Strahlender Sonnenschein, klare Sicht und ein Hauch von Herbst in der Luft – das Kaiserwetter wird an diesem Tag wieder zahlreiche Wanderer auf den Jenner locken. Mit der Seilbahn dauert es keine halbe Stunde bis zur Bergstation, von dort ist es nur noch ein kurzer Aufstieg bis zum Gipfelkreuz.
Oben angekommen belohnt der Blick auf den glitzernden Königssee jeden einzelnen Schritt. Bergführer Jörg Fegg kennt diesen Moment seit 25 Jahren – und jedes Mal, sagt er, sei es für ihn wieder ein kleines Wunder. Doch seit diesem Sommer wartet am Jenner-Gipfel nicht nur ein beeindruckendes Alpenpanorama, sondern auch eine kleine digitale Revolution: das erste digitale Gipfelbuch.
Am Gipfelkreuz wird jetzt gescannt statt geschrieben
Bisher lag dort das klassische Heft. Aber an diesem Gipfel waren es oft zu viele Besucher, zu wenig Platz – die analogen Bücher waren regelmäßig voll, Mitarbeitende der Jennerbahn mussten immer wieder neue Exemplare hinauftragen.
Mit dem digitalen System soll das einfacher werden. Seit Juni ersetzt ein QR-Code das klassische, oft durchnässte Heft. Die Idee: Statt Stift und Papier reicht nun ein Klick mit dem Smartphone. Doch wie kommt die Innovation bei den Wanderern an?
Das Echo ist gemischt. Während viele ausländische Gäste die moderne Lösung begeistert nutzen, zeigen sich Einheimische eher zurückhaltend. Einige Wanderer meinen, ein echtes Gipfelbuch gehöre einfach dazu.
Ein Pärchen aus Hamburg wagt den Selbsttest. Der QR-Code ist schnell gescannt, das Formular geöffnet – doch dann stockt der Upload. Ohne stabile Internetverbindung geht nichts. Nach einer Minute lädt die Seite immer noch. Das Paar zeigt sich etwas enttäuscht und will den Eintrag später im Tal erneut versuchen. Eigentlich, so finden sie, sollte der Eintrag aber am Gipfel funktionieren – nicht erst danach.
Ein Blick ins Archiv: Kunstvolle Zeugnisse vergangener Zeiten
Bergführer Fegg ist nicht nur erfahrener Tourenleiter, sondern auch zweiter Vorsitzender der DAV-Sektion Berchtesgaden. In den Vereinsarchiven hat er wahre Schätze entdeckt: Gipfelbücher aus dem frühen 20. Jahrhundert – mit handgeschriebenen Einträgen, kunstvollen Zeichnungen und liebevollen Gedichten. Er erzählt, damals hätten sich die Menschen beim Schreiben noch richtig Mühe gegeben. Auf einer Seite habe jemand sogar seine Bergbegleitung mit einem farbenfrohen Aquarell verewigt – über 100 Jahre alt. Solche persönlichen Spuren, so Fegg, würden im digitalen Zeitalter seltener. Früher hätten die Einträge außerdem einen praktischen Nutzen gehabt: Im Notfall habe die Bergwacht mit ihrer Hilfe den Weg Vermisster nachvollziehen können – und das geschehe teilweise bis heute.
Tradition und Zukunft auf dem gleichen Gipfel
Trotz aller Nostalgie glaubt Fegg, dass digitale Gipfelbücher keine Ausnahme bleiben werden – vor allem an leicht erreichbaren Bergen wie dem Jenner, zu dem eine Seilbahn führt. Bei anspruchsvolleren Touren, meint er, werde das klassische Buch sicher noch eine Weile erhalten bleiben. Der Blick über den Königssee am Jenner bleibt derselbe – nur der Eintrag ins Gipfelbuch hat sich verändert. Es empfiehlt sich, das Handy auch mal wegzulegen und den Blick auf den Watzmann und den Königssee so festzuhalten.
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