"Ich war in einem Raum, der nicht beschreibbar ist. Ich konnte die Zusammenhänge von allem, was in der Welt ist, von allem, was in meinem Leben ist von ganz weit oben überblicken." – und gleichzeitig, so beschreibt es der 50-Jährige, der hier seine Erfahrungen mit Psychedelika und anderen Drogen erzählt, habe er sich absolut verbunden gefühlt, mit der Welt, mit dem ganzen Universum. Der zweifache Vater will anonym bleiben. Es ist seine Bedingung für das Interview, in seinem Wohnmobil auf einem Parkplatz irgendwo in Bayern.
Denn all die Substanzen, die er inzwischen ausprobiert hat, sind in Deutschland verboten. Der Besitz allein kann laut Betäubungsmittelgesetz mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden.
Die Suche nach Heilung wird eine Reise zu sich selbst
Warum er sich dennoch zu seinem ersten Trip entschied, erklärt er mit massivem Leidensdruck: jahrelange Depressionen, Psychotherapie, die nicht fruchtete, Medikamente mit schweren Nebenwirkungen. 2019 stand er kurz vor der Einweisung in eine Klinik, als ihm angeboten wurde, bei einem Retreat Pilze und MDMA, also Ecstasy, zu nehmen – unter Aufsicht sogenannter Tripsitter. "Mein Kopf ist Amok gelaufen, ob ich das tun darf. Und gleichzeitig wusste ich aber auch, ich probiere gerade alles aus, was das Potential hat, mir zu helfen." Das Ergebnis: Zum ersten Mal seit Jahren habe er sich nicht depressiv gefühlt - und der Effekt habe mehrere Monate angehalten. Was als einzelner Trip begann, beschreibt er inzwischen als Reise zu sich selbst.
Er ist damit kein Einzelfall, Angebote für LSD-Retreats oder Ayahuasca-Zeremonien erfahren geradezu einen Boom. Sie nennen sich Nature Temple, Modern Mind oder Set- und Setting, verkaufen ihre Substanzen in Online-Shops oder bieten ihre Drogen-Retreats in den Niederlanden, der Schweiz oder den USA an. Mehrere tausend Euro kostet das in der Regel.
Ayahuasca-Kirchen in den USA
In den USA machen sich manche Gruppierungen dabei eine Gesetzeslücke zunutze. Die Religionsfreiheit ist in den USA ein hohes Gut und wird von der Verfassung garantiert. Psychedelische Gemeinschaften sagen, sie kämen mit bewusstseinsverändernden Substanzen Gott näher und nehmen für sich in Anspruch Kirchen zu sein. 2006 hatten Pioniere solcher Drogenkirchen vor dem Obersten Gericht der USA das Recht erstritten, die Amazonas-Droge Ayahuasca in ihren Zeremonien als Sakrament einzusetzen.
Von Goa in die Klinik
Warum aber konsumieren Menschen Substanzen – auch auf das Risiko hin, einen schlechten Trip abzubekommen? Denn das kommt durchaus vor: Florian Reisewitz hat das erlebt, Anfang der 90er Jahre war er in der Goa-Szene unterwegs und probierte unterschiedlichste Substanzen, Halluzinationen inklusive. Einmal hält er sich für Jesus, viele Male ist er dem Tod näher als dem Leben.
In seinem Buch "Von Goa nach Walsrode" beschreibt er, wie er nach vier Tagen in einer psychiatrischen Klinik zum ersten Mal zu sich kommt. "Da ich im Aufnahmegespräch von meinen Drogenerfahrungen berichtet hatte, vermuteten sie eine drogeninduzierte Psychose." Über den Konsum anderer will er nicht urteilen. Heute sagt er, mit dem Wissen um seine verletzliche Psyche würde er "einen großen Bogen um Drogen schlagen".
Ausdruck einer um sich selbst kreisenden Ego-Kultur?
Im Netz gibt es derzeit einen Hype um Halluzinogene. Menschen erzählen von ihren Trips, beschreiben sie als Schritt der Persönlichkeitsentwicklung oder der Heilung. Ist es die Suche nach Sinn oder nach sich selbst oder einfach Neugier, die Menschen Psychedelika nehmen lässt? Ist das vielleicht sogar die Wiederkehr der Hippies?
Für den Jenaer Politikwissenschaftler Robert Feustel, der sich viel mit der Geschichte der Drogenpolitik beschäftigt hat, hat dieser Hype sehr viel profanere Gründe: Menschen hätten schon immer Substanzen konsumiert, die nicht dem reinen Überleben dienten – ob zur Erleuchtung, zur Entspannung oder zur Heilung. Den aktuellen Trend sieht er eher kritisch: "Dass man sich in Retreats zurückzieht und dann so spirituelle Selbstoptimierungserfahrungen macht." Halluzinogene sozusagen als Ausdruck einer um sich selbst kreisenden Ego-Kultur auf der Suche nach Seelen-Selbstoptimierung, so schätzt er den Trend ein.
Forscher warnen zudem aus medizinischen Gründen. Der unkontrollierte Konsum von Hoasca-Tee und anderen exotischen Drogen ohne ärztliche Begleitung sei unverantwortlich. Psychedelika griffen Gehirnfunktionen an, die im Zweifel eher schadeten, als therapeutisch zu nützen. Anthony Back, Medizin-Professor von der University of Washington School of Medicine in Seattle, sieht weiteren Forschungsbedarf. Das Wissen um die Auswirkungen von Psychedelika sei noch ziemlich begrenzt.
Mit Material von KNA
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