Irene Schäffer aus Gundelfingen ist Rentnerin, alleinstehend und muss demnächst eventuell eine Rechnung über mehrere tausend Euro begleichen. Nicht für ihr Auto, das schon 30 Jahre alt ist. Oder ihre Waschmaschine, die seit 28 Jahren läuft – sondern für die städtische Kläranlage in Gundelfingen. "Ich habe nicht so viel Rente, ich weiß nicht, wie ich das machen soll!", sagt Schäffer. Ihr Glück und in diesem Fall Pech zugleich: Sie lebt in ihrem eigenen Haus, besitzt das Grundstück.
Kosten müssen auf Nutzer umgelegt werden
Wie Irene Schäffer könnten bald sämtliche Grundstücksbesitzer im schwäbischen Gundelfingen zur Kasse gebeten werden. Der Grund: Die Kläranlage muss generalüberholt werden – für geschätzte 23 Millionen Euro. Die Kosten dafür darf die Stadt mit ihren knapp 8.000 Einwohnern aber nicht aus ihrem Etat bestreiten. Die Kosten müssen 1:1 auf die Nutzer der Kläranlage umgelegt werden – also Gewerbe, Industrie und Privatleute. So ist es in Bayern Vorschrift.
Sofortzahlung oder höhere Abwassergebühren?
Und so hat sich in Gundelfingen ein Streit darüber entzündet, wie sich die Kosten möglichst fair verteilen lassen. Die Stadt will 80 Prozent der Kosten direkt auf die Grundstücksbesitzer umlegen – als sogenannte Verbesserungsbeiträge. Je nach Größe und Bebauung fällt die Rechnung unterschiedlich aus. Laut Bürgermeister Dieter Nägele (Freie Wähler) muss der Besitzer eines Einfamilienhauses mit 1.000 Quadratmeter Grundstück mit rund 5.000 Euro rechnen. Die Summe werde aber nicht auf einmal, sondern auf vier Jahre verteilt, fällig. Die übrigen 20 Prozent der Baukosten will die Stadt auf die Abwassergebühren umlegen, gestreckt auf 30 Jahre.
Bürgerinitiative: Hausbesitzer nicht überfordern
Eine Bürgerinitiative ist dagegen. Sie hat nach eigenen Angaben schon 650 Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt. Das würde ausreichen. Die Bürgerinitiative schlägt ein anderes Modell vor: Nur 40 Prozent der Kosten über die Einmalzahlungen und dafür 60 Prozent langfristig über die Abwassergebühren finanzieren. Das wichtigste Argument: Hausbesitzer mit kleinem Einkommen könnten nicht so viel Geld auf einmal bezahlen.
Beide Seiten führen junge Familien ins Feld
Beide Seiten argumentieren unter anderem mit jungen Familien. Die Bürgerinitiative erzählt von Familien mit Kindern, die gerade gebaut hätten, den Kredit dafür abbezahlen und deshalb nicht mehrere tausend Euro Verbesserungsbeträge aufbringen könnten. Bürgermeister Dieter Nägele hingegen findet die Finanzierung der Kläranlage über die Abwassergebühren unverhältnismäßig gegenüber Familien. Denn die hätten per se einen höheren Wasserverbrauch als Alleinstehende. Und der Preis für einen Kubikmeter Abwasser könnte von aktuell 3,87 Euro dann auf sechs Euro steigen.
Bürgermeister warnt vor hohen Zinsen
Noch wichtiger für den Bürgermeister: Je mehr auf die Abwassergebühren in den kommenden 30 Jahren umgelegt wird, umso höhere Kredite muss die Stadt aufnehmen, um die Baukosten vorzustrecken. Laut Berechnungen der Stadt kommen auf die 23 Millionen Euro Baukosten ohnehin schon 2,4 Millionen Euro Zinsen obendrauf. Würde sich die Bürgerinitiative durchsetzen, seien es sieben Millionen Euro Zinsen. Unterm Strich wäre die Kläranlage dadurch teurer. Das Gegenargument der Bürgerinitiative: Viele Hausbesitzer müssten selbst einen Kredit für die Einmalzahlungen aufnehmen – zu wahrscheinlich schlechteren Konditionen als eine Gemeinde.
Beispiel Möttingen: Finanzierung über Einmalzahlungen
In Möttingen im benachbarten Landkreis Donau-Ries hat man die Diskussion schon hinter sich. Dort ist die neue Kläranlage gerade fertig – finanziert ausschließlich über Verbesserungsbeiträge. Für ein Einfamilienhaus mit 850 Quadratmeter Grund wurden rund 3.700 Euro fällig. Wer die Summe nicht zahlen konnte, dem wurde laut Bürgermeister Böllmann eine Stundung angeboten. Letztlich hätte das aber nur "weniger als eine Handvoll" Grundstücksbesitzer in Anspruch genommen. Für ihn ein Hinweis, dass die meisten solche Summen schultern könnten.
In der Oberpfalz gab es schon einen Bürgerentscheid
Ähnlich ist es in der Marktgemeinde Eslarn in der Oberpfalz: Dort gab es im April einen Bürgerentscheid über die Finanzierung der Kläranlage. Bei der Abstimmung waren 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler dafür, den Großteil der Sanierungskosten über Verbesserungsbeiträge einzusammeln – und nicht auf die Abwassergebühren umzulegen.
Auch in Gundelfingen könnte es in einigen Monaten zur Abstimmung kommen – dann hätten es die Gundelfinger selbst in der Hand, wie ihre neue Kläranlage bezahlt werden soll.
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