Wenn Manuela Reitmeiter in Arrach im Landkreis Cham Küchenabfälle zu ihrem Komposthaufen trägt, begegnet sie ab und zu - völlig ungiftigen - Ringelnattern. Vormittags sonnen sich manchmal aber auch giftige Kreuzottern auf dem Rasen im Bayerischen Wald.
Auch das aufgestapelte Brennholz an der Hausmauer ist ein beliebter Platz für Schlangen. Manchmal ringeln sich hier gleich mehrere Kreuzottern zu einem Knäuel zusammen. Für die Familie ist das kein Problem: Sie passt einfach auf.
Gartenalltag mit Kreuzottern
"Wenn man Holz aufstapelt oder im Garten etwas macht, da schaut man einfach immer zuerst, ob da eine Schlange liegt", sagt Klaus Reitmeier. Er hat zum Beispiel immer einen eisernen Rechen an der Hauswand lehnen. Mit dem durchstöbert er zum Beispiel vorsichtig einen aufgestapelten kleinen Reisighaufen, bevor er die Zweige wegräumt. Aber auch vor dem Rasenmähen wird zuerst das Gras abgesucht, um eventuelle Schlangen vorsichtig zu vertreiben. Denn man will sie nicht mit dem Mäher versehentlich töten.
Kreuzottern dürfen bleiben
Kreuzottern, Ringelnattern, dazu zahlreiche Blindschleichen und auch Molche waren schon im Garten, als das Ehepaar 1991 hier in einer Seitenstraße der Bayerwaldgemeinde Arrach sein Haus gebaut hat. Grund dafür ist das direkt angrenzende Arracher Moor, ein mehrere Hektar großes Naturschutzgebiet, das bis heute ein idealer Lebensraum für Schlangen ist. Von dort wandern immer wieder Exemplare in naheliegende Gärten ein. Bei Familie Reitmeier werden sie aber weder erschlagen noch eingefangen und weggebracht:
"Man musste sich damit arrangieren. Wegbringen lassen wollten wir sie nicht. Denn die waren ja früher auch schon da, als hier noch keine Häuser standen." Klaus Reitmeier, Hausbesitzer in Arrach
Die Familie lernte lieber, mit den Tieren zu leben. Drei Kinder sind mit Schlangen im Garten aufgewachsen. Die drei - zwei davon inzwischen erwachsen - haben von klein auf gelernt, im Garten aufzupassen. "Wir haben viele Blindschleichen im Garten", erzählt Papa Reitmeier. "Die haben wir ihnen gezeigt und ihnen gesagt, die könnt ihr anfassen und die anderen, da fragt ihr uns erst einmal, lasst sie in Ruhe und geht lieber weg." Das hat auch geklappt.
Strenge Regel mit den Kreuzottern
Die Blindschleichen haben die Kinder so vorsichtig angefasst, dass sie nicht, wie es oft passiert, den Schwanz abwarfen – eine Reaktion dieser Eidechsenart auf Lebensgefahr. Bei Ringelnattern wussten die Kinder schnell, dass sie ein sehr übelriechendes Sekret versprühen, wenn sie sich bedroht fühlen. Also fasst man sie auch lieber nicht an. Bei Kreuzottern galt die strenge Regel: Sofort Abstand halten!
"Wir waren daran gewöhnt, dass man beim Spielen aufpassen muss, weil Kreuzottern gefährlich und auch giftig sind", sagt der 15-jährige Keanu Reitmeier. Auch Spielkameraden wurde es erklärt. Manche durften dann aber doch nicht mehr zu Besuch kommen, weil die Eltern Angst hatten, dass etwas passiert.
Bisher wurde niemand gebissen
In all den Jahren wurde aber kein einziges Familienmitglied gebissen. Das liegt auch daran, dass man sich trotz aller Gewöhnung den Respekt vor dem nicht ganz ungefährlichen Biss bewahrt hat. "Ein Biss tut weh, ganz bestimmt, und das muss man wirklich nicht ausprobieren", sagt Klaus Reitmeier. Kreuzottern greifen aber nicht aktiv an, hat er beobachtet. Meistens kriechen sie von selbst weg, wenn sich ein Mensch nähert. Aber wenn das Tier ungünstig liegt und nicht flüchten kann, kommt es schon zu Drohgebärden.
Manuela Reitmeier ist einmal fürchterlich erschrocken, als sie im Keller die Waschmaschine einräumte und plötzlich hinter ihr etwas fauchte. Es war eine Kreuzotter in der Ecke, aber weit genug weg. Das Ganze ging glimpflich aus. Kreuzottern, die im Sommer über die offene Terrassentür ins Wohnzimmer kriechen, gab es auch schon öfter. Aber die Tiere kriechen immer von selber wieder raus, erzählt die Familie. Schuhe, die draußen stehen, werden erst mal geschüttelt, bevor man reinschlüpft.
