Mittags an der Münchner Freiheit: Ariane Syguda schiebt einen Kinderwagen. Darin liegt ihre sechs Monate alte Tochter – ein sehr großes Glück, aber auch eine schwierige Entscheidung. "Ich habe mir Sorgen wegen meines Berufs gemacht. Ich habe studiert und dann meinen Job angefangen. Nun bin ich eine Weile aus dem Beruf draußen und habe Angst, dass ich abgehängt werde", sagt die 30-Jährige. Sie arbeitet in einer Biotechnologiefirma und ist nun in Elternzeit.
Mit dem Gefühl, sich zwischen Karriere und Familie entscheiden zu müssen, ist sie nicht alleine – und es ist auch nicht der einzige Grund, der die Entscheidung für ein Kind so schwer gemacht hat.
Sinkende Geburtenrate: Frauen bekommen weniger Kinder
Es werden immer weniger Kinder in Deutschland geboren: Die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Frau in Deutschland zur Welt bringt, betrug im vergangenen Jahr 1,35. In Bayern ist der Wert nur leicht höher, bei 1,39. Doch auch im Freistaat ist die Geburtenrate insgesamt gesunken – tiefer lag sie zuletzt im Jahr 2011.
Experten führen den Rückgang auf die Vielzahl von Krisen zurück, wie Kriege und Klimawandel. Auch Ariane Syguda und ihr Mann haben sich aus diesem Grund mit der Entscheidung, ein Kind zu bekommen, schwergetan: "Wir haben uns auch Gedanken gemacht, ob man heutzutage wegen des Klimawandels nochmal ein Kind bekommen soll und ob man das ihm zumuten kann." Aber auch Faktoren wie die wirtschaftliche Lage, steigende Mieten, wenige Betreuungsmöglichkeiten und die Vereinbarkeit mit dem Beruf erschweren die Entscheidung.
Vereinbarkeit von Karriere und Familie beeinflussen Entscheidung
Die Soziologin Jutta Allmendinger sieht die ungleiche Aufteilung von Care-Arbeit und den Druck, der dadurch auf Frauen lastet, als einen wichtigen Grund, warum sich viele gegen Kinder entscheiden. "Wir sollen immer mehr erwerbstätig sein, also bezahlt tätig sein und gleichermaßen die unbezahlte Arbeit weiterhin auf dem Niveau von vor zehn, 20 Jahren machen", sagt Allmendinger. "Und deshalb sagen immer mehr Frauen, dass es keine Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt, sondern sie müssen die Entscheidung treffen, entweder das eine oder das andere zu machen. Gerade auch deswegen, weil Männer nicht gleichermaßen bei der Erziehungsarbeit anpacken."
Die junge Mutter Ariane Syguda teilt sich die Care-Arbeit mit ihrem Mann. Doch neben ihrem inneren Dilemma bekommt sie von außen gespiegelt: Das, was du machst, ist falsch. "Also entweder, wenn ich sage, dass ich mein Kind mit einem Jahr in die Kita bringe, dann wird schon gesagt: Oh, warum hast du denn überhaupt ein Kind bekommen? Oder wenn ich dann sage, dass ich gerne hätte, dass sie länger bei mir bleibt, dann kommt die Reaktion: Ja, aber warum hast du denn dann studiert?", sagt Syguda.
Mehr Investitionen in Familienpolitik
Werden heute immer weniger Kinder geboren, zeigen sich die Folgen in frühestens zwei Jahrzehnten, wie der weiter steigende Fachkräftemangel und höhere Rentenbeiträge. Laut Experten würde der aktuelle Fachkräftemangel auf die niedrigen Geburtenraten in den 1980er-, 1990er- und 2000er-Jahre zurückgehen. Um dem entgegenzuwirken, plädieren sie für mehr Investitionen in die Familienpolitik, etwa in Kinderbetreuung und Elterngeld. Die Bayerische Staatsregierung zahlt für Kinder, die nach dem ersten Januar 2025 geboren sind, einmalig 3.000 Euro zum ersten Geburtstag.
Unternehmen und Familien – wer soll sich wem anpassen?
Die Soziologin Allmendinger plädiert auch dafür, dass sich Unternehmen den Bedürfnissen von Familien mehr anpassen sollten. "Wir richten unsere Lebensverläufe immer noch nach dem Arbeitsmarkt aus, ohne zu sehen, dass man den Arbeitsmarkt viel mehr ausrichten müsste auf die Ereignisse eines wunderbaren Lebens."
Ariane Syguda wünscht sich mehr Flexibilität und Betreuungsmöglichkeiten, die es ihr in Zukunft auch ermöglichen, ihren Beruf wieder auszuführen. "Ich wünsche mir auch, dass man nicht verurteilt wird, wenn man auch noch irgendwo sein eigenes Leben hat und nicht nur Hausfrau und Mutter sein möchte."
Mit Informationen von dpa
Dieser Artikel ist erstmals am 5.8.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!