Der deutsche Dachverband der Fanhilfen reagierte prompt: Merz' Ansichten hätten mit der Realität in den Stadien nichts zu tun. Der Vorwurf zunehmender Gefährdung der Sicherheit sei Unfug, sagt Rechtsanwalt Ralf Peisl aus Nürnberg. Der Bundeskanzler wolle sich womöglich als Law-and-Order-Politiker profilieren.
Pyrotechnik nimmt zu
Dabei sei die Sicherheitslage in deutschen Fußballstadien nach wie vor stabil, so der Anwalt der "Rot-Schwarzen Hilfe" für Anhänger des 1. FC Nürnberg. Nach der Corona-Zeit mit gesperrten Arenen sei allerdings der Einsatz von Pyrotechnik in Fankurven gestiegen, was manchem Stadionbesucher ein mulmiges Gefühl bescheren könnte, so Peisl zu BR24. Die Vereine müssen dafür Bußgelder zahlen, die erwischten Fans ebenfalls. Bei Verletzungen von Menschen droht Gefängnis. Die Polizei erfasste in der letzten Saison in den drei höchsten Ligen bundesweit 2.766 Pyro-Verstöße als Ordnungswidrigkeit und 721 als Straftat.
Steigende Zuschauerzahlen berücksichtigen
Doch angesichts gestiegener Zuschauerzahlen sei der Anteil der Straftaten in und um die Stadien herum nicht gewachsen, sagt der Fanforscher der Uni Würzburg, Harald Lange. Der Prozentsatz an Gewalt bei Volksfesten in Bayern sei höher als in den Stadien. Kanzler Merz - selbst zuweilen schon mal im Stadion von Borussia Dortmund - dramatisiere ein Problem, das im Vergleich zu den 80er und 90er Jahren heute marginal sei.
Weniger Schlägereien als bei Hooligans früher
Schlägereien im Umfeld der Stadien habe es in früheren Jahrzehnten häufiger gegeben, als noch von Hooligan-Gruppierungen die Rede war, sagt der bekannte Sportjournalist Pit Gottschalk. Doch inzwischen werde auch mehr berichtet: über aktuelle Ausschreitungen zumeist von Ultra-Gruppierungen, sowohl in Städten als auch auf der grünen Wiese. Das schaffe womöglich Unsicherheitsgefühle, obwohl der friedliche Stadionbesucher davon kaum betroffen sei, so Gottschalk zu BR24.
Straftaten nur kurzfristig gestiegen
Die Polizei zählte in der vergangenen Saison rund um Spiele von der ersten bis zur dritten Liga bundesweit rund 7.400 Straftaten. Ein Anstieg von gut zwölf Prozent im Vergleich zur Vorsaison. Doch gegenüber den rund 7.900 Straftaten vor zehn Jahren ist es ein Rückgang, der im Vergleich noch größer ausfällt, da er nur die Taten aus 1. und 2. Liga erfasst - wie damals noch üblich.
Unter den Fans der insgesamt 54 Vereine der ersten drei Ligen ist laut Zentraler Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei "die Anzahl der Personen, die zur Gewalt neigen oder diese sogar aktiv suchen, konstant geblieben und liegt bei ca. 13.800 Personen." In Sachen Stadionverbot scheinen die Vereine nun stärker durchzugreifen: Im August 2024 waren fast 600 bundesweit wirksame Stadionverbote in Kraft. Dies entspricht einem Zuwachs zur Vorsaison von rund 76 Prozent.
Polizeipräsenz und "subjektives Sicherheitsgefühl"
Geht es also eher um das subjektive "Sicherheitsgefühl", das Kanzler Merz mit seinem Satz anspricht: "Wir müssen ein gemeinsames gesellschaftspolitisches Interesse daran haben, dass die Stadien sicher sind, dass wir das, was dort von den Fans kommt, einigermaßen unter Kontrolle halten"? Die Empörung in den Fanszenen über das "hier zutage tretende Feindbild Fußballfan" ist jedenfalls groß.
Fabian Northmann vom "Weiß-grünen Hilfefonds" im Umfeld der SpVgg Greuther Fürth sieht eher die umgekehrte Entwicklung: Inzwischen sei "ohne Not die Präsenz der Polizei gerade im Umfeld der Stadien derart gestiegen", dass man als Besucher gerade deswegen verunsichert sein könne. Auch bei einem Nicht-Risikospiel werde die Reiterstaffel der bayerischen Polizei eingesetzt. Zudem schwirrten auch immer häufiger Polizeidrohnen über den Köpfen der Fans. Solche Machtdemonstrationen hätten nichts mit Deeskalation zu tun, so Northmann.
Miteinander reden?
Der Dachverband der Fanhilfen, der Merz nun klar widersprochen hat, sollte laut Pit Gottschalk den Bundeskanzler einladen: "Nicht zur Belehrung, sondern zum Dialog. Denn wer über Fans redet, sollte auch mit ihnen reden. Das wäre ein Anfang, um die Kluft zwischen Kanzleramt und Kurve zu überbrücken. Kontrolle ist keine Lösung, Verständnis schon eher."
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