Eigentlich ist das Team der ADAC-Luftrettung Straubing gerade auf dem Rückflug eines Einsatzes, als es am Boden zu einem Motorradunfall auf der A92 Richtung Deggendorf kommt. Das Team um Notarzt Dr. Christoph Kerscher muss auf der Autobahn landen. Die Diagnose des Notarztes: "Verdacht auf ein schweres Schädel-Hirntrauma. Und da zählt jede Minute."
Noch auf der Autobahn versetzt der Notarzt den verunglückten Motorradfahrer ins künstliche Koma, bevor das Rettungsteam ihn zum Straubinger Krankenhaus fliegt. Der Patient hat Glück, dass der Rettungshubschrauber Christoph 15 gerade in der Nähe war. Der Rettungstransport auf der Straße hätte deutlich länger gedauert.
Lage der Rettungsteams angespannt
Schon jetzt stoßen Rettungsteams am Boden bei Einsätzen an ihre Grenzen. Ihre Arbeit könnte mit jeder zusätzlichen Klinikschließung noch schwerer werden, weil die Retter pro Einsatz dann zeitlich länger gebunden sind. Eine Erfahrung, die Notfallsanitäter Matthias Fischer vom MKT-Rettungsdienst in Bad Feilnbach bei Rosenheim schon jetzt immer wieder mache, erzählt er dem BR-Politikmagazin Kontrovers.
"Die Kliniken haben genauso eine Personalnot wie wir im Rettungsdienst. Das bedeutet: In den Kliniken müssen sie einzelne Ressourcen abmelden und stehen für uns in der Notaufnahme nicht mehr zur Verfügung. Wir müssen längere Fahrstrecken in Kauf nehmen, um den Patienten in ein Krankenhaus bringen zu können." Matthias Fischer, Notfallsanitäter MKT-Rettungsdienst
Die Folge: Einsatzkräfte sind für andere Einsätze und Notfälle nicht verfügbar. So verlängern sich auch die Rettungszeiten nachfolgender Patienten.
Kürzerer Rettungsweg, bessere Chancen
Je kürzer die Retter mit dem Patienten bis zum Krankenhaus unterwegs sind, desto höher sind die Aussichten auf eine erfolgreiche medizinische Notfallbehandlung.
In der Stadt braucht ein Rettungstransport durchschnittlich 48 Minuten bis zur Notaufnahme. Auf dem Land durchschnittlich 54 Minuten. Besonders auf dem Land könnten die Wegezeiten auf der Straße deutlich steigen, wenn es, auch aufgrund der Krankenhausreform des Bundes, zu Klinikschließungen kleinerer Krankenhäuser mit Notaufnahmen kommt.
Unabhängig von der Reform warnen Bayerns Krankenhäuser schon jetzt vor einem Kliniksterben aus finanziellen Gründen: Die Krankenhausgesellschaft geht davon aus, dass 80 Prozent der bayerischen Kliniken ein Defizit droht. Klinikinsolvenzen sind eine mögliche Folge. Als eine Lösung, um die Rettungszeiten dennoch nicht ausufern zu lassen, wird der Ausbau der Luftrettung diskutiert. 15 Rettungshubschrauber sind derzeit in Bayern im Einsatz – so viele wie in keinem anderen Bundesland, heißt es vom bayerischen Innenministerium.
Luftrettung gegen lange Fahrzeiten?
Wie groß der zeitliche Unterschied zwischen Patiententransporten mit dem Rettungswagen und mit dem Rettungshubschrauber tatsächlich ist, zeigt ein Einsatz der Luftrettung in den vergangenen Tagen: Ein Kleinkind mit einer Stoffwechselerkrankung soll von einem Hof in Niederbayern in die Haunersche Kinderklinik in München transportiert werden. Statt mehr als dreieinhalb Stunden Fahrtzeit mit dem Rettungswagen braucht das Team von Dr. Christoph Kerscher gerade mal 30 Minuten Flugzeit nach München.
Immer häufiger wird die Straubinger Luftrettung für Flüge solcher nicht unmittelbar lebensbedrohlicher Fälle eingesetzt, erzählt Kerscher dem BR-Politikmagazin Kontrovers: "30 Prozent unserer Patienten nehmen wir mit an Bord und fliegen sie in die entsprechenden Kliniken."
Flugbeschränkungen - ungenutzte Möglichkeiten in Bayern?
Um zeitliche Vorteile angesichts eines befürchteten Kliniksterbens stärker nutzen zu können, wünscht sich die ADAC-Luftrettung mehr Unterstützung vom bayerischen Innenministerium. Denn derzeit dürfen nur drei Rettungshubschrauber an den Standorten München, Nürnberg und Regensburg auch nachts fliegen. Die übrigen Luftretter Bayerns dürfen nur unter strengen Beschränkungen in der Dämmerung oder der frühen Nacht fliegen.
Eine sogenannte Randzeiten-Erweiterung könnte mehr Einsätze ermöglichen und somit auch Rettungsteams am Boden entlasten. Derzeit sieht das bayerische Innenministerium jedoch keinen Handlungsbedarf. Es beobachtet die Situation "und wird bei Bedarf unter anderem über eine Ausweitung der Betriebszeiten der Rettungstransporthubschrauber in die Randzeiten entscheiden", heißt es auf Anfrage von Kontrovers.
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