Kreuzottern wegzubringen nützt wenig
Doch so enorm viel Toleranz wie bei Familie Reitmeier in Arrach ist eher die Ausnahme. Die Kreisgruppe des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) im Landkreis Cham fängt auf Wunsch Kreuzottern ein und bringt sie weg, wenn jemand sie nicht im Garten tolerieren möchte. Aber das geschieht immer in enger Absprache mit den Behörden, sagt Markus Schmidberger, Leiter des LBV-Umweltzentrums im Landkreis Cham. Denn Kreuzottern sind eine Rote-Liste-Art, also streng geschützt. Sie dürfen weder getötet noch gefangen werden.
Wenn Markus Schmidberger eine Kreuzotter einfängt und wegbringt, erklärt er den Leuten, dass "übermorgen wieder eine neue Schlange im Garten sein kann. Denn der Grund für die Schlangen im Garten ist meist die Nähe zu einem natürlichen Lebensraum mit Schlangenpopulation. Dann ist es tatsächlich das Beste, mit den Tieren Frieden zu schließen. Mensch und Schlange können definitiv miteinander auskommen", so Schmidberger.
Im Notfall: Ruhig bleiben und beobachten
Er erlebt es inzwischen immer öfter, dass Menschen sich über Schlangen im Garten freuen und es als ein Stück Natur sehen. Aber man muss bestimmte Verhaltensregeln beherzigen. Schlangenbisse sind möglich, wenn die Tiere sich bedroht fühlen und nicht flüchten können. Markus Schmidberger selbst ist beim Kartieren im Gelände sehr aufmerksam. "Wenn dann unerwartet plötzlich eine Kreuzotter vor mir liegt, bleibe ich ruhig stehen und schaue erstmal, was sie macht." In der Regel flüchten die Tiere. Sofort auf Abstand gehen muss man aber, wenn die Schlange den Kopf zurückzieht und sogar faucht. "Das ist eine eindeutige Warnung", so Schmidberger.
Dass fast alle Menschen Angst vor Schlangen haben, findet der Naturschutzexperte aber ganz normal. "Die Tiere begleiten uns Menschen ja schon immer. Unser Instinkt sagt einfach, Schlangen können gefährlich sein, also Abstand halten, denn das kann lebensbedrohlich werden." Deshalb reagieren die meisten auch so stark auf Schlangen.
Zahlreiche Meldungen nach Berichterstattung
Die Chamer Kreisgruppe des Landesbunds für Vogelschutz hat aufgrund der BR24-Artikel insgesamt schon sieben Mails von Menschen bekommen, die selbst bei sich im Garten oder auf Wanderungen Kreuzottern entdeckt haben. "Bis auf ein Foto, wo es sich um eine andere Schlange handelte", so Markus Schmidberger vom Landesbund für Vogelschutz im Landkreis Cham, "konnten wir bei allen Fotos bestätigen, dass es tatsächlich eine Kreuzotter war." Besonders erfreulich für den Naturschutzverband: alle, die dem LBV Fotos geschickt hatten, freuten sich über die Entdeckung. Nur in einem Fall machte sich eine Familie, die eine Kreuzotter im Garten fand, Sorgen wegen ihrer kleinen Kinder. "Die Hauptangst der Eltern war," erzählt Schmidberger, "dass die Kinder die Schlange anfassen könnten, wenn sie alleine auf eine treffen, und dann gebissen werden." Schmidberger erklärte den Eltern, dass man Kinder gut aufklären könne, selbst wenn sie noch klein sind – ähnlich, wie man sie vor Wespen, Bienen, heißen Ofenplatten oder Messern warnt. Gut sei dann auch, Schlangen gemeinsam anzuschauen. "Kinder haben da ein feineres Gespür, als man denkt", so der Naturschutz-Fachmann." Und ganz kleine Kinder lasse man ohnehin nicht alleine oder unbeaufsichtigt in den Garten.
Die Mails und Fotos an den LBV Cham kamen interessanterweise nicht aus der Oberpfalz, sondern aus dem benachbarten Niederbayern. In der Regel handelte es sich um Menschen, die in der Nähe von möglichen Lebensräumen für Kreuzottern leben, zum Beispiel neben einem Moor oder direkt neben dem Nationalpark. Markus Schmidberger freut sich über jedes zugschickte Kreuzotter-Foto. Denn es sei "ein weiterer Mosaikstein dafür, wo es das selten gewordene Tier noch gibt." Man freue sich über weitere Meldungen und Fotos.
Im Video: Auswilderung von Kreuzottern
Dieser Artikel ist erstmals am 26. Juni 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.
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