Umweltwissenschaftler Frank Wolfgang Günthert plädiert für für Risikoanalysen
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Extremwetter: Experte fordert Risikoanalyse für jede Gemeinde

Extremwetter: Experte fordert Risikoanalyse für jede Gemeinde

Die Wahrscheinlichkeit für Extremwetterereignisse wird künftig weiter steigen. Darum plädiert der Umweltwissenschaftler Wolfgang Günthert im Kontrovers-Interview für Risikoanalysen. Bislang haben aber nur wenige bayerische Gemeinden eine gemacht.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Frank Wolfgang Günthert ist Professor für Bauingieurwesen und Umweltwissenschaften an der Universität der Bundeswehr in München. Wie viele seiner Kollegen versucht er schon lange auf die zu erwartenden Folgen aufmerksam zu machen, die der Klimawandel mit sich bringen wird. Dass das Ausmaß des Hochwassers – besonders im Westen Deutschlands – so katastrophal würde, habe aber auch er nicht erwartet.

Dennoch müssten wir uns auf häufigere Extremereignisse einstellen. Somit seien auch Gebiete gefährdet, die augenscheinlich nicht als Risikogebiet für Starkregen und Hochwasser bekannt sind, wie etwa der Landkreis Hof. Die Rechnung scheint einfach: "Ein Grad Temperaturerhöhung heißt sieben Prozent mehr Feuchtigkeit in der Luft. Und diese sieben Prozent kriegt man als Niederschlag wieder. Das heißt, da müssen wir uns darauf einstellen, dass wir mehr Niederschlag bekommen und damit auch mehr Abfluss", sagt Günthert.

Informieren und Warnen

Doch wie hoch ist das tatsächliche Risiko hinter dieser Rechnung? Viele Menschen wüssten wahrscheinlich gar nicht, in welcher Gefahr sie lebten, so Günthert. Schon jetzt hat Süddeutschland – und damit auch Bayern – im Vergleich zu übrigen Gebieten in Deutschland aufgrund des Alpenkammes die höchsten Niederschlagsmengen.

Darum ist es sowohl für jeden Einzelnen als auch für Kommunen mit Blick auf die Prognosen umso wichtiger, Risikoanalysen durchzuführen – selbst für extreme und nicht zu erwartende Fälle, sagt Günthert gegenüber dem BR-Politikmagazin Kontrovers. Denn die Extremwetterereignisse könnten wirklich alle Gemeinden treffen: "In Deutschland muss man dort analysieren, wo Menschen leben, ob sie gefährdet sind durch Starkregen."

  • Zum Artikel "Versicherungsexpertin: Hochwassergefahr wird weiter unterschätzt"

Dichte Baumaßnahmen erhöhen Hochwasser-Risiko

Darum warnt Günthert vor dem Bau von Siedlungen, sensiblen Gebäuden wie etwa Kindergärten, Schulen oder Krankenhäusern sowie anderer Infrastruktureinrichtungen in potentiellen Gefahrenbereichen – sowohl in Hanglage als auch in möglichen Abflussgebieten. Im Falle von Starkregenereignissen könne das Wasser in diese Flächen abfließen. Wenn sie bebaut sind, kommt es hingegen zu Überschwemmungen.

Ein Grund für die dichten Bebauungsmaßnahmen der vergangenen Jahrzehnte sei, dass Baugebiete sehr teuer seien. Jeder Quadratmeter, der für Bau genutzt werden könnte, würde aus ökonomischen sowie siedlungspolitischen Gründen genutzt, so der Umweltwissenschaftler im BR-Kontrovers-Interview. Die Folge: "Die Siedlungen rücken immer mehr an gefährdete Bereiche und die gefährdeten Bereiche werden immer größer, weil sie immer weniger Raum zum Abfluss haben."

Nachträgliche Maßnahmen möglich?

Wie allerdings kann man eine Siedlungsfläche nachträglich schützen, wenn die Flächen bereits bebaut sind? Eine pauschale Antwort dafür gibt es nicht, es sei immer eine Einzelfallentscheidung. Eine Option sieht Günthert in der aktiven Geländemodellierung, indem etwa Barrieren für das Wasser gesetzt werden.

Auch Hausbesitzer könnten Maßnahmen treffen. Dazu gehöre etwa keine Schlaf- oder Wohnräume im gefährdeten Bereich des Wohngebäudes einzurichten. So seien – wenn das Hochwasser etwa während der Nacht ansteigt – Menschen nicht direkt gefährdet.

Kommunale Träger und Gemeinden gefordert

Gerade, weil Extremwetterereignisse künftig jede Gemeinde treffen könnten, sollten Günthert zufolge auch alle Kommunen entsprechende Vorsorgemaßnahmen treffen – unabhängig davon, ob sie in potentiell bereits bekannten Risikogebieten liegen oder nicht. Konkret heißt das für den Umweltwissenschaftler, Gefahren- und Risikoanalysen zu machen und anschließend über Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu entscheiden.

Risiko bestimmen

Laut Günthert gibt es verschiedene Möglichkeiten, Risikoanalysen zu ermitteln. Eine Option sei die Betrachtung alter topografischer Karten: "Wo waren früher Gewässer und plötzlich sind keine Gewässer mehr da, weil sie einfach überbaut sind?" Auch die Analyse vergangener Feuerwehreinsätze könne auf Brennpunkte hinweisen. Mithilfe digitaler Geländemodelle könnten Kommunen verschiedene Niederschlagsereignisse imitieren und so zusätzlich die Risiken bestimmen und sogar analysieren, an welchen Stellen und wie hoch sich das Wasser dort im Extremwetterereignis ansammeln würde.

"Ich propagiere schon seit Jahren, dass jede Gemeinde – überall, auch wenn es noch so trocken ist – sich über solche Gefahrenkarten bewusst sein muss. Was kann passieren, wenn es extreme Niederschläge gibt? Wo steht welches Wasser? Das muss man kommunizieren, an seine Bürger und Informationsaufklärung betreiben." Prof. Frank Wolfgang Günthert, Universität der Bundeswehr München

Gründe für fehlende Risikoanalysen

Die Kosten einer Gefahrenkarte für eine kleine Gemeinde liegt laut Günthert etwa im Bereich eines Mittelklasse-Autos. Bislang ist die Risikoanalyse in Bayern freiwillig – trotz Zuschussmöglichkeiten vom Staat. Oft hindern jedoch politische Interessen eine Gemeinde daran, solche Maßnahmen zu ergreifen, so Günthert gegenüber Kontrovers: "Das ist immer unser politisches Problem, dass Bürgermeister wiedergewählt werden wollen und dann machen sie ungern etwas, das negativ ankommen könnte."

Viele Bürger verstünden die Zusammenhänge zu wenig: Eine Gefahrenkarte habe für viele noch immer einen negativen Beigeschmack, weil sie laut Günthert fürchten, ihr Gebäude sei dann weniger wert. "Wenn die Leute verstehen, dass es zu ihrem eigenen Nutzen ist, dann sind sie vielleicht eher bereit, so etwas zu machen," sagt der Umweltwissenschaftler. Bislang haben nur wenige bayerische Gemeinden eine Risikoanalyse gemacht. Das soll sich jetzt ändern, fordert heute auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in seiner Regierungserklärung. Die Kosten für kommunale Flutschutzkonzepte übernimmt der Freistaat bis zu 75 Prozent. Das Fördergeld wurde bisher allerdings kaum genutzt.

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