Verrostete Gewächshäuser und ein paar gelbe Verwaltungsgebäude – mehr ist von dem grausamen Ort, den die SS beschönigend "Kräutergarten" nannte, nicht übrig. Die Nazis experimentierten dort, in der Nähe des KZ Dachau, mit biologisch-dynamischer Landwirtschaft und Naturheilkunde. Bewirtschaftet wurden die Felder von Häftlingen. Hunderte kamen dabei ums Leben.
Eine neue Veröffentlichung zeigt: Anthroposophen, also Anhänger von Rudolf Steiners Lehren, spielten dabei eine größere Rolle als bisher angenommen – auch die Naturkosmetikfirma Weleda.
"Deutsche Volksmedizin" sollte entwickelt werden
"Die Gewächshäuser waren zur damaligen Zeit High-Tech-Anfertigungen", erklärt die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Gabriele Hammermann. Die SS hatte dort große Ziele: Eine "deutsche Volksmedizin" und Gewürzmischungen sollten entwickelt werden, basierend auf heimischen Kräutern.
"Plantage" berüchtigt unter KZ-Häftlingen
Bei den Häftlingen, erklärt die Gedenkstättenleiterin, war der "Kräutergarten" als "Plantage" bekannt. "Die Plantage war das gefürchtetste Arbeitskommando im Umfeld des Stammlagers Dachau." Hunderte Häftlinge brachen vor Hunger und Erschöpfung tot auf den Feldern zusammen oder wurden von der SS ermordet.
Rolle von Anthroposophen bisher unterschätzt
Doch es waren längst nicht nur Männer in SS-Uniformen, die die Häftlinge beaufsichtigten. Die Rolle von Anthroposophen sei bisher unterschätzt worden, sagt die Historikerin Anne Sudrow. Sie arbeitete die Geschichte der Plantage im Auftrag der Gedenkstätte auf.
Für die SS sei die Anthroposophie mit ihrer biologisch-dynamischen Landwirtschaft besonders nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion interessant geworden, erklärt Sudrow. "Ein Kriegsziel der NS-Regierung war es, neuen Lebensraum für das deutsche Volk zu erobern und Siedler in der Sowjetunion anzusiedeln", so die Historikerin. Doch weil Mineraldünger knapp war, sollten diese Siedler auf biologische Alternativen ausweichen.
Bio-dynamischer Forschungseifer auf Kosten von Häftlingen
Für viele Anthroposophen scheint die Mitarbeit in Dachau eine willkommene Gelegenheit gewesen zu sein – zum Beispiel für Franz Lippert. Er hatte einst den Kräutergarten der heutige Naturkosmetikfirma Weleda aufgebaut. Im Herbst 1941 wurde er Obergärtner in Dachau. "Lippert brannte für die biologisch-dynamische Sache und wollte ihre Methoden voranbringen. Und die SS bot dafür Arbeitskräfte in fast unbegrenzter Menge: die KZ-Häftlinge", sagt Historikerin Sudrow.
Während seiner Zeit in Dachau war Lippert weiter in Kontakt mit seinem ehemaligen Arbeitgeber Weleda. Sudrow dokumentiert in ihrer Forschung Briefwechsel und gegenseitige Besuche. Im Sommer 1942 erhielt Weleda außerdem eine kostenlose Lieferung getrockneter Weinblätter von der SS.
Weleda will Firmengeschichte aufarbeiten
Weleda schreibt auf BR24-Anfrage, der Kontakt zwischen Lippert und Weleda sei in den veröffentlichten Studien zu dem Thema bereits dargelegt. In einer Kurzstudie [externer Link] zur Geschichte von Weleda in der Nazizeit auf der Unternehmensseite wird dieser Kontakt aber nicht erwähnt. Weleda kündigte jedoch an, die eigene Geschichte noch einmal umfassend aufarbeiten zu lassen.
Brutale Kälteversuche an Häftlingen
Weledas Berührungspunkte mit dem KZ Dachau beschränkten sich nicht auf Lippert. Das Unternehmen hatte auch Kontakt zu dem anthroposophischem Arzt Siegmund Rascher. Der arbeitete für die SS im KZ Dachau und führte dort ab Sommer 1942 brutale Kälteversuche an Häftlingen durch. Die Nazis wollten herausfinden, wie sie etwa Piloten, die über dem Ärmelkanal abgeschossen wurden, vor dem Erfrieren schützen konnten. Etwa 80 bis 90 Häftlinge starben bei diesen Versuchen.
Einsatz von Weleda-Creme?
Auch Weleda verkaufte zu dieser Zeit eine Frostschutzcreme. Anfang 1943 lieferte Weleda das Mittel an den Arzt Rascher. Zuvor hatte die Firma über Rascher aus dem Lager der SS in Berlin Vaseline geliefert bekommen.
Sudrow fand in den nur spärlich überlieferten Dokumenten zu den Trockenfrostversuchen keine Belege dafür, dass Weleda von Raschers Experimenten wusste. Darauf verweist das Unternehmen auf BR24-Anfrage. Die Historikerin gibt aber zu Bedenken, dass Weleda erkannt haben muss, dass es sich um einen Auftrag der SS handelte, da sie im Februar 1943 direkt von der SS aus Berlin Rohstoffe für die Creme geliefert bekam und die Rechnung für die Creme direkt von der SS beglichen wurde.
Plantage soll Teil der Gedenkstätte werden
Geht es nach der Gedenkstätte, soll die Plantage bald in die Ausstellung integriert werden. Damit nicht in Vergessenheit gerät, welche Verbrechen dort begangen wurden – auch im Namen der der biologisch-dynamischen Landwirtschaft.
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