Allgemeinmediziner Sebastian Völkl in der Praxis-Filiale in Amerdingen.
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Im Nördlinger Ries herrscht Regelversorgung. Trotzdem gibt es laut Ärzten und laut Patienten einen massiven Hausärztemangel.

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Hausarztmangel trotz "Regelversorgung" im Nördlinger Ries

Hausarztmangel trotz "Regelversorgung" im Nördlinger Ries

In und um Nördlingen gibt es offiziell genug Hausärzte. Laut Kassenärztlicher Vereinigung herrscht "Regelversorgung". Ein Nördlinger Arzt kritisiert das als "Unfug". Gleichzeitig stehen viele Patienten zurzeit ohne Hausarzt da.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Rita Wenzel ist systematisch vorgegangen: Sie hat Hausärzte in Nördlingen gegoogelt und dann nacheinander alle abtelefoniert. "Ich habe überall eine Absage gekriegt. In Nördlingen habe ich keine Chance, einen Hausarzt zu bekommen." Acht Praxen hat sie angefragt, wie wahrscheinlich viele hundert andere Patienten. Denn in Nördlingens Nachbargemeinde Deinigen hat sich der letzte Hausarzt gerade in den Ruhestand verabschiedet – ohne Nachfolger. Das verschärft den Hausärztemangel im Nördlinger Ries.

  • Zum Artikel: Gegen den Ärztemangel: Medizin studieren ohne NC in Coburg

1.600 Einwohner pro Arzt: "Das ist Unfug!"

"Wir sind mit unserer Praxis in Nördlingen am Limit", sagt Sebastian Völkl. Der 36-Jährige ist Allgemeinmediziner in Nördlingen und Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes Nordschwaben. Auch bei ihm herrscht Aufnahme-Stopp. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) gilt bei rund 1.600 Einwohnern pro Hausarzt Regelversorgung.

Sebastian Völkl kritisiert die Zahl scharf: "Das ist Unfug! Weil Sie als einzelner Arzt keine 1.600 Patienten adäquat versorgen. Das, was da ausgerechnet wird, entspricht ja nicht den Tatsachen. Sie schaffen es als Arzt, vielleicht 1.200 Patienten zu versorgen. Und wenn Sie jetzt den Schlüssel anlegen, dann hätten Sie hier eine krasse Unterversorgung!" Manchmal sei er hier auf dem Land eine Stunde nur für einen Hausbesuch unterwegs. "Das ist etwas, dass ich in München nicht habe."

KVB: Deutsche gehen häufig zum Arzt

Die Kassenärztliche Vereinigung sieht das anders. Deren Regionaler Vorstandsbeauftragte ist Dr. Jakob Berger, der selbst eine Praxis in Wemding im Nördlinger Ries betreibt. Er gibt zwar zu, dass die Lage in und um Nördlingen "angespannt" sei. Und außerdem handle es sich bei der Einteilung in die Kategorie "Regelversorgung" um statistische Daten. "Das sagt aber nichts über die Versorgungssituation aus, wie ausgelastet die Ärzte sind oder wie alt die Ärzte sind", sagt Berger.

Aber von den 1.600 Einwohnern pro Hausarzt würden nicht alle jedes Quartal in die Praxis kommen. "Und wir haben ja in Deutschland sowieso die meisten Arzt-Patienten-Kontakte der Welt kann man sagen. 18 Mal geht der deutsche Bundesbürger im Durchschnitt pro Jahr zum Arzt, das ist sehr hoch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern."

Bedarf an Hausärzten fast überall auf dem Land

Trotzdem entscheidet die KVB-Statistik mit der Einteilung unter anderem nach "überversorgt", "regelversorgt" oder "unterversorgt", ob sich in einer Region Ärzte niederlassen können. Im Planungsbereich Nördlingen gibt es laut KVB-Statistik aktuell 4,5 freie Niederlassungen für Hausärzte. Rund um die bayerischen Großstädte und im südlichen Oberbayern gibt es zurzeit keine Möglichkeiten. Diese Regionen gelten als "überversorgt". Ansonsten gibt es in fast allen ländlichen Regionen Bedarf an Hausärzten. Vor allem im nördlichen Schwaben und südlichen Mittelfranken, sowie in Unter- und Oberfranken.

