Es geht um eine Vorstellung des Stücks "Ente, Tod und Tulpe" am Mainfranken Theater in Würzburg Mitte November. Ein Mann mit Behinderung ruft hier dazwischen. Für Intendant Markus Trabusch eine "massive Störung", wie er danach öffentlich im Gespräch mit der "Main-Post" sagt (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt).
Seine Lösung: Sonderveranstaltungen, sogenannte "Relaxed Performances", Theater mit anderen Spielregeln quasi. Mehr Rollstuhlplätze, vielleicht sogar Liegemöglichkeiten, Dolmetscher für Gebärdensprache, reduzierte Geräusche und Lichteffekte. Geht es hier um Inklusion oder störungsfreien Kulturgenuss?
Idee der Sondervorstellungen löst Kritik aus
Diese Sondervorstellungen seien als zusätzliches Angebot zu verstehen, erklärt Trabusch im Gespräch mit BR24. "Wer sich entscheidet zu uns zu kommen, wird nicht von uns gesteuert. Wir werden nicht selektieren!" Ganz so einfach sei es nicht, sagt Julian Wendel. Er ist Behindertenbeauftragter der Stadt Würzburg und befürchtet, dass das Angebot eine bestimmte Wirkung haben könnte: "Dass Menschen mit Behinderung dann in anderen Veranstaltungen nicht mehr ganz so erwünscht sind."
Das sehen auch mehrere Gewerkschaften so: Die Bühnengenossenschaft, die Musiker- und Orchestervereinigung und Verdi halten von der Idee der Relaxed Performances überhaupt nichts. Sie seien das Gegenteil von Inklusion und vielmehr ein "klarer Schritt Richtung Ausgrenzung". Sie fordern den Intendanten jetzt sogar auf, zurückzutreten.
Theaterleitung nimmt Stellung
Auf Anfrage von BR24 nimmt die Theaterleitung Stellung zur aktuellen Berichterstattung. Das Mainfranken Theater verstehe sich als Ort der Begegnung und Diversität. Inklusion bedeute mehr als den physischen Zugang zu ermöglichen. Dass der Eindruck entstanden sei, das Mainfranken Theater stelle sich gegen Teilhabe aller Menschen, bedauere man. Zudem seien Gespräche mit der Community geplant. Auf die Rücktrittforderung bezieht sich der Intendant in der Stellungnahme nicht.
Sozialverband lehnt Sondervorstellungen nicht grundsätzlich ab
Am Staatstheater Augsburg gibt es "Relaxed Performances" bereits. Verena Bentele, Landesvorsitzende des Sozialverbands VdK Bayern, lehnt die Idee grundsätzlich nicht ab, gibt aber zu bedenken, dass diese Veranstaltungen "nur ein Angebot unter vielen sein" können. "Um Teilhabe zu gewährleisten, darf der Schwerpunkt nicht auf exklusiven Veranstaltungen wie diesen liegen", heißt es in einer Stellungnahme auf BR24-Nachfrage.
"Kunstschaffende müssen mit dieser Störung umgehen können"
In einem Gespräch vergangene Woche nahm Intendant Markus Trabusch zu ebendiesem Thema Stellung: "Wir wollen keinen Einfluss darauf nehmen, wer sich für welche Vorstellung entscheidet. Im Zweifel muss eine Vorstellung die Störung aushalten oder das Publikum muss das miteinander verhandeln." Der Behindertenbeauftragte Julian Wendel sieht die Verantwortung woanders: "Kunstschaffende müssen mit dieser Störung umgehen können. Ein guter Schauspieler, eine gute Schauspielerin kann Störungen aushalten, vielleicht sogar einarbeiten und ins Stück integrieren."
Praxis-Beispiel eines inklusiven Theater-Ensembles
Nicht exakt nach Drehbuch spielen, improvisieren: Das ist ein Markenzeichen des Theaters Augenblick, ein inklusives Ensemble aus Würzburg. Die hauptberuflichen Schauspielerinnen und Schauspieler sind Menschen mit und ohne Behinderung. Auch beim aktuellen Stück "Helle Schatten" ist das Publikum bunt gemischt. Die erste Reihe ist nicht bestuhlt. Hier ist Platz für Menschen im Rollstuhl. Susanne Dill ist Theater- und Sonderpädagogin beim Theater Augenblick: "Bei uns kann das Publikum jederzeit rein- und rausgehen. Wir achten darauf, dass das Licht reduziert wird und nicht flackert. Rollstuhlfahrer können früher rein – 'early boarding' heißt das."
Viele Szenen im Stück funktionieren ohne Sprache. Musik oder kleine Performances transportieren, worum es geht. Und es geht um viel: um die Würde des Menschen, um seine individuelle Existenz und was wir vermissen, wenn alles vorbei ist. Entstanden ist das Stück aus Improvisationen und persönlichen Geschichten der Darstellerinnen und Darsteller. Auch die Vorführung selbst folgt keinem exakten Drehbuch.
Diskussion möglicherweise Denkanstoß für mehr Inklusion
Die aktuelle Diskussion um Sondervorstellungen findet Dill nicht verkehrt, wenn auch etwas zu groß geraten für den Einzelfall. Sie hat aber auch eine Vermutung, warum das so ist: "Ich glaube, die Gesellschaft ist noch nicht so weit. Theater ist ein Konstrukt im Kopf mit bestimmten Konventionen, etwa dass alle ruhig sein müssen, alle müssen auf ihren Stühlen sitzen." Sie erhofft sich von der Diskussion einen Denkanstoß für mehr Inklusion.
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