Eigentlich ist Sascha Pawolleck ja ein echter Bahn-Fan. Ihn begeistert die Technik. Fernzüge interessieren ihn besonders. Am liebsten fährt er ICE. Mit 300 Kilometern pro Stunde Richtung Berlin zu rasen, das sei ein "gigantisches Gefühl", erzählt er. Aber da ist diese eine Sache, die ihm seine Leidenschaft verleidet: Sascha Pawolleck fühlt sich nämlich als Kunde nicht ernst genommen. Ausgerechnet von der geliebten Bahn.
Der 47-Jährige ist von Geburt an blind. Und während er sich am barrierefrei umgebauten Bahnhof seiner Heimatstadt Altötting hervorragend zurechtfindet, verliert er auf den Internetseiten der Bahn inzwischen schnell die Orientierung. Der Grund: Das Unternehmen hat die Buchungsfunktionen überarbeitet. Sascha Pawolleck steht seitdem vor einem Rätsel, wenn er nach Verbindungen sucht.
Lange Zeit war das mittels einer speziellen Software ganz einfach. Die Software las ihm die Angaben auf der Internetseite vor. Pawolleck konnte seine Eingaben flexibel ändern, Fahrten buchen – alles nach Belieben. Neuerdings aber funktioniert das nicht mehr. In der heutigen Zeit sei so etwas unverständlich, ärgert sich Pawolleck.
Buchungen Teil des Jobs
Sein Groll hat dabei einen konkreten Hintergrund: Fahrkarten bucht er nämlich nicht nur gelegentlich für sich selbst – die Buchungen sind Teil seines Jobs. Er arbeitet als Telefonist im Landratsamt Altötting. In dieser Funktion kümmert er sich auch um die Dienstreisen von Kolleginnen und Kollegen. Pro Tag muss er mehrere Anfragen bearbeiten. Bei einer Buchungshotline der Bahn anzurufen, komme deshalb nicht in Frage, sagt er. Dort hänge er erstmal in der Warteschleife. Dafür fehlt ihm die Zeit. Er wolle ja schließlich arbeiten und kein "Versuchskaninchen" sein, sagt Sascha Pawolleck.
Bahn: Rückmeldungen werden ausgewertet
Dem Bayerischen Blindenverband ist das Problem bekannt. Die Bahn habe blinde Nutzerinnen und Nutzer bei der Überarbeitung ihrer Buchungsfunktion womöglich schlichtweg vergessen, vermutet ein Sprecher. Das Unternehmen selbst erklärt auf Anfrage, es seien bereits Änderungen vorgenommen worden. Die Angebote würden laufend auf die Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen angepasst und entsprechend optimiert. Rückmeldungen würden ausgewertet.
Pawollek bestätigt, dass es zuletzt wieder etwas besser geworden ist, aber gut funktioniere es immer noch nicht. Abhilfe schaffen für ihn die Seiten der Schweizerischen Bundesbahnen. Dort funktioniert alles – auch Tickets der Deutschen Bahn lassen sich buchen. Für den erklärten Bahn-Fan ein Ärgernis. Aber immerhin ein Ausweg.
Die meisten Anwendungen nicht barrierefrei
Geht es nach kritischen Beobachtern, so ist Sascha Pawolleck nicht allein mit seiner Geschichte. Zwar sind digitale Anwendungen kaum mehr wegzudenken aus dem Alltag, wirklich barrierefrei sind allerdings nur die wenigsten.
Auch der Verein "Aktion Mensch" hat bereits mehrfach Online-Shops getestet. Von zuletzt 65 der untersuchten war lediglich ein Drittel "ansatzweise barrierefrei", berichtet Sprecherin Christine Marx. Das schlechte Ergebnis findet sie auch deshalb erschreckend, weil es mit dem "Barrierefreiheitsstärkungsgesetz" seit Juni sogar vorgeschrieben ist, digitale Barrieren abzubauen. Es soll digitale Dienstleister und Hersteller verpflichten, in Zukunft mehr Rücksicht auf Nutzer mit Behinderungen zu nehmen. Und es soll empfindliche Strafen bei Verstößen geben – bis zu 100.000 Euro.
Bringt neues Gesetz Verbesserungen?
Behindertenverbände hoffen, dass das Gesetz etwas bewirkt. Aber es gibt auch Zweifel. Jan Gerspach vom Sozialverband VdK verweist darauf, dass mehr als 90 Prozent der Unternehmen in Deutschland aufgrund von Ausnahmeregelungen erstmal nichts ändern müssen und nur sehr wenige Unternehmen nun tatsächlich gesetzlich zum Handeln verpflichtet sind. Der Sozialverband VdK sieht das besonders kritisch, da digitale Anwendungen durchaus barrierefrei gestaltet werden können. Passiert dies, ergeben sich für Menschen mit Behinderungen häufig neue Möglichkeiten für berufliche Tätigkeiten.
Die konkreten Auswirkungen des neuen Gesetzes werden sich aber wohl erst in der Zukunft zeigen. Gut möglich also, dass auch die Bahn nochmal nachbessert.
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