Arzt fordert mehr Medizin-Studienplätze

Doch woher sollen die Ärzte kommen? Der Nördlinger Arzt Sebastian Völkl fordert mehr Studienplätze für Medizin: "Wir haben die Diskussion schon vor fünf Jahren geführt und da hieß es dann: Das dauert aber fünf bis zehn Jahre – aber da wären wir jetzt, wenn wir damals gehandelt hätten." Auch Frauen und Männer ohne 1,0-Abitur bräuchten eine Zulassung zum Studium. Vor allem die Medizinstudenten aus den Regionen seien am ehesten die, die dann auch wieder zurück aufs Land gingen. "Es müssen so viele Ärzte ausgebildet werden, dass vielleicht irgendwann in München kein Platz mehr ist und sie aufs Land müssen", sagt der Hausarzt.

"Sand im Getriebe" im Praxisalltag

Völkl arbeitet in der Teampraxis seiner Mutter, Dr. Claudia Völkl, in Nördlingen. Mehrere Ärzte sind dort beschäftigt. Claudia Völkl ist auch Delegierte des Bayerischen Hausärzteverbandes. Neben dem Ärztemangel insgesamt beklagt sie "Sand im Getriebe", der die tägliche Arbeit verlangsame und so verhindere, dass mehr Patienten versorgt werden können.

Claudia Völkl übt vor allem Kritik an der sogenannten Telematik-Infrastruktur. Das ist die Software und Technik des Bundes, mit der die Ärzte arbeiten müssen. "Es passiert in 20 Tagen einmal, dass schon in der Früh das Hochfahren des Computers nicht funktioniert", sagt Völkl. Dazu bräuchte es mehr Befugnisse für die Medizinischen Angestellten bei gleichzeitig besserer Bezahlung, um den Ärzten den Rücken freizuhalten.

Längere Wege zum Hausarzt

Laut KVB steigt zwar die Zahl der Facharztprüfungen bei den Hausärzten. Es wollen also mehr Mediziner Hausarzt werden. Aber Studium und Ausbildung zum Facharzt dauern insgesamt zwölf Jahre. "In den nächsten sechs bis acht Jahren wird das schon noch zum Problem werden, die Patienten genügend zu versorgen, auch weil sehr viele Kollegen jetzt an der Altersgrenze sind", sagt Jakob Berger von der KVB, der selbst mit 73 Jahren noch als Hausarzt in Wemding arbeitet. Zusätzlich müssten sich die Menschen auf dem Land wohl auf weitere Wege zum Hausarzt einstellen. Den Einzelkämpfer in jedem Ort gebe es immer seltener. Stattdessen entstünden größere Praxen mit mehreren Ärzten, die sich dann aber auch gegenseitig vertreten können oder in denen junge Mütter in Teilzeit arbeiten könnten.

Eine Lösung: Praxis-Filialen in den Dörfern

Eine Lösung könnten Filialen auf dem Dorf sein. So macht es die Teampraxis Dr. Völkl in Nördlingen schon vor. Neben dem Standort in der Nördlinger Altstadt betreibt die Praxis eine Filiale auf dem Dorf in Amerdingen. So gibt es dort keine eigenständige Praxis mehr, aber eben doch noch eine regelmäßige ärztliche Versorgung.

Hausarzt Sebastian Völkl findet es wichtig, vor Ort zu sein, andernfalls zeichnet er ein düsteres Bild: "Das Problem ist, Sie kriegen das normalerweise nicht mit, wenn kein Arzt vor Ort ist: Die Leute sterben an Bluthochdruck und den Folgeerkrankungen, an Diabetes, der nicht ordentlich eingestellt ist, mit Medikamenten. Die sterben an psychischen Erkrankungen, weil sie einfach niemanden zum Reden haben. Das heißt, das sind lauter chronisch kranke Menschen, die deutlich früher sterben, das taucht aber nirgendwo auf. Das sind auch diejenigen, die sich am wenigsten beschweren."

20 Minuten Fahrtzeit zum Arzt und keine Hausbesuche

Einen Hausarzt vor Ort, das wünscht sich auch Rita Wenzel aus Deinigen – vor allem für die Älteren. Bis letztes Jahr habe noch die Ur-Oma im Haus gewohnt. Als die krank war, sei der Deininger Hausarzt sofort zum Hausbesuch gekommen. Künftig wird sie wohl rund 20 Minuten mit dem Auto nach Harburg fahren müssen. Dort gebe es noch eine Praxis, die Patienten aufnehmen, sagt Rita Wenzel. Hausbesuche bis nach Deinigen würden die Ärzte dort aber nicht machen.

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