Die Zahl der Arbeitslosen hat erstmals seit Februar 2015 wieder die Drei-Millionen-Marke überschritten. Im Monat August lag die Zahl zuletzt im Jahr 2010 über drei Millionen. Ein Anstieg im Sommer ist üblich, da sich viele Schulabgänger arbeitslos melden, bevor die Ausbildung oder das Studium beginnt.
Doch heuer spiegeln sich neben den saisonüblichen Entwicklungen auch andere wider: der Stellenabbau in der Industrie, wenige Neu-Einstellungen und der nach wie vor bestehende Fachkräftemangel in einigen Branchen.
Nach vierzig Jahren im Betrieb kam die Entlassung
Einer der Arbeitslosen in der Statistik ist Manfred Völkel. Er hat fast 40 Jahre lang bei einem großen Unternehmen gearbeitet – zuletzt als Teamleiter. Dann wurde seine Stelle gestrichen. Daran habe er schon zu knabbern gehabt. Doch der 60-jährige ausgebildete Lackierer ist motiviert: "Ich muss nicht mit 65 Jahren in Rente gehen", sagt er. Dass immer wieder vom Fachkräftemangel die Rede ist, kann er nicht verstehen. "Ich bekomme keinen Job als Facharbeiter."
Vermittlung derzeit nicht einfach
Elke Dobner hat schon das Aus von AEG in Nürnberg vor fast 20 Jahren miterlebt und mit begleitet. Sie arbeitet in der Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft gpq. Wenn Unternehmen mehrere Beschäftigte entlassen, sollen sie dort weitergebildet und wieder in Arbeit vermittelt werden. In den 2000er Jahren seien ihnen das bei nahezu allen gelungen, sagt Elke Dobner.
Im Moment sei das schwierig, vor allem bei Automobilzulieferern. "Es ist durchaus so, dass es immer mal wieder Stellen gibt, aber lange nicht in dem Umfang, wie wir es von früheren Zeiten her kennen", sagt sie und bezeichnet den Arbeitsmarkt als "verhalten".
Arbeitsmarkt für Ältere und Jüngere schwierig
Nicht nur für Ältere ist es derzeit schwieriger geworden, Arbeit zu finden, auch für Jüngere. Das beobachtet Wirtschaftswissenschaftler Malte Sandner von der Technischen Hochschule Nürnberg, der über den Übergang von Studium und Beruf forscht. "Die Absolventen, die heute ihr Studium abschließen, haben das Pech, dass die in einen Arbeitsmarkt eintreten, wo viele Unternehmen in bestimmten Sektoren Arbeitsplätze abbauen", so Sander. Auch er bezeichnet die Automobil- und Zuliefererbranche als schwierig.
Vorsichtig bei der Neueinstellung
Unternehmen zögern, neue Mitarbeiter einzustellen. Das stellt auch die Unternehmerin Fadja Anna Nayel fest. Sie ist Vizepräsidentin der Industrie- und Handelskammer für Mittelfranken und führt ein Elektronik-Unternehmen in Nürnberg. Ihre Firma läuft, auch sie könnte jemanden einstellen.
Sie zögert aber noch. Es habe zu viele Krisen, zu viele Unwägbarkeiten in den vergangenen Jahren gegeben. Dazu gehörten unter anderem die gestiegenen Energiepreise nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sowie die Zollstreitigkeiten mit den USA. "Ich weiß nicht, wie es weitergeht", sagt sie.
Branchen, die einbrechen und Branchen, die boomen
Die Situation sei von Branche zu Branche sehr unterschiedlich, sagt der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), Bertram Brossardt. Die Arbeitslosigkeit entstünde konjunkturbedingt und durch die Strukturveränderungen in der Industrie. 18.000 Stellen sind in Bayerns Metall- und Elektroindustrie im ersten Halbjahr 2025 weggefallen. Nachdem der Export nach China eingebrochen sei, müssten neue Märkte erschlossen werden. Dennoch gebe es boomende Branchen. Brossardt bezeichnet den Arbeitsmarkt deshalb als gespalten.
"Zerrissener Arbeitsmarkt"
Die Meldung neuer Stellen liege am Boden, sagt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber. Er leitet den Bereich Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Weber bezeichnet den Arbeitsmarkt als "zerrissen". In der Industrie gingen deutschlandweit mehr als 10.000 Jobs im Monat verloren. Andere Branchen wie Pflege, Gesundheit, Erziehung, Verkehrswesen oder auch Rüstung bauen Beschäftigung auf. Arbeitskräfte seien knapp, trotzdem steigt die Arbeitslosigkeit. "Das zeigt die ganze Zerrissenheit im Moment", so Weber.
Die drei Millionen Arbeitslosen sind seinen Prognosen zufolge nur kurzfristig. Im Herbst könnte die Zahl wieder sinken. Es gebe eine bessere Konjunkturerwartung, sagt Weber. Doch auch wenn es der Wirtschaft besser gehen sollte, dauert es, bis sich das in den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit niederschlägt. Denn der Arbeitsmarkt reagiert immer mit Verzögerung auf die Konjunktur.
Im Video: Nahles äußert sich zur Zahl der Arbeitslosen
Nahles äußert sich zur Zahl der Arbeitslosen
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