Mehr als 100 Unterstützer von Hanna S. haben sich am Freitagmittag vor dem Gefängnis München-Stadelheim versammelt. "You are not alone", "du bist nicht allein" skandieren sie, und "Free Hanna". Bei der Urteilsverkündung kann aus Platzgründen nur etwa die Hälfte der Demonstranten zuhören. Die Einlasskontrollen zum Hochsicherheitsgerichtssaal sind streng, es dauert, bis auch der letzte Platz besetzt ist.
Dann wird die Angeklagte Hanna S. in den Saal geführt. Ihre Unterstützer stehen auf und applaudieren. Ganz in Schwarz gekleidet steht die 30-Jährige neben ihren beiden Verteidigern. Immer wieder atmet sie schwer, manchmal formt sie die zusammengekniffenen Lippen zu einem schnellen, schüchternen Lächeln in Richtung des Zuschauerraums.
Richter: "Es gibt keine gute politische Gewalt"
Dann öffnet sich die Tür hinter der Richterbank, der fünfköpfige achte Strafsenat des Oberlandesgerichts München tritt heraus. Es ist der 33. Hauptverhandlungstermin in diesem Verfahren, nur das Urteil fehlt noch.
Der Vorsitzende Richter Philipp Stoll spricht zunächst einige Einleitungssätze, warnt die Zuschauer vor Beifall oder Unmutsbekundungen. Dabei spricht er auch grundsätzlich zur Sache, mehr mit dem Publikum als mit den Prozessbeteiligten, ganz so, als wolle er eine Meinungsverschiedenheit zwischen Antifa und Justiz endgültig ausräumen: "Es gibt keine gute politische Gewalt." Es sei ganz einfach: "Andere Menschen schlägt man nicht."
Fünf Jahre Gefängnis für Hanna S.
Dann verkündet er das Urteil, zu dem das Gericht nach 32 Verhandlungstagen gekommen ist: Hanna S. ist schuldig der gefährlichen Körperverletzung in mehreren Fällen, der versuchten Körperverletzung und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass sich die Studentin 2023 in Budapest an zwei brutalen Angriffen gegen Rechtsextreme beteiligt hat. Die Gesamtfreiheitsstrafe, die das Gericht ausspricht: fünf Jahre Haft.
Die Unterstützer schütteln entsetzt den Kopf, bei manchen fließen Tränen. Hanna S. blickt betreten zu Boden, sie nimmt das Urteil gefasst auf. "Meine Mandantin ist stark", wird ihr Verteidiger später sagen.
Bundesanwaltschaft forderte neun Jahre Haft
Hanna S. habe Selbstjustiz betrieben und das Gewaltmonopol des Staates missachtet, erklärte der Richter Philipp Stoll in seiner Begründung. Hanna S. und ihre Mitstreiter hätten sich selbst zu denen gemacht, die sie eigentlich bekämpfen wollten, so Stoll, nämlich zu Verfassungsfeinden.
Das Urteil hätte deutlich höher ausfallen können, hätte sich das Gericht der rechtlichen Wertung der Generalbundesanwaltschaft angeschlossen. Diese hatte in ihrem Schlussplädoyer eine Verurteilung zu neun Jahren Freiheitsstrafe wegen versuchten Mordes gefordert. Dem folgte das Gericht nicht: Die Gruppe um Hanna S. habe nach Auffassung des Gerichts zu keinem Zeitpunkt den Tod eines der Opfer gewollt oder auch nur billigend in Kauf genommen.
Verteidigung kritisiert Urteilsfindung
Das Gericht stützte sich in seiner Urteilsbegründung ganz entscheidend auf die Überwachungsvideos aus Budapest. Die Verteidigung hatte argumentiert, ihre Mandantin sei auf diesen Videos nicht zweifelsfrei zu identifizieren. Hanna S. sei daher freizusprechen. Das Gericht sah das anders. Der Vorsitzende betonte, dass es für die Beweiswürdigung an dieser Stelle auch keinen Sachverständigen gebraucht hatte: Alle fünf Mitglieder des achten Strafsenats hätten bei Inaugenscheinnahme des Materials die Person erkannt, die an den 32 Verhandlungstagen vor ihnen saß: Hanna S.
Diese Begründung lässt Rechtsanwalt Peer Stolle nicht gelten. "Das reicht nicht", sagte er unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung. "Die suggestive Wirkung von einer Person, die auf der Anklagebank sitzt, ist nachgewiesen. Allein darauf kann man keinen Identitätsnachweis stützen."
"Budapest-Komplex": In Ungarn steht Maja T. vor Gericht
Aus Sicht des Rechtsanwalts ist nach wie vor nicht erwiesen, dass Hanna S. die Taten, wegen derer sie verurteilt wurde, tatsächlich begangen hat. Stolle kündigte daher die Einlegung der Revision an: "Wir werden das Urteil auf jeden Fall anfechten." Das Urteil wird also vermutlich so schnell nicht rechtskräftig werden, sondern noch vom Bundesgerichtshof überprüft.
Hanna S. ist der erste Fall aus dem sogenannten Budapest-Komplex, in dem ein Urteil gefallen ist. In Ungarn steht die non-binäre Person Maja T. vor Gericht, weil sie ebenfalls an den Angriffen beteiligt gewesen sein soll. Maja T. wurde in einer viel kritisierten Aktion von deutschen Behörden ausgeliefert. Weitere Personen der Gruppe haben sich den Behörden in Deutschland gestellt und befinden sich in Untersuchungshaft.
Im Video: Wie das Gericht das Urteil begründet
Wie das Gericht das Urteil begründet
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