Beschäftigung von Menschen mit Behinderung in Waischenfeld
Bildrechte: BR/Claudia Grimmer
Audiobeitrag

Cornelius arbeitet jetzt bei Will-Burt Germany in Waischenfeld

Audiobeitrag
>

Behindertenpolitik: Eltern müssen selbst aktiv werden

Behindertenpolitik: Eltern müssen selbst aktiv werden

Rund 37.000 Menschen arbeiten in Bayern in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Ziel ist auch die Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Doch die Erfolgszahlen bleiben gering. Eine Elterninitiative geht deshalb neue Wege.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Für Menschen mit einem Handicap ist es schwer, von einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln. Eine Elterninitiative in Waischenfeld ist selbst aktiv geworden, um Arbeitsplätze zu schaffen.

"Wir sind alle gleich"

Denis konnte jahrelang nicht durch die WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt werden. Dort hatte der 32-Jährige eine einzige Aufgabe: Pakete auf eine Palette schlichten. Jetzt arbeitet er in der Waischenfelder Firma Will-Burt Germany, sitzt am Computer und archiviert eingescannte Unterlagen. "Ich möchte hier arbeiten und nie mehr zurück", sagt er. Und auch Cornelius ist im Industriebetrieb beschäftigt. Der 22-Jährige arbeitet im Kabelbereich. Er findet alles "cool": die Gespräche mit seinen Kollegen, vor allem aber, dass er jetzt dazugehört.

Bildrechte: BR/Claudia Grimmer
Bildbeitrag

Beschäftigung von Menschen mit Behinderung durch den Verein "Wir sind alle gleich"

Möglich gemacht hat das der Verein "Wir sind alle gleich" (externer Link) Vier Jahre hat die Elterninitiative gebraucht, um Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung direkt in der Gesellschaft zu schaffen. Sie übernahmen einen Naturkost- und Schreibwarenladen und beschäftigen seit November acht Menschen mit Handicap. Dafür mussten sie den Leistungsanbieter ChancenGleich (externer Link) gründen.

Darüber war es auch möglich, junge Menschen mit Behinderung an die Waischenfelder Firma Will-Burt Germany zu vermitteln. "Die Arbeit des Vereins hat mich überzeugt und die Geschichten der Familien", meint Markus Kopp. Erst hatte der Unternehmensleiter Bedenken vor den gesetzlichen Auflagen und rechtlichen Hürden, aber der Verein half ihm dabei.

Kaum Chancen auf Wechsel

Was der Waischenfelder Verein schafft, ist eher die Ausnahme. Vor allem für Menschen mit einer geistigen Behinderung stehen die Chancen schlecht auf eine Vermittlungen auf den ersten Arbeitsmarkt. Programme des Bundes, wie das "Budget für Arbeit" oder das "Budget für Ausbildung" sollen es Arbeitgebern ermöglichen, Menschen mit Handicap zu beschäftigen. Sie bekommen Zuschüsse und Unterstützung. 2022 konnten dadurch aber gerade einmal bundesweit 29 betriebliche Erstausbildungen gefördert werden.

Bayern setzt unter anderem auf das Programm BÜWA, den begleiteten Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Seit elf Jahren läuft das Programm. Bilanz seit Programmstart: 154 Vermittlungen in Arbeitsverhältnisse.

Das Bundesarbeitsministerium stellte 2023 fest: Übergänge aus Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bleiben selten. Nur 0,6 Prozent der Teilnehmenden im Eingangs- und Berufsbildungsbereich schafften den Wechsel, aus dem Arbeitsbereich waren es 2019 sogar nur 0,35 Prozent.

Zu wenig wissenschaftliche Untersuchungen

"Es braucht mehr Forschung auf dem Gebiet", erklärt Nancy Reims vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Wichtig sei hier der Blick auf Projekte, die erfolgreich Menschen mit Handicap auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermitteln konnten. "Ich bin aber auch dafür, sich die Zugangswege in die Werkstätten für Behinderte noch einmal genauer anzuschauen."

Oft sei anscheinend der Lebensweg von Menschen mit Behinderung vorgezeichnet: Förderkindergarten, Förderschule, WfbM, so die Wissenschaftlerin. "Wir planen dazu Forschung, denn es gibt Hinweise, dass das häufig automatisch vollzogen wird. Es werden häufig keine Alternativen aufgezeigt."

Mehr Möglichkeiten für Behinderte

Nach einem Forschungsbericht im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (2023) scheuen sich aber auch viele Menschen mit Behinderung davor, auf den erster Arbeitsmarkt zu wechseln. Sie haben Angst vor einem Scheitern und dem anschließenden Verlust der sozialen Absicherung. 70 Prozent der befragten Werkstattmitarbeiter und -mitarbeiterinnen gab aber an, sie könnten noch viel beruflich dazulernen.

Fast zwei Drittel der Werkstattleitungen (64 Prozent) halten es für sinnvoll, Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt anders als bisher zu unterstützen. Sie wünschen sich Berufsschulunterricht und Bildungszentren für Menschen mit Behinderung oder auch einfachere unterstützende Formen der Ausbildung.

Bereits seit längerem kritisieren die Vereinten Nationen die unzureichende Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt in Deutschland. Die Ampelregierung wollte mit einem Aktionsplan im vergangenem Jahr unter anderem die Stärkung von Alternativen zur WfbM durchsetzen. Auch die 40 Jahre alte WfbM-Werkstattverordnung sollte überprüft werden. Dann kam das Aus. Jetzt herrscht wieder Stillstand für Veränderungen in der Behindertenförderung.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!