereit sind, sich zu öffnen, bekommen sie Unterstützung von verschiedenen Stellen.
Regisseur Lars Smekal hat sich in seiner Kindheit keine Hilfe gesucht. Am Ende von seinem autobiografischen Film weicht er von dieser Realität jedoch ab. Er möchte Kinder ermutigen, sich zu öffnen – so wie es sein Protagonist Niklas in der Schlussszene macht: Er vertraut sich seinem Kunstlehrer an.
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