Blutabnehmen, Ultraschalluntersuchung, Laborberichte durchsehen: Jérome Wäger versorgt seit diesem Jahr die Patientinnen und Patienten in einer hausärztlichen Praxis im mittelfränkischen Neuendettelsau. Die 37-Jährige hat eine medizinische Ausbildung und ein Bachelor-Studium zur Physician Assistant (PA) absolviert. Von ihr "verarztet" zu werden, das ist für die meisten Patienten neu, sagt sie, doch das Feedback sei durchweg positiv.
Patientin Gabi Kohler hatte vergeblich versucht, in anderen Hausarztpraxen einen Termin zu bekommen. Überall hieß es: Aufnahmestopp! Seit Anfang des Jahres das kommunale Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) in Neuendettelsau geöffnet hat, fühlt sie sich dort von Jérome Wäger gut versorgt. Sei es bei Problemen mit der Schilddrüse oder der Schulter.
Enge Zusammenarbeit mit dem Arzt
Alle medizinischen Fragestellungen bespricht die Arztassistentin Jérome Wäger mit Hausarzt Dr. Benjamin Welte. Er trägt die Verantwortung, unterschreibt die Verordnungen und Rezepte. Trotzdem bedeutet eine Arztassistentin für ihn eine große Entlastung, sagt er. Und es sei ein Modell für die Zukunft.
Denn der Ärztemangel ist offensichtlich. Allein rund um Neuendettelsau konnten in den vergangenen drei Jahren 15 Arztsitze nicht neu besetzt werden. Hier müsse umgedacht werden, sagt Hausarzt Welte: "Wir müssen von dem arztzentrierten System wegkommen, in dem nur ein Arzt die Patienten versorgen kann. In anderen Ländern wie beispielsweise den Niederlanden, Großbritannien und Kanada funktioniert es bereits sehr gut, dass PAs die Grundversorgung übernehmen."
Gemeinde füllt die Lücke
Ein Vorreiter in Mittelfranken ist die Gemeinde Neuendettelsau. Seit Anfang des Jahres betreibt sie ein eigenes kommunales Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) mit zwei angestellten Hausärzten, Jérome Wäger und weiterem Praxispersonal. Dafür hat die Gemeinde rund 200.000 Euro investiert und kümmert sich um Ausstattung, Verwaltung, Buchhaltung, Personal und vieles mehr.
Als ländliche Gemeinde kämpfe man gegen den Abbau der medizinischen Versorgung vor Ort, sagt Stefan Grün, Vorstand des MVZs. Denn aufgrund des demografischen Wandels wird es einerseits zunehmend weniger Arztpraxen und andererseits mehr Ältere geben, die durchschnittlich öfter medizinische Versorgung brauchen als Jüngere.
Bislang keine Finanzierung in Bayern
Die Gemeinde Neuendettelsau geht mit der Anstellung einer Arztassistentin in Vorleistung und zahlt deren Gehalt. Denn die Kosten werden bislang aus formalen Gründen von den Krankenkassen in Bayern nicht übernommen. In anderen Bundesländern wie beispielsweise Baden-Württemberg gibt es einen Zuschlag von 10 Euro pro Patienten pro Quartal, wenn ein Physician Assistant (PA) in einer Praxis arbeitet. "Es wäre wünschenswert, wenn es auch in Bayern einen Zuschlag gäbe oder eine Abrechnungsziffer wie in anderen Bundesländern", sagt MVZ-Vorstand Stefan Grün. Auch ein Pilotprojekt wäre aus seiner Sicht sinnvoll.
Vorstellung im Bayerischen Landtag
Im Oktober wird sich die Deutsche Gesellschaft für Physician Assistants e.V. (DGPA) im Bayerischen Landtag dafür einsetzen, dass PAs in Bayern besser etabliert werden. Das scheitert bislang unter anderem an dem Berufsbild Physician Assistance, das bundesrechtlich nicht reglementiert ist.
Es gibt somit keine staatlich geregelte Ausbildung und Prüfung. Ein Sprecher des Bayerischen Gesundheitsministeriums sagt dazu, dass Physician Assistants, ebenso wie Pflegefachkräfte oder medizinische Fachangestellte "ein Baustein sein können, um einem möglichen strukturellen Ärztemangel zu begegnen", wobei zu beachten sei, dass ein PA keine ärztlichen Tätigkeiten selbständig ausführen dürfe.
Perspektive für angehende PAs
Daher setzt sich die DGPA unter anderem für ein bundeseinheitliches Curriculum sowie bundeseinheitliche Abschlussprüfungen ein. "Dazu gibt es bereits ein entsprechendes Bundesärztekammer-Papier vom April 2025", sagt der stellvertretende DGPA-Vorsitzende Patrick Klein.
Das wäre auch eine Perspektive für die rund 5.000 angehenden Arztassistenten und Assistentinnen, die dieses Fach derzeit studieren wie beispielsweise Sophia Beß. Sie kommt ins dritte Semester und möchte später gerne in einer Hausarztpraxis arbeiten: "Das gibt mir die Möglichkeit, die Patientinnen und Patienten über einen längeren Zeitraum zu begleiten", sagt sie.
Beß glaubt, dass sich das Berufsbild Physician Assistance – wie es das bereits im Ausland gibt – früher oder später auch in Deutschland etablieren wird.
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